Yannic Seidenberg im AZ-Interview: „Das Gifthaferl steckt noch in mir“
München - AZ-Interview mit Yannic Seidenberg: Der 37-jährige Verteidiger spielt seit 2013 beim EHC Red Bull München, holte in der Zeit drei Mal die deutsche Meisterschaft. Mit 1053 DEL-Partien liegt er auf Platz fünf der Rekordspieler-Liste in der Liga.
AZ: Herr Seidenberg, am Freitag geht es für Sie mit dem EHC Red Bull München gegen die Wolfsburg Grizzlys. Das ist auch das Duell der beiden einzigen noch aktiven Spieler, die es in der DEL auf bisher über 1.000 Einsätze gebracht haben - Sie und Wolfsburgs Sebastian Furchner...
YANNIC SEIDENBERG: Das stimmt, es ist schon lustig. Der Furchi und ich haben ja auch 2004/05 eine Saison zusammen bei den Kölner Haien gespielt. Das hätten wir uns damals sicher auch beide nicht träumen lassen, dass wir gut 15 Jahre später immer noch auf dem Eis stehen und beide über 1.000 Spiele auf dem Buckel haben. Ich freue mich immer, gegen ihn zu spielen, aber es ist jetzt auch nicht so, dass wir vor solchen Partien noch groß miteinander telefonieren. Da gibt es nur eine Handvoll Spieler, mit denen ich das mache. Wenn man dreifacher Vater ist, dann weiß man Besseres mit seiner Zeit anzufangen, als ständig am Telefon zu hängen und auch noch in der Freizeit über Eishockey zu sprechen (lacht).
Muss Mirko Lüdemann noch um seinen ewigen Rekord bangen? Er hat 1.199 Einsätze, Sie bringen es mit Ihren 37 Jahren auf immerhin schon 1053 DEL-Spiele.
Wir werden sehen, wo die Reise hingeht. Ich will auf jeden Fall noch ein paar Jahre spielen. So lange der Körper mitmacht und ich weiter Spaß an der Sache habe, denke ich auch gar nicht ans Aufhören.
Yannic Seidenberg: "Ich fühle mich jünger als ich bin"
Ihr Debüt gaben Sie am 7. September 2001...
Lang, lang ist es her, Wahnsinn. Ich weiß noch, wie froh ich war, überhaupt ein DEL-Spiel zu machen, und jetzt sind es doch einige mehr geworden (lacht). Ich hatte ja das große Glück - anders als Furchner -, dass ich in den späteren Jahren meiner Karriere hier in München drei Mal Meister werden durfte. Das ist so ein großartiges Gefühl, dass man dies immer wieder erleben will. Mein Hunger, meine Leidenschaft, mein Spaß sind immer noch wie früher. Klar ist es so, dass ich heute manchmal vielleicht ein bisschen müder und schwerer nach einem harten Spiel aus dem Bett komme. Früher wäre ich nach so einer Partie mit den Jungs noch ein Bier trinken gegangen, heute regeneriere ich lieber. Und meine Fitnesswerte werden eigentlich auch von Jahr zu Jahr noch immer besser. Schlicht, weil ich meinen Körper besser kenne. Ich weiß, wann ich ihm jetzt mal eine Pause gönnen muss oder wo ich einen gezielten Reiz setzen muss, um die richtigen Reaktionen zu erzeugen. Manchmal wäre es schön, den Körper von früher und den Geist und Verstand von heute zu haben. Aber alles in allem fühle ich mich jünger als ich bin.

Seit der Bart weg ist, sehen Sie auch wieder ein paar Jahre jünger aus...
(lacht) Es fühlt sich zumindest frischer an, das muss man schon sagen.
Sie sprachen die Meisterschaften an: In der vergangenen Saison scheiterten die Red Bulls fast sensationell bereits im Viertelfinale am ERC Ingolstadt. Wie lange haben Sie, der ja als rechtes Gifthaferl bekannt ist, heutzutage an so einer Niederlage zu nagen?
Schon eine Zeit, gerade, wenn man weiß, was möglich gewesen wäre, denn wir hatten eigentlich auch da eine gute Mannschaft. Es ist jetzt aber nicht so, dass mir das noch den ganzen Sommer schlechte Laune bereitet. So eine Niederlage ist Ansporn, es besser zu machen. Früher war ich da sicher anders, da hatte ich mich auch nicht so unter Kontrolle. Sie können sicher sein: Das Gifthaferl, das steckt immer noch in mir. Ich versuche nur, heute etwas schlauer zu spielen. Immer noch hart, aber vielleicht in der Hauptrunde nicht ganz so giftig. Emotionen können dir helfen, aber sie können dir auch schaden, wenn sie die Kontrolle über dich übernehmen. Gerade in der Corona-Zeit hatte ich viel Zeit, mich selbst zu hinterfragen, mich mit mir auch selber zu beschäftigen, klar zu definieren, wo für mich auch als Mensch, die Prioritäten liegen. Da hat sich schon einiges getan bei mir.
Seidenberg gibt das Motorrad für die Familie auf
Sie haben zum Beispiel Atemübungen für sich entdeckt.
Absolut. Das mache ich immer noch mehr. Es tut mir ganz persönlich gut, und es hilft mir, meine Balance zu finden. Es macht mir Spaß, mich mit diesen Dingen zu beschäftigen und so das Optimum aus sich herauszuholen.
Sie sprachen die Corona-Zeiten an. Wie wichtig ist es für Sie als Spieler, dass jetzt wieder Fans im Stadion sind? Früher hat man sich sicher manchmal geärgert, wenn man daheim ausgebuht wurde, jetzt ist man sicher dankbar, dass überhaupt Stimmung auf den Rängen ist.
Vollkommen richtig. Es stimmt: Wenn man früher ausgepfiffen und ausgebuht wurde, hat man sich schon gedacht: Was soll das denn? Aber ich habe als Spieler so extrem gemerkt, wie mich die Fans, die Stimmung pushen. Es ist ein ganz anderes Spiel, wenn man die Fans im Stadion hat, das lässt sich wirklich gar nicht vergleichen. Ich hoffe sehr, dass bald noch mehr unserer Anhänger live dabei sein werden und möglichst bald viele der Maßnahmen wieder zurückgenommen werden können. Wir müssen alle irgendwie zu einem halbwegs normalen Leben zurückfinden. So unschön die Erfahrungen sind, die wir alle mit diesem Virus machen mussten, aber man hat für sich selber genau sehen können, was wichtig ist, was man schützen will, was einem am Herzen liegt.
Apropos schützen: Machen Sie noch weiter Ihre Motorrad-Touren?
Nein, ich habe das Motorrad verkauft. Klar war es geil, aber es ist halt auch sehr gefährlich. Man muss immer für die anderen mitdenken, und alles kann man eben nicht voraussehen. Als Familienvater habe ich eben nicht nur für mich selbst die Verantwortung, sondern muss einfach auch schauen, unnötige Gefahren zu vermeiden. Ich fahre jetzt lieber auf meiner Vespa zum Training. Da bin ich viel schneller durch die Münchner Staus hindurch. Das bringt mir was - und der Familie, für die ich so einfach mehr Zeit habe.
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