Experte Christian Danner: "Vettel ist perfekt und knallhart"
München - AZ-Interview mit Christian Danner: Der gebürtige Münchner fuhr von 1985 bis 1989 36 Rennen in der Formel 1. Heute arbeitet der 59-Jährige als TV-Experte für RTL.
AZ: Herr Danner, Sebastian Vettel hatte Glück. Die FIA sprach nach seinem Rammstoß gegen Lewis Hamilton in Baku keine zusätzliche Strafe aus. Wie sehen Sie das Urteil?
CHRISTIAN DANNER: Es war ein Urteil mit Augenmaß. Denn man kann die Formel 1 nicht einerseits zum Männersport ausrufen, aber andererseits von den Fahrern verlangen, dass sie sich wie Memmen benehmen. Vettel ist ohnehin schon bestraft worden. Und Hamilton genauso. Meiner Meinung nach trägt er ja auch eine Mitschuld. So gesehen war es ein gutes Urteil, für die Fahrer, die Meisterschaft und die Zuschauer.
Die Ansicht, dass Hamilton eine Mitschuld trägt, teilen aber längst nicht alle!
Ja, aber es wäre doch kurzsichtig, geradezu ignorant, Hamilton auf einmal als zartes Englein zu bezeichnen, der friedlich durch die Lande fährt, bis ihm der böse, böse Vettel ins Auto kracht. Wenn Sie mal Nico Rosberg fragen über seine Erfahrungen mit Hamilton, dann werden Sie viele Geschichten dazu bekommen, wo Hamilton ihn von der Strecke gefahren hat oder es zu Kollisionen kam. Man kann das Gespräch auch mit Fernando Alonso führen, der ja mit Hamilton früher zusammen bei McLaren gefahren ist. Hamilton ist kein Heiliger.
Aber selbst Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff hat kürzlich erklärt, dass im vergangenen Jahr eher Nico Rosberg der Böse war, nicht Hamilton.
Ich verlasse mich auf das, was ich sehen kann. Das reicht mir. Hamilton ist aus demselben Holz geschnitzt wie Vettel. Sonst wäre er nicht drei Mal Weltmeister geworden.
Welche Außenwirkung hat denn nun das FIA-Urteil? Werden Superstars bevorzugt?
Auf keinen Fall. Wenn man möchte, dass die Fahrer auf der Strecke überholen, mal die Ärmeln hochkrempeln, dann muss man das auch laufenlassen. Es ist schließlich ein Sport für Männer, das war die Formel 1 immer. Nur in den vergangenen Jahren ist sie so soft geworden, dass man sich gestreichelt hat. Das will aber keiner sehen. Und es werden sicher nicht nur die Stars verschont. Die Stewards sind dazu angewiesen, nicht immer gleich einzugreifen. In Aserbaidschan haben sie mit viel Menschenverstand gehandelt.
Nun ist Vettel seinem Rivalen aber nicht im Rennen, sondern während der Safety-Car-Phase ins Auto gefahren. Das sehen viele als unsportlich. Im Fußball wäre das eine Tätlichkeit.
Im Fußball kenne ich mich nicht aus, dafür umso besser in den Regeln des Motorsports. Da sind solche Dinge, wie Vettel gemacht hat, verboten. Und deshalb ist er auch bestraft worden. Wäre er das nicht, hätte er das Rennen gewonnen. Also war es eine relativ krasse Strafe. Die Verwarnung, die er dann von der FIA noch dazu bekommen hat, stellt sowas von sicher, dass er solche Dinge nicht mehr macht. Denn wenn doch, wird er für ein Rennen ausgeschlossen und dann wird es schwierig mit der WM.
Werden wir demnächst einen geläuterten, einen vorsichtigen Vettel auf der Strecke sehen?
Sicher nicht, der fährt genauso weiter, wie er kann. Der Kerl ist nicht umsonst vier Mal Weltmeister geworden, der kennt sich aus im Geschäft. Der ist eisenhart. Wir wollen doch alle keine Pfeifenlutscher gegeneinander streicheln sehen. Wir wollen doch die aktuell zwei besten Fahrer der Welt auf den aktuell zwei besten Autos gegeneinander kämpfen sehen. Sollen sie fahren!
Also bietet die Formel 1 jetzt genau das, was man in den Vorjahren vermisst hat?
Natürlich. Halleluja! Endlich! Da gehört natürlich auch dazu, dass Pirelli in diesem Jahr einen Reifen gebaut hat, der sehr belastbar ist. Jeder muss jetzt volles Kanonenrohr fahren, in jeder Runde. Nicht so wie im letzten Jahr, als die Reifen abgebaut haben. Jetzt bekommt man die Zweikämpfe, die man wollte.
Schrauben Vettel und Hamilton mit ihren Scharmützeln an ihrem Legendenstatus? So wie einst Ayrton Senna und Alain Prost?
Sicher machen sie das, aber nicht bewusst. Da wird keiner sagen: "Du, fahr mir mal ins Auto." Es sind einfach die zwei Besten und es ist völlig legitim, dass es da raucht.
Leidet darunter aber nicht auch das Image? Zumindest Vettel galt immer noch als der brave Sonnyboy. Das könnte sich jetzt geändert haben.
Also für mich, als Insider, als jemand, der seit Jahren mit diesem Burschen Wochenende für Wochenende an der Rennstrecke ist, hat sich gar nichts geändert. Ich wusste von Anfang an, dass das ein Pseudo-Image ist. Der Mann ist vier Mal Weltmeister geworden und da kannst du nicht nur mit Heidschi-Bumbeidschi und Kinderwagen-Schieben um die Ecke fahren. Vettel ist genauso, wie er sein muss: perfekt und knallhart. Und Hamilton ist das auch. Was da an Social-Life dahintersteckt, ist mir persönlich Jacke wie Hose.
Aus einem Everybody’s Darling wird also nie ein Weltmeister?
Genau. Dazu eine kleine Anekdote: Nach der Übertragung aus Baku, wo ich wirklich beiden Fahrern die Schuld gegeben habe, bekam ich massenweise Mails von RTL-Zuschauern. Genau die Hälfte schrieb: "Wie kannst du immer nur auf dem Vettel seiner Seite sein?" Und die andere Hälfte meinte: "Wie kannst du nur zu Hamilton halten? Der war doch immer schon so böse!" Da hab ich mir dann gedacht, eigentlich hätte jemand schreiben können: "Du hast recht, beide sind genau gleich schlimm." (lacht) Aber leider hat das keiner bemerkt. Objektiv betrachtet, ist das doch herrlich anzusehen: Zwei Fahrer auf Augenhöhe, einer so gnadenlos wie der andere.
Ein spannender Zweikampf. Sehen wir vielleicht bald einen Dreikampf? Immerhin hat Daniel Ricciardo zuletzt gewonnen und nun in Österreich haben die Red Bulls Heimspiel.
Psychologisch war das sicher wichtig für Red Bull, aber vom reinen Speed sind sie noch nicht mit Mercedes und Ferrari auf Augenhöhe. Die Strecke in Spielberg ist eigentlich den Mercedes auf den Leib geschneidert. Eines ist sicher. Der Dreikampf kommt schon noch. Wenn nicht mehr in diesem Jahr, dann spätestens nächste Saison.
Lesen Sie hier den AZ-Kommentar: Rambo Vettel - Urteil der Feigheit