DESG in der Olympia-Krise: "Keine Medaillenzauberer"

Zwei Medaillenhoffnungen der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft haben sich bei den Winterspielen in Sotschi nicht erfüllt. Wohl nur Claudia Pechstein kann den Verband noch vor einem historischen Debakel retten.
von  SID
Kann Claudia Pechstein den deutschen Eisschnelllauf vor einem kompletten Debakel retten?
Kann Claudia Pechstein den deutschen Eisschnelllauf vor einem kompletten Debakel retten? © dpa

Sotschi – Wer Gerd Heinze, den Präsidenten der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG), in Sotschi auf dem Diensthandy anruft, erreicht am anderen Ende der Leitung mitunter Matthias Große. Der Immobilienmakler ist der Lebensgefährte von Claudia Pechstein, für die Winterspiele in Sotschi ist er vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) nicht unumstritten als Betreuer des DESG-Teams akkreditiert worden.

Große ist für den Verbandsboss in Sotschi regelmäßig Ansprechpartner. Kein Wunder, denn die DESG ist auf Pechsteins Erfolg angewiesen. Nach den verpassten Medaillenchancen über 3000 m (Pechstein) und 500 m (Jenny Wolf) kann wohl nur noch die fünfmalige Olympiasiegerin für Edelmetall sorgen.

Der Medaillenschrank ist leer, die Stimmung im Keller – nach den wichtigen Entscheidungen der ersten Woche muss sich der Verband auf ein Debakel einstellen. Erstmals seit 50 Jahren könnten deutsche Kufenflitzer das bei Olympischen Spielen das Podest verfehlen.

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"Was soll ich sagen?", fragte DESG-Präsident Gerd Heinze am Mittwoch, "wir haben uns eine Medaille gewünscht. Aber wir sind keine Zauberer."

Nur Pechstein ist am 19. Februar über 5000 m noch ernsthafte Medaillen-Kandidatin und letzte echte Hoffnungsträgerin. Ansonsten läuft der DESG-Tross der Weltspitze regelmäßig hinterher. Ausgerechnet Claudia Pechstein. Die Berlinerin wird drei Tage nach ihrem letzten Auftritt in Sotschi 42 Jahre alt, ihre Zukunft als Athletin ist trotz Gedanken an eine Fortsetzung ihrer Laufbahn ungewiss. Jenny Wolf (35) kehrt den Spielen nach dem 1000-m-Rennen am Donnerstag endgültig den Rücken. Dann droht der DESG bei internationalen Wettkämpfen eine Ergebniskrise, bei der Zauberei tatsächlich von Vorteil wäre.

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"Wenn die größte Hoffnung in einer Sportart auf einer beinahe 42 Jahre alten Athletin liegt, ist das schade und frustrierend", kritisierte zuletzt Pechsteins frühere Dauerrivalin Anni Friesinger-Postma. Die DESG hat wohlige Jahre hinter sich. Die goldene Generation um Pechstein, Wolf, Friesinger-Postma oder Daniela Anschütz-Thoms sorgte für Siege in Serie. Sponsoren standen Schlange und zahlten gut, die TV-Sender verzeichneten hohe Einschaltquoten. Doch der Verband verschlief die Entwicklung, die Strukturen gelten Kritikern etwa im Vergleich zu den in Sotschi übermäßig erfolgreichen Niederländern als veraltet. Es fehlt an hochklassigem Nachwuchs.

Auch für die Finanzierung des chronisch klammen Verbandes wäre ausbleibender Erfolg in den Verhandlungen über künftige Fördermittel des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) ein Rückschlag, der DESG drohen schmerzhafte Kürzungen. Der Medaillenkorridor war von anfangs fünf Podestplätzen bereits auf zwei bis drei reduziert worden. "Ich habe vollstes Vertrauen in meine Partner", sagt Heinze.

Vor der DESG und dem knorrigen Heinze liegt viel Entwicklungsarbeit. Ein verdienter Trainer wie Stephan Gneupel tritt nach Sotschi altersbedingt zurück, ein geeigneter Nachfolger ist nicht in Sicht. Angesichts mäßiger Bezahlung und fehlendem Ansehen in Deutschland sei es laut Heinze schwer, adäquaten Ersatz zu finden. "Letztendlich muss man sich der Aufgabe stellen. Der Umbruch geht nicht von einem Jahr auf das andere", sagt er.

Auch um die Stimmung im Team ist es spätestens seit der Auseinandersetzung zwischen Pechstein und Stephanie Beckert abermals schlecht bestellt. Auch herrscht zwischen den Stützpunkten Berlin und Erfurt ein ausgeprägtes Konkurrenzdenken. Dem Verband bleibt zu wünschen, dass am Schwarzen Meer durch Hoffnungsträger wie Samuel Schwarz oder Patrick Beckert doch noch ein Überraschungscoup gelingt.

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