European Championships: Rudern? Hauen und Stechen!
München - An der Regattastrecke im Münchner Norden war am Montag wieder Ruhe eingekehrt. Nach vier spannenden Wettkampftagen, nach insgesamt 24 Entscheidungen bei der EM in Rudern.
Verbaler Rundumschlag
Wirkte die Szenerie zumindest an der Anlage selbst recht beschaulich, ging unterdessen das interne Beben im deutschen Verband weiter. Nach dem verbalen Rundumschlag und der Generalabrechnung von Oliver Zeidler schlagen die Wellen weiter hoch, nun wehrte sich Bundestrainerin Brigitte Bielig via Abendzeitung mit Nachdruck gegen die massiven Attacken und übte nun ihrerseits Kritik am früheren Welt- und Europameister.
Die Gräben sind tief, die Fronten verhärtet. Es ist einiges aus dem Ruder gelaufen. Am Sonntag war Zeidlers Goldtraum im Einer auf den letzten Metern geplatzt, kurz vor dem Ziel brach der 26-Jährige entkräftet ein, wurde am Ende nur Vierter.

Breitseite gegen Verband
Dafür hatte er später noch reichlich Energie, um erneut eine Breitseite gegen den Verband zu fahren, insbesondere gegen Bundestrainerin Bielig und Sportdirektor Mario Woldt. Hatte Zeidler schon vor der EM heftige Kritik geübt ("Wir haben im Verband niemanden, der Ahnung hat vom Leistungssport"), legte er nun am Sonntag nach.
Bielig fehlt das Verständnis
"Wenn man nach meiner Kritik an der Professionalität im Leistungsrudersport einfach sagt, dass man nicht weiß, worüber man spricht, dann ist das auch so ein Indiz dafür, dass einerseits der deutsche Sportdirektor vom Sport wirklich wenig Ahnung hat", meinte Zeidler: "Und zweitens unsere beiden Leitungspositionen im Rudersport eigentlich überhaupt keine Ahnung haben, was bei unseren Stützpunkten abgeht." Aussagen, die bei Brigitte Bielig auf Verwunderung stießen - und auf völliges Unverständnis.
"Solche Dinge sollte man intern besprechen"
"Ich fand das überhaupt nicht in Ordnung", so Bielig am Montag im Gespräch mit der AZ, "solche Dinge sollte man intern besprechen und kein Bohei in den Medien machen. Außerdem habe ich die Kritik inhaltlich nicht verstanden, es war sehr vage und unkonkret. Ich bin seit 30 Jahren im Verband aktiv, habe als Trainerin WM-Titel in allen Altersklassen gewonnen. Ich weiß nicht, was er da an Inkompetenz sieht, und glaube, er erkennt das große Ganze nicht."

Fokus auf das Rennen
Erst vergangenen Mittwoch hat sie sich mit den Zeidlers (Oliver sowie seinen Vater und Trainer Heino) zu einem zweistündigen Gespräch zusammengesetzt, man hat sich für ein weiteres Treffen nach der EM verabredet, um den Fokus auf das Rennen am Sonntag nicht zu stören.
"Dass er Kritik auf diese Art äußert, nervt einfach"
Umso größer ihre Irritation, als Zeidler vor Kameras und Mikrofonen erneut gegen die sportliche Leitung polterte. Bielings unmissverständlicher Konter: "Oliver schließt sich bei zentralen Maßnahmen komplett aus, nur einmal war er mit im Trainingslager, da hat es ihm aber nicht gefallen. Dass er Kritik auf diese Art äußert, nervt einfach, weil es viel Zeit in Anspruch nimmt. Es ist auch unfair, solche Wäsche über die Medien zu waschen."
Dass die Nerven im deutschen Rudern gerade blank zu liegen, liegt natürlich auch an der miserablen Medaillenausbeute. In den Olympischen Bootsklassen gab es nur einmal Bronze durch Alexandra Föster im Einer.
Ein Umbruchsjahr
Hört man sich beim Verband um, sprechen alle Beteiligten von einem Umbruchsjahr. Nach Olympia in Tokio hätte die Hälfte der Spitzenathleten aufgehört, sei jeder der vier Starter bei Männern und Frauen in München unter 23 Jahren gewesen. "Mit einem Medaillenregen konnten wir da wahrlich nicht rechnen", so Sportdirektor Woldt zur AZ. "Was uns natürlich zu denken gibt, sind die mitunter recht großen Abstände zu den vorderen Rängen."
Großer Streitpunkt zwischen Athleten und Verband
Liegt das aber wirklich nur am Umbruch? Am Aufbau einer neuen, jungen Mannschaft im Hinblick auf Olympia 2024? Wohl eher nicht, einer der großen Streitpunkte zwischen Athleten und Verband ist gerade das Trainingssystem. Viele Sportler bevorzugen regionale Stützpunkte nahe der Heimat oder dem Studienort. Die Verantwortlichen wie Bielig oder Woldt hingegen plädieren speziell in den Mannschaftsbooten für zentrale Lösungen.
Plädoyer für einheitliche Trainingsmethodik
Gerade in den Mittel- und Großbooten müssen die Sportler dicht zusammen rudern, auch wegen der einheitlichen Trainingsmethodik. Es ist nicht erfolgversprechend, wenn wir in einem Doppelvierer drei unterschiedliche Rudertechniken haben. In den anderen erfolgreichen Nationen wie den Niederlanden, Großbritannien oder auch Australien und Neuseeland gibt es maximal ein bis zwei nationale Stützpunkte".
Gleichzeitig stellte Woldt seinerseits die Einstellung mancher deutschen Ruderer infrage: "Wenn der Kopf nicht mitmacht und der Athlet das System innerlich ablehnt, dann wird es schwierig."
Zeidler gibt sich bedeckt
Zur Kritik von Zeidler an ihm selbst gab er sich bedeckt. "Das war sehr persönlich, niemand möchte öffentlich hören, er sei inkompetent. Aber ich muss das aushalten, ich hoffe, dass wir zeitnah zu einem Gespräch zusammenkommen und dann in Ruhe über die inhaltlichen Punkte sprechen", sage Woldt nur. Viel Zeit vor dem nächsten Saisonhöhepunkt bleibt nicht, am 18. September beginnt die WM im tschechischen Racice, und dort warten bereits die nächsten Schwierigkeiten.
Zwei erfahrene Ruderer fehlen
Nach AZ-Informationen muss der deutsche Achter dann auf zwei seiner erfahrensten Ruderer verzichten, auf Olaf Roggensack und Laurits Follert. Beide haben genau zu dieser Zeit Prüfungstermine bei ihrem Arbeitgeber, der Bundespolizei. Und ob Oliver Zeidler dann plötzlich voll harmonischer Euphorie Verband und Trainer in höchsten Tönen loben wird, darf auch bezweifelt werden. Es wird noch dauern, bis sich beim Rudern die Wogen glätten.
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