Claudio Pizarro: "Heute liefert er"

Claudio Pizarro, in der Bundesliga diese Saison noch ohne Treffer, erzielt seinen ersten Dreierpack in der Champions League – und Bayerns 500. Tor im Europapokal. Die Fans feiern, Heynckes lobt ihn
MÜNCHEN - Fünfmal, so oft hat sich Stephan Lehmann in einer Champions-League-Halbzeit noch nie von seinem komfortablen Platz in Höhe der Mittellinie erheben müssen. Fünf Tore in einer Halbzeit – das hatte selbst der Stadionsprecher des FC Bayern in der Königsklasse noch nie erlebt. "Zugeh’n tuat’s", meinte Lehmann schon beim zwischenzeitlichen 4:0 gegen OSC Lille, bevor er den Torschützen Claudio Pizarro ausrief.
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Pizarros Vornamen sollte er an diesem Abend aber noch nicht zum letzten Mal ins bis auf die Südkurve gefüllte Rund gebrüllt haben; insgesamt dreimal binnen 15 Minuten musste Lehmann das langezogene "Pizzzzaaaarrroooo" der Fans einfordern, der Peruaner hatte schließlich in der 18., 28. und 33. Minute zum 2:0, 4:0 und 5:0 und damit auf seine alten Tage den ersten Champions-League-Dreierpack seiner langen Karriere erzielt (mit Werder Bremen hatte er 2000 schon mal dreifach im Uefa-Cup getroffen).
"Es war sehr wichtig für mich, dass ich getroffen habe – das gibt mir Selbstvertrauen. Als Stürmer muss man immer Selbstvertrauen haben und dafür war das nicht schlecht. Es ist nicht so einfach, in der Champions League drei Tore zu machen", meinte Pizarro nach dem Spiel.
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Sein erstes Tor an diesem Abend: eine Augenweide. Von Franck Ribéry am Strafraum bedient, legte sich Pizarro den Ball flink an einem Gegenspieler vorbei und verwandelte eiskalt links unten. Danach sprintete der 34-Jährige zurück zur Ersatzbank, legte dort mit den Brasilianern Dante und Rafinha ein flottes Tänzchen hin, letzter hatte sich dafür sogar extra von der Ersatzbank erhoben. Abzüge in der B-Note nahm das Samba-Trio dafür in Kauf, die ausgeklügelte Choreografie im Macarena-Stil ging nicht ganz synchron vonstatten – sei’s drum.
"Wir haben beim Mittagessen mit Rafinha drüber gesprochen – es ist ein neuer Tanz aus Brasilien. Dann haben wir versucht es zu machen. Ich glaube es war gut, oder zumindest okay. Ich kannte den Tanz vorher nicht, habe ihn heute erst gelernt", sagte der Torschütze.
Bei seinen weiteren Toren profitierte Pizarro dann von zwei schulbuchmäßigen Flanken von Philipp Lahm, die er einmal per Kopf und einmal mit dem Fuß direkt verwandelte. Beim 5:0 (Lehmann: „Heut’ liefert er, der Pizza-Service!“) schüttelte dann selbst der abgebrühte Pizarro noch ungläubig mit dem Kopf, während die Fans unentwegt seinen Namen sangen. Claudio Pizarro, Fankurvenliebling.
Dass Pizarro überhaupt spielen, tanzen und jubeln durfte, hatte eine Erkältung von Mario Mandzukic begünstigt – der Führende der Bundesliga-Torjägerliste war am Mittwochabend zur Schonung zuhause geblieben. Trainer Jupp Heynckes gestand aber, dass er auch ohne Mandzukics Rotznase an einen Einsatz von Pizarro gedacht habe. „Er ist ja wieder gut drauf. Außerdem werden wir weiter permanent englische Wochen haben. Wir sind froh, ihn zu haben“, sagte der Coach vor dem Spiel.
Pizarro, in der Bundesliga in dieser Saison bei bisher sechs Einsätzen noch ohne Treffer, hatte schon in der Vorwoche beim 4:0 im Pokal gegen Kaiserslautern stürmen dürfen und dabei zwei Tore erzielt. Fünf Treffer binnen sechs Tagen – definitiv keine schlechte Ausbeute. "Dafür ist er bei uns angestellt. Er hat eindrucksvoll gezeigt, dass er das Toreschießen nicht verlernt hat", sagte Heynckes nach dem Spiel.
Nach dem Kaiserslautern-Spiel hatte auch Arjen Robben Pizarro schon gelobt: "Claudio ist für mich ein Riesenstürmer. Es macht Spaß, mit ihm zusammenzuspielen."
Wobei Robben auch sicher gerne mit Mandzukic oder Mario Gomez zusammenspielt – die aktuelle Sturmbesetzung, mit Mandzukic und Pizarro in Bestform und Gomez als ungeduldigen Rekonvaleszenten, könnte sich für Jupp Heynckes in den kommenden Wochen als (Luxus?-) Problem darstellen.
"Er ist in einer richtig guten Verfassung, gibt Gas", sagte Sport-Vorstand Matthias Sammer über Pizarro. "Es ist für ihn persönlich auch eine nicht ganz so uninteressante Situation – Mario Gomez kommt zurück. Dementsprechend ist es nicht die schlechteste Voraussetzung, in einer guten Verfassung zu sein."
Und Pizarro meinte, auf seinen Status als dritter Stürmer angesprochen: "Wer sagt, dass ich die Nummer drei bin? Ich werde da sein, wenn die Mannschaft mich braucht."Ob nun Stürmer eins, zwei oder drei interessierte am Mittwoch sowieso niemanden. Und als wäre Pizarro mit 160 Bundesliga- (bester Ausländer aller Zeiten!) und 26 Pokal-Toren (Platz zwei nach Gerd Müller!) nicht schon Rekordjäger genug, so erzielte er mit seinem ersten Tor gegen Lille auch noch Bayerns 500. Tor der Europacup-Geschichte, die vor 46 Jahren, genauer am 28. September 1966, mit einem Tor von Franz „Bulle“ Roth in der Ostslowakei beim 1. FC Tatran Presov zum 1:1-Endstand begonnen hatte.
Der schnellste Hattrick der Champions-League-Geschichte war Pizarro dafür nicht vergönnt – Lyons Bafetimbi Gomis war beim 7:1 gegen Dinamo Zagreb vergangene Saison sogar noch acht Minuten schneller. Für Lahm ist Pizarro trotzdem "ein sensationeller Spieler, die Statistiken sprechen alle für ihn". Oder kurz gesagt: "Wir sind sehr froh, dass er für uns spielt."