Bilanz für den Präsidenten: Für die Zukunft müssen Hainer und der FC Bayern nachlegen
München - Man kann Herbert Hainer bei weitem nicht nachsagen, er sei nicht offen für große Aufgaben. Am 15. November 2019 übernahm er das Präsidentenamt des FC Bayern. Der Titel wiegt ohnehin schwer und zu diesem Zeitpunkt noch schwerer. Erstens folgte Hainer auf Uli Hoeneß und zweitens steckte der Verein kurz nach der Entlassung von Niko Kovac mächtig in der Krise.
Dennoch gab sich Hainer gleich in seinen ersten Augenblicken seiner Antrittsrede gelassen und zu Scherzen aufgelegt: "Bevor ich mit meiner Rede beginne, darf ich sagen, Karl-Heinz (Rummenigge, d. Red.), ich bin froh und erleichtert, dass dir der Satz vorher, bei dem du dich versprochen hast, nicht ganz über die Lippen gegangen ist. Denn der hätte dann gelautet: Mit Herbert Hainer an der Spitze braucht der FC Bayern keine Zukunft. Dann wäre meine Rede umsonst." Eine Mischung aus Lachen und Applaus ging daraufhin durch die Olympiahalle.
Hainer setzt dem "kickenden Konzern" FC Bayern erst spät ein Ende
Im Anschluss an eine gut zehnminütige Vorstellung sprach Hainer mehrere wichtige Punkte an. Zum 69. Geburtstag von Herbert Hainer am Montag (3. Juli) zieht die AZ eine Zwischenbilanz: Zeit, zu überprüfen, inwieweit er und der FC Bayern den 2019 angesprochenen Punkten gerecht werden konnten.
Das wohl größte Ausrufezeichen setzte Hainer als er sagte, er wolle "den FC Bayern mit einer ähnlichen Philosophie führen wie damals Adidas: Es geht nicht um den maximalen Profit. Der FC Bayern ist kein kickender Konzern. Und das darf er auch niemals werden."
Ein Versprechen, das Hainer eher zur Hälfte erfüllte – nicht zuletzt aufgrund des Umgangs mit der Kritik am nun ehemaligen Sponsor Qatar Airways, der auf der Jahreshauptversammlung 2021 seinen negativen Höhepunkt fand. Obwohl noch etliche Wortmeldungen offen waren, beendete Hainer die Veranstaltung kurzfristig und holte sich dafür ein gellendes Pfeifkonzert ab. "Hainer raus!", hallte es unter anderem durch den Audi Dome.
Zur ganzen Wahrheit gehört allerdings auch, dass Hainer und der Aufsichtsrat gegen Ende der abgelaufenen Saison rettend eingriffen. Intern soll Oliver Kahn den Verein genau so geführt haben, wie es Hainer eigentlich verhindern wollte: wie einen "kickenden Konzern".
Von seinen Beratern umgeben habe Bayerns ehemaliger Kapitän mit den Angestellten nur peripher zu tun gehabt und konnte das Familiäre, wofür der FC Bayern über Jahrzehnte stand, kaum beibehalten. Die Atmosphäre sei klinisch und kalt gewesen. Uli Hoeneß betonte im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung", Kahn wäre sogar im Falle eines Triple-Sieges entlassen worden, weil "die Gesamtentwicklung einfach zu unbefriedigend" gewesen sei. "Sogar die Leute von der 'Schickeria' (einflussreiche Ultra-Gruppe, d. Red.) haben gesagt: Bitte sorgt dafür, dass unser FC Bayern wieder geradeaus läuft."
Dass die Entlassung Kahns noch vor Abpfiff des Spiels in Köln bekannt wurde, kann man Hainer nur bedingt anlasten. Richtig war die Entscheidung dennoch – wenngleich man bei Sportvorstand Hasan Salihamidzic wohl zumindest hätte abwarten können, bis die Gespräche über Vertragsverlängerungen, wie bei Alphonso Davies, zu einem erfolgreichen Ende kommen.
