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Als Franz Beckenbauer das Olympiastadion wegsprengen wollte und die WM 2006 nach Deutschland holte

AZ-Autor Florian Kinast veröffentlichte die Beckenbauer-Biografie "Mensch, Kaiser". Teil 1 der Serie beleuchtet den Fußball-Funktionär Franz Beckenbauer.
Florian Kinast |
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Franz Beckenbauer holte die WM 2006 nach Deutschland – und wollte für das Turnier ein neues Stadion in München.
Franz Beckenbauer holte die WM 2006 nach Deutschland – und wollte für das Turnier ein neues Stadion in München. © imago/Ulmer

München - In den Jahren vor seinem Tod war es still geworden um Franz Beckenbauer. Nach dem Tod seines Sohnes 2015, den Enthüllungen um die Vergabe der WM 2006 und aufgrund von schweren gesundheitlichen Problemen hat sich die größte Persönlichkeit des deutschen Fußballs immer mehr aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Am 7. Januar 2024 ist Franz Beckenbauer im Alter von 78 Jahren in Salzburg gestorben.

In der am 29. September 2023 erschienenen Biografie "Mensch, Kaiser – Lichtgestalt mit Schattenseiten" beleuchtet AZ-Autor Florian Kinast die Höhen und Tiefen, die sich schon immer durch Beckenbauers Leben zogen und schildert in detailreichen Erzählungen neben seinen Erfolgen als Spieler und Teamchef auch seinen jahrzehntelangen Kampf um Respekt und Wertschätzung.

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Das Buch beleuchtet seine großen Leistungen auf dem Fußballplatz, aber auch von seiner Nähe zu den Mächtigen der bayerischen Politik, seinen Ausflügen in Hochkultur und Gesellschaft, die ihm manchmal das Ansehen eines kosmopolitischen Weltmanns einbrachten – und andere Male den Ruf eines Gockels aus Giesing. Die AZ präsentiert eine fünfteilige Serie. Hier Teil 5 – Beckenbauers Wirken als Funktionär.

In schöner Regelmäßigkeit wettert Franz Beckenbauer gegen das Olympiastadion

Immer wieder wettert Beckenbauer in den späten Neunziger Jahren gegen das Olympiastadion, das nach rund 25 Jahren als Heimspielstätte den Ansprüchen des FC Bayern und – bei aller architektonischen Einzigartigkeit – den damaligen Anforderungen für eine WM-taugliche Arena nicht mehr genügt. "Mit diesem Stadion werden wir nie glücklich", murrt Beckenbauer schon 1997.

Alle paar Wochen kommen neue Standorte für einen möglichen Neubau ins Spiel, ob auf einer Wiese in Freising oder auf dem alten Militärflugplatz in Neubiberg, plötzlich gilt ein 40 Hektar großes Areal in Grub im Münchner Osten als Favorit.

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Beim Termin mit Hoeneß und Rummenigge leistet Beckenbauer sich einen Weißwurst-Fauxpas

Dass nicht alles wie gewünscht läuft, zeigt sich bei einem Ortstermin mit der Bayern-Spitze um Beckenbauer, Hoeneß, Rummenigge, mit Lokalpolitikern und Landtagsabgeordneten. Als Beckenbauer beim Geheimtreffen in der Gaststätte "Gruber Taxet" um 13 Uhr Weißwürste für alle bestellen will, entgegnet ihm der Wirt, als gebürtiger Münchner müsse er doch wissen, dass dies jetzt zu spät sei.

Zeitreise: Die Bayern-Macher Karl-Heinz Rummenigge, Uli Hoeneß und Franz Beckenbauer (v.l.) im Look der wilden 70er, als besonders der Mythos des Kaisers geboren wurde.
Zeitreise: Die Bayern-Macher Karl-Heinz Rummenigge, Uli Hoeneß und Franz Beckenbauer (v.l.) im Look der wilden 70er, als besonders der Mythos des Kaisers geboren wurde. © imago

Weil gemäß der alten Redensart eine Weißwurst das Zwölf-Uhr-Läuten doch nicht hören darf: "Da sind's doch nimmer frisch." Also begnügte man sich mit Sächsischer Sülze samt Bratkartoffeln. Es liegt aber nicht an der kulinarischen Menüauswahl, mehr an der fehlenden Realisierungsmöglichkeit, dass Grub wenig später kein Thema mehr ist. Franz Beckenbauer will nur noch raus aus jener Arena, in der er fünf Jahre lang mit den Bayern große Erfolge als Spieler gefeiert hatte, in der er 1974 Weltmeister geworden war.

Das Olympiastadion hätte Franz Beckenbauer am liebsten weggesprengt

"Am besten, wir sprengen das Stadion weg", so sein berühmtestes Zitat in der damaligen Debatte, "es wird sich doch ein Terrorist auf der Welt finden, der für uns das erledigen kann". Und selbst bei einem Umbau, glaubt er zu wissen, wäre München garantiert nicht Schauplatz ganz großer Begegnungen. "Da kriegen wir höchstens noch Haiti gegen Burundi, aber sonst nichts." Überhaupt bestehe die Stadtspitze ja aus lauter "Schlafmützen".

