Olympia: Biathlon-Ikone Michael Greis erklärt Herrmanns Gold-Coup
Peking - AZ-Interview mit Michael Greis: Der jetzt 45-Jährige war drei Mal Weltmeister im Biathlon, bei den Olympischen Spielen 2006 in Turin gewann er drei Mal Gold.

AZ: Herr Greis, das starke Biathlon-Geschlecht für das deutsche Team sind bei diesen Olympischen Spielen die Frauen: Denise Herrmann holte sich die Gold-Medaille, die Männer waren stark, aber nicht stark genug: Benedikt Doll war als bester Deutscher Sechster. Wie lautet die Einschätzung des Triple-Olympiasiegers von 2006?
MICHAEL GREIS: Die Frauen wieder! Man kann nur sagen, Denise hat das sensationell gemacht. Sie hat sich selber gekrönt - und das völlig zurecht. Was mich besonders beeindruckt hat, war, dass sie, die ja als Weltklasse-Langläuferin zum Biathlon gewechselt ist, im letzten Schießen die Nerven behalten hat. Sie war davor nur Achte, blieb dann ohne Fehler, während die Konkurrentinnen reihenweise gepatzt haben. Sie hat läuferisch nicht mehr ganz die Dominanz, die sie hatte, als sie zum Biathlon gewechselt ist, dafür ist sie jetzt eine komplette Athletin.
Der Wechsel zwischen den Disziplinen ist extrem schwierig
Dabei waren ihre Ergebnisse vor den Spielen bescheiden.
Das stimmt, auch ich habe manches kritisch gesehen, aber sie hat uns alle eines Besseren belehrt. Man sieht immer wieder, dass es bei Großereignissen wie Olympischen Spielen im Vorfeld große und kleine Fragezeichen gibt, die am Ende nur der Athlet selber beantworten kann. Das hat Herrmann grandios gemacht. Olympiasieg - es gibt in unserem Sport nichts Größeres. Und ich bin mir sicher, mit so einem Erfolgserlebnis im Rücken ist von der Denise auch noch einiges in Peking zu erwarten.
Wie schwer ist es, von einer Sportart in die andere zu wechseln und jeweils Weltklasse zu sein?
Schwer. Das verdeutlicht ja die Tatsache, dass es mit Susi Erdmann erst eine Sportlerin vor Denise gab, die in zwei Disziplinen - bei ihr Rodeln und Bob - olympische Medaillen geholt hat. Ich fand es gut, dass Denise diesen Schritt gewagt hat. Sie ist die Herausforderung auch mit der nötigen Demut angegangen. Denn eines ist gewiss: Nur mit Demut kannst du in unserem Sport Erfolg haben. Der Erfolg hängt von so vielen Kleinigkeiten ab, Dingen - wie dem Wind -, die man nicht immer kontrollieren kann, dass man fast zur Demut gezwungen wird. Sie hatte gleich riesige Erfolge, war Weltmeisterin. Danach wurde es schwerer für sie, aber genau diese Zeit hat sie stark gemacht. Der Sieg ist ein toller Erfolg. Man kann nicht sagen, dass sie wie Phönix aus der Asche auferstanden ist, aber es war trotzdem nicht selbstverständlich, dass sie sich jetzt zur Biathlon-Königin von Peking küren und krönen kann.
Herrmann ist 33 - den Sport wird Sie wohl nicht auf Jahre so dominieren können, wie es Magdalena Neuner oder Laura Dahlmeier getan haben. Wie steht es in Ihren Augen um den deutschen Nachwuchs?
Ausnahmeathletinnen wie Dahlmeier oder Neuner sind halt nicht die Regel, sondern - wie der Name sagt - die Ausnahme. Wir können uns glücklich schätzen, dass wir zwei solche Sportlerinnen hatten. Jetzt haben wir mit Herrmann, Franziska Preuß und auch Vanessa Voigt, die sensationell Vierte wurde, starke Athletinnen, aber danach fehlt es an der Breite. Ob es das je wieder geben wird, bin ich nicht sicher. Die Sportwelt, die Auswahl an Sportarten hat sich verändert. Ein Verband kann - und muss - die Voraussetzungen schaffen, dass seine Athleten Erfolg haben können. Aber: Am Ende wird es immer der einzelne Athlet sein, der mit seinen Entscheidungen, dem WiIlen, sich aufzuopfern, Visionen zu entwickeln und zu verfolgen, die letzte Entscheidung trifft, ob er Erfolg haben wird. Dieses letzte Etwas, was man braucht, um sich abzuheben, findet man nur in sich selbst, da kann ein Verband machen, was er will.
Greis gibt sich bei den Männern zuversichtlich: "Die Aussichten sind gut"
Sie sprachen Preuß an, die hadert mit Ihrem Schicksal.
Ja, es war für sie im Vorfeld der Spiele sehr schwierig, die dumme Fußverletzung, dazu die Corona-Infektion, die sie heftig erwischt hat. Franziska ist aber ein super Rennen gelaufen, sie weiß jetzt, dass sie dabei ist. Ich denke, die Aussichten für diese Spiele sind nicht nur für Herrmann gut, sondern auch für Preuß und Voigt.
Und bei den Männern?
Doll war sehr gut unterwegs, Erik Lesser hing ein bisschen läuferisch hinterher, dabei war er einer meiner Geheimtipps. Aber auch hier sage ich: Die Aussichten sind gut.
Wie viel Spaß machen Ihnen diese Spiele, bei denen kaum Zuschauer dabei sind? Es hat im Vorfeld viel Kritik, etwa aufgrund der Menschenrechtsverletzungen und Umweltschutzvergehen, gegeben.
Mit der Zuschauersituation habe ich mich abgefunden. Es ist nicht so, wie wir es uns alle erhofft hätten, aber das wusste man vorher. In all das, die Entscheidung, wo Spiele ausgetragen werden, spielen so viele Faktoren rein. Es gibt keine zwei Meinungen beim Thema Menschenrechtsverletzungen. Ich teile die Kritik beim Umweltschutz, aber ich habe immer ein bisschen Probleme damit, wenn man jetzt Vorwürfe erhebt, dass man in China nicht so viel Ski fährt und die Anlagen nicht so nutzen wird. Das hat für mich immer so diesen Anflug von: Ich weiß besser, was richtig ist. Ich mag es nicht, wenn man sich über andere erhöht - selbst, wenn man in der Sache recht hat.