DESG in der Krise: Ratlos in die düstere Zukunft
Sotschi – Finanzielle Kürzungen, zweitklassiger Nachwuchs und ein weiter schwelender Konflikt zwischen Claudia Pechstein und Stephanie Beckert: Die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG) blickt nach dem ersten Olympia-Auftritt ohne Medaille seit 50 Jahren einer düsteren Zukunft entgegen. Im Verband ist man um Optimismus bemüht, angesichts der zahlreichen strukturellen Probleme aber anscheinend überfordert.
"Wir werden Konsequenzen ziehen", sagte Präsident Gerd Heinze am Donnerstag und hielt sich mit konkreten Konzepten ebenso bedeckt wie Sportdirektor Günter Schumacher, der "den Hebel an den richtigen Stellen ansetzen" will. Lösungen sollen in Gesprächen in den kommenden Wochen erörtert werden. Die hohen Herren der DESG sollten sich beeilen, denn die Mängelliste ist lang.
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Besonders hart treffen den chronisch klammen Verband die bevorstehenden Kürzungen der Fördermittel des Bundesministerium des Innern. Die Gesamtfördersumme, die sich aus Grundförderung und Projetkmitteln zusammensetzt, betrug im Vorjahr 1,83 Millionen Euro. Dieser Wert wird angesichts der fehlenden Medaillen bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi nicht zu halten sein. Zudem läuft der Vertrag mit dem Hauptsponsor DKB im Sommer aus, eine Verlängerung dürfte es nur zu verringerten Konditionen geben.
Man stelle sich auf Einsparungen ein, heißt es im Verband. Damit gerät er in einen Teufelskreis. Weniger Lehrgänge und Trainingslager werden als Optionen genannt, sogar Weltcups in Fernost könnten vermutlich nicht mehr in voller Stärke besetzt werden. "Es kostet eine Menge Geld, eine Delegation nach Japan oder China zu schicken", sagte Schumacher. Doch nur über Weltcups werden Plätze für Weltmeisterschaften oder Olympische Winterspiele vergeben und damit Anreize für die Athleten geschaffen. "Wir können uns auch totsparen", sagte Heinze.
Schon jetzt hat die DESG ein massives Nachwuchsproblem. "Es sind keine anderen Sportler da als die, die jetzt bei Olympia waren", sagte Schumacher. Es könne niemand die Lücke schließen. Angesichts des Abschneidens in Sotschi gleicht dies einer Bankrotterklärung.
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Kritisch ist etwa die Lage im Sprintbereich der Frauen durch das bevorstehende Karriereende der fünfmaligen Weltmeisterin Jenny Wolf. Als "völlig unzureichend" bezeichnete Bundestrainer Thomas Schubert die Nachwuchs-Situation: "Die Bäckerei wird kleinere Brötchen backen müssen."
Die Mitgliederzahlen der DESG sind niedrig, nur 1200 Personen sind derzeit registriert, nicht alle als aktive Sportler. Zum Vergleich: In den Niederlanden, wo Eislaufen Volkssport ist, treiben 150.000 Menschen den Sport. 15.000 besitzen die Wettkampflizenz, 50 Prozent davon sind unter 18 Jahre alt. In Sotschi holte Oranje nicht von ungefähr vier Dreifachsiege.
In Deutschland dagegen hat die breite Öffentlichkeit das Interesse an Eisschnelllauf dagegen längst verloren. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts puls im Auftrag des SID gaben nur zwei Prozent des deutschen TV-Publikums Eisschnelllauf als ihre favorisierte Sotschi-Sportart an.
"Die Attraktivität des Eisschnelllaufens hat fürchterlich gelitten", sagte Mehrkampf-Bundestrainer Stephan Gneupel. Ein 10.000-m-Rennen interessiere "keine Sau mehr". Gneupel beendet nach der Saison seine Karriere, auch Schubert tritt kürzer. Laut Schumacher sollen nun junge Trainer "Zug um Zug in die Verantwortung genommen werden." Angesichts geringer Bezahlung und schlechter Perspektiven gestaltet sich die Suche nach geeigneten Nachfolgern schwierig.
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Zu allem Überfluss hat die DESG weiter mit dem Zickenzoff zwischen Pechstein und Beckert zu kämpfen. "Wir haben versucht, als Vermittler aufzutreten und alles gegeben, das anzugehen. Im Moment gibt es aber kein Patentrezept", sagte Schumacher zu Beckerts Vorwürfen, nicht ausreichend unterstützt worden zu sein. Eine Bevorzugung Pechsteins wies er zurück.
Nun, so ist aus Verbandskreisen zu hören, verzichtet man künftig möglicherweise auf eine Akkreditierung von Pechsteins umstrittenen Lebensgefährten Matthias Große bei den Weltcups. Pechstein, die ihre Laufbahn bis Pyeongchang 2018 fortsetzen will, dürfte das nicht schmecken. Die nächste Krise kommt bestimmt.
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