Weltoffenheit: "Rot gegen Rassismus" als Paradebeispiel von Hainer und dem FC Bayern
Mit der Berufung des wesentlich kommunikativeren Jan-Christian Dreesen als Vorstandsvorsitzenden brachten Hainer und der Aufsichtsrat den Verein vorerst wieder auf Kurs. Da Dreesen die sportliche Expertise größtenteils abgeht, bleibt offen, ob er auch nach dem Rückzug von Hoeneß und Rummenigge als langfristige Lösung infrage kommt oder ob sich Hainer erneut umsehen muss.
Mit der Berufung Dreesens zum Bayern-Boss hat Hainer allerdings auch ein weiteres seiner Versprechen eingelöst: Immer die eigenen Werte im Blick zu haben. "Die Welt verändert sich – und der FC Bayern muss darauf reagieren. Er muss auch mit der Zeit gehen. Er muss Antworten auf die aktuellen Fragen finden. Er muss sich der Welt öffnen. Aber dabei müssen wir unsere Werte stärken, unsere Tradition leben. Wir dürfen nie vergessen, wer wir sind und wo wir herkommen: Ein Traditionsverein aus München, aus Bayern, wir sind der FC Bayern München", erklärte Hainer im Jahr 2019.
Dreesen ist nicht nur kommunikativ, sondern auch seit 2013 im Verein. Als Finanzvorstand folgte er auf den jahrzehntelang tätigen Karl Hopfner. Damit bringt Dreesen, auch in offizieller Funktion, wieder das nötige familiäre Element mit.
Weltoffen zeigte sich der FC Bayern unter Hainer vor allem mit der 2020 ins Leben gerufenen Initiative "Rot gegen Rassismus", die auch heute noch deutlich bei Heimspielen in der Allianz Arena zu erkennen ist. "Der FC Bayern steht als weltoffener Klub für Toleranz sowie gegen Ausgrenzung und Diskriminierung in jeder Form. Gegen Rassismus einzutreten bedeutet, sich mit der Thematik inhaltlich auseinanderzusetzen, sich selbstkritisch und interessiert auszutauschen, zu verstehen und zu handeln", sagte Hainer.
Zudem setzte sich der Klub in diesem Frühjahr, zusammen mit der Telekom, gegen Hass im Netz ein. Thomas Müller, Leon Goretzka und Leroy Sané lasen originale Hassbotschaften vor, um für das Thema zu sensibilisieren. Auch den jüngst in München stattgefundenen Christopher Street Day unterstützte der FC Bayern, an der Seite des Fanclubs "Queerpass Bayern".
Jugendförderung: Nur Musiala und Stanisic konnten sich durchsetzen
Neben dem Administrativen ist Hainer natürlich auch für das zuständig, was auf dem Platz passiert. "Im Sommer 2017 haben wir den Campus des FC Bayern eröffnet. Es ist klar, es wird einige Zeit dauern, bis wir die Früchte ernten können, bis die ersten Spieler aus dem Campus den Sprung zu den Profis schaffen", hielt Hainer in seiner Antrittsrede fest. Selten dürfte Bayerns Präsident so gern grundlegend falsch gelegen haben. Noch in der Saison 2019/20 führte Sebastian Hoeneß die U23 des deutschen Rekordmeisters zur überraschenden Drittliga-Meisterschaft. Die ersten Früchte waren wesentlich früher geerntet, als gedacht und wohl auch zum damaligen Zeitpunkt geplant.

Eine Gruppe von Youngstern um Jamal Musiala, Malik Tillman, Bright Akwo Arrey-Mbi, Joshua Zirkzee und Oliver Batista-Meier durfte sogar zum Champions-League-Finalturnier nach Lissabon mitreisen. Musiala ist heute Stammspieler. Auch Josip Stanisic konnte sich im Kader festsetzen.
Ansonsten ist die Membran zwischen Campus und A-Elf eher semipermeabel. Paul Wanner, ebenfalls ein Toptalent aus der eigenen Jugend, muss um Einsatzminuten kämpfen. Stürmer Grant-Leon Ranos zog es aufgrund mangelnder Perspektive zu Borussia Mönchengladbach.
