Das Duell der Bomber um den Tor-Rekord

Thomas Müller bewertete das Thema in Thomas-Müller-Manier ganz pragmatisch. „Wenn er das schafft, sind wir auf einem guten Weg“, sagte der Stürmer des FC Bayern nach dem 3:1-Sieg beim FC Augsburg. Müller sprach – natürlich über seinen furiosen Sturmpartner Robert Lewandowski, der das Spiel gegen die Schanzer mit zwei Toren (den anderen Treffer erzielte Müller) mal wieder entschieden hatte. Und der nun immer häufiger mit dem großen Bayern-Torjäger Gerd Müller verglichen wird.
21 Mal hat Lewandowski nun schon in dieser Bundesliga-Saison getroffen – nach 21 Partien. Damit hat der Pole nicht nur den Dortmunder Pierre-Emerick Aubameyang überholt (20 Tore), er hat auch dafür gesorgt, dass sich sein Sturmpartner mit Fragen zum großen Gerd Müller beschäftigen muss. Der Bomber hatte in der Saison 1971/72 sogar 40 Treffer erzielt. Ist diese historische Marke auch für Lewandowski zu erreichen? Möglich sei „viel“, sagte Thomas Müller: „Ich hoffe, dass er es schafft, weil das unserem Verein sehr guttun wird.“
„...dann bekommt man vielleicht eine Chance“
Lewandowski, der Gerd Müller als „große Legende“ adelt, hat sich folgende Rechnung ausgedacht: „Wenn ich 30 Tore habe und noch sieben Spiele bis zum Saisonende sind – dann bekommt man vielleicht eine Chance.“ Setzt Lewandowski seinen Lauf nach der Winterpause fort, könnte Müllers Rekordmarke ernsthaft in Gefahr geraten. Vier Doppelpacks erzielte der 27-Jährige in den fünf Pflichtspielen 2016. Kein anderer Knipser in den europäischen Top-Ligen war erfolgreicher, kein Messi, kein Suarez, kein Ronaldo. Das ist Bomber-Niveau!
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„Es ist eine große Ehre für mich, sein Trainer zu sein“, sagt deshalb Pep Guardiola. Der Coach, der bekanntlich lieber mit kleinen, wendigen Spielern arbeitet und gar nicht gern mit großen Mittelstürmern, hat längst seinen Frieden mit Lewandowski gemacht – weil der Pole den Idealtypus des heutigen Angreifers verkörpert: robust, trickreich, ball- und passsicher und dazu noch eiskalt vor dem Tor: „Er ist sehr, sehr wichtig für uns, wir brauchen seine Tore“, sagt Guardiola. Kann Lewandowski tatsächlich der neue Bomber werden?
Die AZ vergleicht die beiden Top-Stürmer:
Der Körper
„Kleines, dickes Müller“ gegen „Maschine Robert“? Nun, in diesem Duell hat Lewandowski eindeutige Vorteile. Der Pole ist ein Modellathlet, neben dem Fußballtraining schuftet er regelmäßig im eigenen Kraftraum, in Ehefrau Anna (Karate-Weltmeisterin) hat er eine starke Partnerin.
„Robert ist sehr professionell, nicht nur auf dem Platz, sondern auch im Privatleben ist er sehr fokussiert auf den Fußball“, sagt Guardiola. Dass Lewandowski viel Wert auf Erholung und Ernährung legt, gefällt seinem Trainer besonders, denn: „Aus diesem Grund ist er nie verletzt.“
Allerdings: Auch der um acht Zentimeter kleinere Müller (1,76 Meter, Lewandowski: 1,84), wusste seinen Körper (und vor allem seinen Hintern) geschickt einzusetzen. Freilich lag bei ihm der Körperschwerpunkt etwas tiefer.
Lewandowskis 1:0 in Augsburg erinnerte an Müllers Siegtor im WM-Finale 1974 gegen die Niederlande: Ballannahme, kurze Drehung, Schuss aus der Hüfte. Sonst allerdings unterscheiden sich die beiden Angreifer in ihrer Spielweise deutlich.
Müller lauerte in Mittelstürmer-Manier im Strafraum, sobald der Ball in diese Zone flog, war Müller da und stocherte ihn irgendwie über die Linie. Keiner konnte das besser.
Ganz anders Lewandowski. Der Pole lässt sich gern ins Mittelfeld fallen, nimmt am Kombinationsspiel teil, sticht dann in die Spitze, und trifft. Was Lewandowski und Müller eint: ihre totale Fokussierung auf den Fußball, ihre „Professionalität und Kaltschnäuzigkeit“, die Matthias Sammer beim Polen hervorhebt. Der Sportvorstand nennt das Werben von Real Madrid, um Lewandowskis mentale Stärke zu erklären: „Er lässt sich von dem Gequatsche um einen möglichen Transfer nicht ablenken.“
Ruhm
Gerd Müller gilt als einer der besten Mittelstürmer der Geschichte, wenn nicht sogar als der beste. Obwohl die Vermarktungsmöglichkeiten heute ganz andere sind als zu Müllers Zeiten – Spieler wie Lewandowski, Ronaldo oder Messi kennen Fußballfans auf der ganzen Welt –, erreichte auch der Bomber Legendenstatus und weltweiten Ruhm. Nicht zuletzt wegen seiner herausragenden Leistungen im Nationalteam (68 Tore in 62 Länderspielen, davon 14 WM-Tore). Als vor einigen Monaten Müllers Alzheimer-Erkrankung publik wurde, bewegte das Fans und alte Weggefährten, nicht nur in Deutschland.
Wert für den FC Bayern
In diesem Punkt wird Lewandowski noch aufholen müssen, um an Müller heranzukommen. Falls das überhaupt möglich ist. „Ohne Gerd Müller wäre der FC Bayern kein Mythos“, sagt Paul Breitner.
Für Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge ist Müller „einer der ganz Großen des Weltfußballs. Ohne seine Tore wären der FC Bayern und der deutsche Fußball nicht das, was sie heute sind.“
Klar ist: Erst dank Müllers Toren schafften die Bayern Mitte der 70er Jahre den Dreifach-Triumph im Landesmeister-Cup, der den Verein zu einem der größten in Europa machte, zur Legende. Ein Champions-League-Triumph ist Lewandowski bislang nicht gelungen, vielleicht ja dieses Jahr?
Immerhin: In einer Wertung hat der Pole den Bomber schon überholt. 36 Mal trafen er und Thomas Müller gemeinsam schon in der laufenden Saison nach 21 Spielen. Damit übertrafen sie die bisherige Bestmarke von Gerd Müller (23) und Uli Hoeneß (12) aus der Saison 1972/73 um einen Treffer.
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