Anni Friesinger-Postma im AZ-Interview: "Claudia Pechstein? Das ist unglaublich!"
München - AZ-Interview mit Anni Friesinger-Postma: Die 45-Jährige holte sich 16 WM-Titel im Eisschnelllauf, bei Olympischen Spielen gewann sie drei Mal Gold und zwei Mal Bronze. Heute arbeitet sie als Expertin für TV-Sender "Eurosport".
AZ: Frau Friesinger, vier Mal haben Sie Olympische Spiele als Athletin erlebt, von 1998 in Nagano bis 2010 in Vancouver. Wie ergeht es Ihnen mit diesen speziellen Spielen von Peking?
ANNI FRIESINGER-POSTMA: Ich habe mich genauso auf diese Spiele wie zuvor auf Pyeongchang oder Sotschi gefreut. Ich bin froh, dass es für die Sportler möglich ist, Olympische Spiele erleben zu dürfen. Es sind ja auch so viele Randsportarten dabei, die nur alle vier Jahre die Chance haben, mal im Fokus zu sein. Der Anlauf war für die Sportler ja wirklich schon schwer genug. Ich bin sehr gespannt, was im Eisschnelllauf alles so geboten wird.
Das sind Friesingers liebste Olympia-Erinnerungen
Drei Mal Gold und zwei Mal Bronze lautet Ihre olympische Erfolgsbilanz. Was waren im Rückblick Ihre stimmungsvollsten, schönsten Spiele?
Der größte Erfolg war 2002 in Salt Lake City mit der Goldmedaille über die 1.500 Meter. Aber Olympia war jedes Mal eine andere Geschichte. Nagano war beeindruckend, ich hatte keinen Druck - und bin mit Bronze zurückgekehrt. Turin und Salt Lake City waren anders: Ich war Medaillengarant, bin auch mit Gold nach Hause gekommen, aber irgendwie ein saueres Gefühl war schon dabei. Vancouver konnte ich dagegen einfach nur genießen. Das waren meine letzten Spiele, ich war verletzt am Knie - und konnte mein ganzes Potenzial nicht ausschöpfen. Aber es war trotzdem cool. Jetzt in Peking ist es natürlich schade, dass corona-bedingt keine Zuschauer im Stadion sein dürfen, aber das sind die Athleten jetzt auch schon gewohnt. Wenn ich bei Spielen war, war ich immer in einer Art Bubble. Als Athlet, der viele Starts hat, bist du eh nur zwischen der Sportstätte und dem olympischen Dorf unterwegs, zwischen Physiotherapie und dem Materialmann - so viel von Land und Leuten gibt's da nicht zu sehen.
Haben Sie noch Kontakt zu den aktuellen Läuferinnen?
Zu den Deutschen weniger, eher zu den Kanadiern und Holländern, zu denen natürlich auch mein Mann (der niederländische Olympiasieger Ids Postma, d. Red.) seine Fühler ausgestreckt hat. Der flüstert mir viel Insiderwissen zu.
Sie haben Ihre aktive Karriere vor zwölf Jahren beendet. Im deutschen Team ist nun noch eine Sportlerin mit der - und gegen die - Sie einst um Medaillen gekämpft haben dabei: Claudia Pechstein, die demnächst 50 wird...
Unglaublich, oder?

Kann man das irgendwie erklären?
Claudia ist einfach ein Thema für sich. Sie hat sich als Ziel gesetzt, zum achten Mal dabei zu sein - allein das zu schaffen, ist schon der Wahnsinn. Sie wird nicht um die Medaillen mitkämpfen. Das ist altersbedingt einfach nicht mehr möglich. Da ist sie zu weit weg. Aber ihr Ziel hat sie erreicht, und das ist okay. Ich wünsche mir natürlich, dass bei den nächsten Spielen wieder mehr Deutsche am Start sind und um Medaillen kämpfen können. Aber das dauert einfach noch.
Wie haben Sie damals diese spezielle Situation erlebt? Einerseits kämpft im Einzelrennen jeder für sich, andererseits geht man tags darauf gemeinsam im Teamwettbewerb auf Medaillenjagd, womöglich auch mit jemandem, den man nicht gerade zu seinen allerbesten Freunden zählt...
Das ist dieser Spagat, den du machen musst. Das hat auch etwas mit Professionalität zu tun. Du stellst dich da auch in den Dienst der Sache. Nach den Einzelrennen musst du dich als homogenes Team an den Start stellen und gemeinsam kämpfen, auch anschieben, wenn man nicht mehr kann - für dein Land, für den Verband, um Medaillen nach Hause zu bringen.
Friesinger: "Es fehlen die Talente und Leistungsträger"
Eine spezielle Konstruktion.
Das war immer spannend. In den Niederlanden gibt es derzeit große Diskussionen, weil die den Luxus verschiedener Privat-Teams haben, die auch wirklich gut Geld mitbringen. Da ist das Interesse so groß, dass es sogar schon Betrugs- und Manipulationsvorwürfe gab - ein Luxusproblem.
Von dem der deutsche Verband derzeit meilenweit entfernt ist. Bei den ersten Wettkämpfen in Peking lauteten die deutschen Platzierungen 11, 13 und 20. Was sagt dies über den deutschen Eisschnelllauf, wenn eine fast 50-Jährige noch zu den Besten im Land zählt?
Es fehlen die Talente und Leistungsträger, die nachhaltig jedes Wochenende auf dem Podium stehen. Das haben aber andere Sportarten auch zu beklagen. Das sind immer Wellen. Aber diese Durststrecke im Eisschnelllaufen hält jetzt schon ziemlich lang an. Ich habe immer noch die Hoffnung, dass man bei den Inlineskatern mehr scoutet und da den Talenten den Weg auf die Kufen ebnet, auf die Eisbahn. Felix Rijhnen ist jetzt so ein Lichtblick: ein ehemaliger Eisschnellläufer, der dann auf Inlineskates sehr erfolgreich war, Weltmeister geworden ist, den Berlin-Marathon gewonnen hat. Und der stand nach kurzer Umgewöhnung jetzt wieder mit den Kufen auf dem Stockerl: dritter Platz im Massenstart.
Eine Ausnahme, wie Sie sagen. Ohne Leuchtturmfiguren - wie Sie es waren - scheint der Sport nicht sehr attraktiv für den Nachwuchs zu sein...
Der Leistungssport hat generell viel Konkurrenz bekommen: E-Sport, Fun-Sport, zudem war durch Corona auch Breitensport oft nicht möglich, weil alle Sportstätten zu waren. Da haben viele aufgehört und sich lieber auf den Beruf fokussiert.
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