Natürlich steht vor allem beim FC Bayern der Erfolg im Vordergrund. Spieler haben Einsatzklauseln in ihren Verträgen. Die eigene Jugend einzubauen, gestaltet sich im heutigen Fußball schwierig. Dennoch versucht Trainer Thomas Tuchel, eine Balance zu finden: Anfang Mai durfte Aleksandar Pavlovic, defensiver Mittelfeldspieler der U19, bei den Profis mittrainieren und stand beim 2:1-Auswärtssieg in Bremen, auch erstmals im Profikader. Arijon Ibrahimovic ist inzwischen fester Bestandteil des Kaders.
"Weihnachtsgeschenk von Borussia Dortmund": Sportlich hat Hainer noch Aufholbedarf
Seine Rede von 2019 schloss Hainer mit den Worten: "Ich verspreche euch, wir werden weiterhin sehr genau darauf achten, dass wir die richtige Balance halten: Die Balance zwischen sportlichem Erfolg, starken Zahlen und die Nähe zu unseren bayerischen Wurzeln."
Finanziell ist dem Rekordmeister kein Vorwurf zu machen. Während der Corona-Pandemie gingen die Einnahmen zwar drastisch zurück. In finanzielle Schwierigkeiten geriet der Verein jedoch nie. Auch die Identifikation mit den bayerischen Wurzeln ist gegeben. Woran es hakt, ist der sportliche Erfolg.
"Die Meisterschaft ist ein Weihnachtsgeschenk von Borussia Dortmund", kritisierte jüngst Vereinslegende Klaus Augenthaler. Was den FC Bayern letztlich rettete, waren die Kantersiege in Frankfurt (6:1) und Bochum (7:0) an den ersten drei Spieltagen. Bereits in der vergangenen Spielzeit präsentierte sich der FCB zu wacklig und hatte Glück, dass der BVB damals noch nicht zur Aufholjagd ansetzen konnte. 71 beziehungsweise 79 Punkte sind die schwächsten Werte für die Bayern seit 2011/12, als sie noch komplett ohne Titel ausgingen.
Finale dahoam 2.0.: Kommende Saison muss der FC Bayern den Viertelfinal-Fluch brechen
In beiden Cup-Wettbewerben, sowohl dem DFB-Pokal als auch der Champions League, erreichten die Münchener seit 2020 maximal das Viertelfinale. Will der FC Bayern Stammspieler wie Joshua Kimmich und Alphonso Davies (Vertrag bis 2025) oder Jamal Musiala (2026) auch weiterhin langfristig binden, muss der Verein dringend den Sprung zurück in die europäische Spitze schaffen und wieder zu der Selbstverständlichkeit zurückfinden, mit der das Team unter Jupp Heynckes und Pep Guardiola regelmäßig Halbfinals und Finals erreichte. Vielleicht könnte der dramatische Titelgewinn in Köln etwas in der Mannschaft freigesetzt haben. Per Definition war es kein K.O.-Spiel, aber eine K.O.-Situation, in der man sich – anders als oft in den Vorjahren – durchsetzen konnte.
Für kommende Saison stehen Konrad Laimer und Raphaël Guerreiro als Neuzugänge bereits fest. Kim Min-jae soll zeitnah folgen. Außerdem bemüht sich der FC Bayern um Harry Kane. Die Transfer-Offensive zeigt: In den nächsten beiden Spielzeiten dürfen sich die Münchner keine Aussetzer mehr erlauben.
Erstens, um zu zeigen, dass man sehr wohl noch zur europäischen Spitze gehört und auch, weil 2025 das Champions-League-Finale in der Allianz Arena stattfindet. 2019 betonte Hainer: "Ein zweites Mal ein Finale dahoam. Das wäre doch fantastisch. Wenn wir es dieses Mal erreichen, dann wollen wir es auch gewinnen! Das ist mein großer Traum!" Und vielleicht auch ein Wunsch zum 69. Geburtstag.