Kann auch den Grantler geben: Franz Beckenbauer.
Kann auch den Grantler geben: Franz Beckenbauer. © imago

Unter massivem Zeitdruck beginnt die Suche nach einem Areal von vorn, als Franz Beckenbauer Anfang 2001 von einem schon Jahre zuvor erwogenen, schnell aber wieder vergessenen Standort schwärmt. Von einem Gelände am äußersten Stadtrand, direkt südwestlich vom Autobahnkreuz München-Nord.

Dieser Ort in Fröttmaning erinnere ihn an die Zeit in New York, sagt er, hier könne etwas entstehen wie das Giants Stadium in New Jersey, das er für die Heimspiele mit Cosmos New York von Manhattan aus immer ansteuerte. Im Meadowlands Sports Complex, draußen vor der großen Stadt auf der grünen Wiese.

Die Aura des Kaisers: Franz Beckenbauer wird das Zugpferd für die deutsche WM-Bewerbung 2006

Parallel zum Kampf um ein neues Stadion wirbt Beckenbauer als Gallionsfigur der deutschen WM-Kampagne. Für die seit 1992 beim DFB kursierenden Visionen einer Kandidatur für 2006 wird er ab Ende 1996 als Zugpferd eingespannt, als Botschafter der deutschen Bewerbung. Der Name Beckenbauer, so die Hoffnung, seine guten Kontakte, seine Aura und sein Charisma, sollen entscheidend helfen, um sich zum zweiten Mal nach 1974 als Gastgeber dieses globalen Mega-Events präsentieren zu dürfen.

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Dass Beckenbauer intern dem Verband gegenüber natürlich auch unbequem sein kann, als er im Lauf der Bewerbung den gesamten DFB wegen veralteter und verkrusteter Strukturen als "Lachsack" bezeichnet, das überhört man gern.

"Wir halten uns an die Regeln", beteuert Franz Beckenbauer

Und natürlich geht Beckenbauer auch auf sehr diplomatisch sanften Schmusekurs mit dem neuen Fifa-Boss Sepp Blatter. Einen Vorschlag Blatters, die WM künftig im Zwei-Jahres-Turnus auszutragen, würde Beckenbauer zu einer anderen Zeit ohne deutsche Bewerbung vermutlich als hirnlos bezeichnen, vermutlich würde er Blatter einen Lachsack nennen. So aber begrüßt er nun die Idee, stellt sich hinter den neuen starken Mann an der Spitze des Weltverbands.

Fehltritt: Der frühere Fifa-Boss Sepp Blatter.
Fehltritt: Der frühere Fifa-Boss Sepp Blatter. © imago

Doch bei allem Wohlwollen, je näher die Vergabe am 6. Juli 2000 rückt, desto größer werden auch intern die Zweifel, wächst die Skepsis an einem Erfolg immer mehr. Noch größer wird die Nervosität, als sich Brasilien urplötzlich aus dem Kreis der Bewerber zurückzieht und durchsickert, dass der laut späteren Ermittlungen in den ISL-Korruptionsskandal verwickelte Ricardo Teixeira, Verbandspräsident und Schwiegersohn von João Havelange, den Südafrikanern die Stimmen von jenen sieben Fifa-Exko-Mitgliedern verspricht, die er bereits für Brasilien verbucht glaubt.

Für Beckenbauer "genau die Mauschelei, die wir nicht mitmachen wollen", sagt er zwei Tage vor der Abstimmung, und: "Wir halten uns an die Regeln." Seinem Einwurf, man gehe auch nicht mehr ins Hotel der Fifa-Delegierten, entgegnet Fedor Radmann nur knapp und gleichzeitig vieldeutig: "Natürlich sieht und spricht man sich noch."

Die Medien vermuten, Deutschland hätte bei der WM-Bewerbung zu brav agiert

Im Nachhinein bemerkenswert ist ein Bericht auf "Seite Drei" der Süddeutschen Zeitung am 5. Juli, vom Vortag der Vergabe. Unter der Rubrik "Die Mauschler im Milliardenspiel – was man tun und lassen muss, um eine Fußball-Weltmeisterschaft auszutragen" heißt es: "Bewerbungschef Franz Beckenbauer hat eher den Fakten als den Kontakten vertraut – vielleicht darf der Ball deshalb 2006 nicht in Deutschland rollen."

Tenor: Die deutschen Bewerber hätten zu brav agiert, hätten sich auf Fairness berufen und sich nicht den marktüblichen Spielregeln unterworfen, um mit zwielichtigen Absprachen und dubiosen Geschäften die nötigen Stimmen zu sichern. So steht es tatsächlich geschrieben...

Lesen Sie weiter im Buch: Wie Fedor Radmann bei der Bewerbung als Strippenzieher im Hintergrund agierte, wie der DFB einem Fifa-Funktionär eine Kirchenorgel reparierte und seiner Ehefrau die Kniestrümpfe zahlte – und warum es nicht an den ominösen 6,7 Millionen Euro lag, dass die WM nach Deutschland kam. Da floss noch viel mehr.


Florian Kinast: Mensch Kaiser - Lichtgestalt mit Schattenseiten. Lübbe Life, 287 Seiten, 20 Euro, ISBN: 978-3-431-07057-6

Hinweis: Die Serie wurde bereits im September 2023 anlässlich der Publikation der Biografie über Franz Beckenbauer auf abendzeitung.de veröffentlicht und ist nun nach dem Tod des Kaisers geupdatet worden.

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