Toni Söderholm: "Es erfordert sehr viel Zeit, Energie, Arbeit und Geld"
München - Toni Söderholm im AZ-Interview: Der 42-Jährige war 2007 Vizeweltmeister mit der finnischen Nationalmannschaft, 2015/16 spielte er beim EHC Red Bull München. Seit dem 1. Januar 2019 ist er Bundestrainer. In der AZ spricht er über seine Corona-Erkrankung, Eishockey und der Deutschland-Cup in Zeiten der Pandemie und die Identität der deutschen Eishockey-Mannschaft.
AZ: Herr Söderholm, bevor wir über den Deutschland-Cup und das deutsche Eishockey an sich reden, die wichtigste Frage: Wie geht es Ihnen nach Ihrer diagnostizierten Corona-Erkrankung momentan?
Toni Söderholm: Zum Glück wieder ziemlich gut. Ich bin nahezu symptomfrei, der Geschmacks- und Geruchssinn ist noch nicht ganz hergestellt, aber auch das wird besser. Mir ging es einige Tage nicht wirklich gut, ich hatte hohes Fieber, war sehr schlapp, aber jetzt fühle ich mich schon wieder fast ganz wie Toni Söderholm. Natürlich war es ärgerlich, dass ich aufgrund der Infektion nicht als Trainer vor Ort dabei sein konnte, aber man muss ganz klar sagen: Wenn dies das einzige Opfer ist, dass ich in dieser schrecklichen Corona-Pandemie bringen muss, dann bin noch gut davon gekommen. Es gibt viel zu viele Menschen, die es viel härter getroffen hat.
Haben Sie irgendeine Ahnung, wo Sie sich infiziert haben?
Nicht wirklich. Wir haben uns sehr viele Gedanken gemacht und die einzige Möglichkeit, die uns eingefallen ist, ist eigentlich viel zu lange her, als das sie für meine Infektion verantwortlich sein könnte. Denn wir leben alle extrem vorsichtig, halten alle Regeln ein, haben kaum Kontakt nach draußen, treffen nur die gleichen Personen. Daher ist es für mich ein bisschen ein Rätsel, wo ich mich angesteckt habe.
Der Deutschland-Cup war auch ein bisschen als Testlauf, als Wegweiser, als Signal an die Politik, die Verbände und die Vereine gedacht, dass Eishockey auch in Zeiten von Corona möglich ist, wenn man ein gutes Konzept hat und das auch gewissenhaft umsetzt . . .
Richtig. Und ich denke, dass es uns sehr gut gelungen ist. Wir haben bewiesen, dass es möglich ist, Eishockey zu spielen. Ja, die Umsetzung erfordert sehr viel Energie, Zeit, Arbeit und natürlich auch Geld. Aber es ist den ganzen Aufwand wert. Wir alle wollen, dass wieder richtig Eishockey gespielt wird, und für mich als Bundestrainer ist es natürlich wichtig, dass die Spieler in ihren Vereinen Spielpraxis kriegen, deswegen wäre es so wichtig, dass die DEL den Ligabetrieb wieder aufnimmt. Glaube ich, dass wir eine Vorrunde mit 52 Spielen absolvieren werden und können? Das glaube ich eher nicht, aber ich bin sicher, dass wir 40 Partien stemmen können. Man muss sich der neuen Realität anpassen. Man muss auch sagen, unsere Spieler haben es beim Deutschland-Cup sehr gut vorgelebt. Das war vorbildlich, alle wurden schon vorab auf Corona getestet, es wurden die Hygiene- und Abstandsvorgaben bestens umgesetzt. Man hat einfach gemerkt, wie sehr die Spieler alles tun wollen, um ihren Sport wieder mit ganzem Herzen ausüben zu können.
Vielen Spielern fehlt einfach die Spielpraxis
War es schwer für Sie, die Mannschaft aus der Ferne über Videoschalten auf die Spiele vorzubereiten?
Ja, denn ich denke, dass eine meiner Stärken - sofern man so etwas überhaupt über sich sagen kann - ist, dass ich die Emotionen der Spieler sehr gut erkenne, verstehe und auf sie einwirken kann. Das kann man aber nur, wenn man da ist, wenn man in die Augen schauen kann. Das kann auch die beste Technik nicht ersetzen. Ich habe mit den Trainern vor Ort sicher drei, vier Mal am Tag telefoniert, ich habe auch in den Drittelpausen beim ersten und dritten Spiel angerufen und mitgeteilt, was ich glaube, gesehen zu haben, wo es Verbesserungspotenzial gibt.

Wo gibt es was zu verbessern? Deutschland verlor ja im Finale gegen Lettland nach Verlängerung.
Man hat gemerkt, dass vielen Spielern einfach die Spielpraxis fehlt. Wir haben sicher einen großen Teil der gemeinsamen Zeit damit verbringen müssen, Fehler zu korrigieren und nicht so viel Fokus auf die technisch-taktische Feinarbeit legen können. Aber das ist normal, wir haben uns nicht ausgesucht, dass wir über ein halbes Jahr nicht Eishockey unter Wettkampfbedingungen spielen konnten. Lettland war ein sehr guter Gegner für uns, weil sie uns mit sehr viel Härte begegnet sind, und wir darauf reagieren mussten, dass wir mit unserem Charakter, unserer Identität dagegenhalten müssen.
"Werte muss man leben"
Wie würden Sie diese Identität beschreiben?
Wir agieren mit sehr viel Stolz. Wir sind stolz auf das, was wir machen und was wir repräsentieren. Wir spielen voller Leidenschaft, mit viel Herz und Willen. Daran wird es einer deutschen Mannschaft wahrscheinlich nie fehlen. Gleichzeitig muss man von Jahrgang zu Jahrgang, von Generation zu Generation genau diese Werte immer wieder in die Mannschaft tragen, denn diese Werte muss man leben, mit Leben erfüllen. Dafür sind die erfahrenen Spieler so wichtig, dass sie den Jungen das vorleben, was wir sind und sein wollen.
Sie sprachen die Dinge an, die das deutsche Eishockey ausmacht. Es klang so, als würde ein Aber mitschwingen.
Ich glaube, dass man noch viel zu viel in Kategorien von kleinen und großen Gegnern gedacht hat und manchmal anders in diese Partien gegangen ist. Ich sehe es so: Man kann jede Mannschaft schlagen, aber auch gegen jede verlieren. Man muss immer sein Bestes geben und seiner Identität entsprechend agieren, das darf sich nicht ändern, nur weil man gegen eine vermeintlich große oder vermeintlich kleine Eishockey-Nation spielt. Es hat sich viel getan, aber wir sind noch nicht am Ende dieser Entwicklung.
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