Alex Corretja im AZ-Interview: "Eine Schande, dass Djokovic nicht spielen darf"
AZ-Interview mit Àlex Corretja. Der 48-Jährige stand zwei Mal im Finale der French Open, gewann mit Spanien im Jahr 2000 den Davis Cup. Er arbeitet jetzt als Experte bei Eurosport.
AZ: Herr Corretja, die US Open stehen bevor, wo Ihr Landsmann Rafael Nadal in Abwesenheit des immer noch ungeimpften Novak Djokovic seinen 23. Grand-Slam-Titel holen könnte. Allerdings hat er seit dem verletzungsbedingten Aus in Wimbledon vor fast zwei Monaten nur ein Match bestritten – und verloren. Wie schätzen Sie als ehemaliger Weltklassespieler, der zwei Mal im Finale der French Open stand, seine Chancen ein?
Àlex Corretja: Jahren wäre ich beunruhigter gewesen, weil er nicht so viele Matches vor einem Grand Slam hatte. Aber nach dem, was er in diesem Jahr wieder gezeigt hat, nein. Vor den Australian Open: kaum gespielt, Turnier gewonnen. Vor den French Open: die gesamte Sandplatzsaison verpasst, Turnier gewonnen. Vor Wimbledon: wenig gespielt, Halbfinale erreicht, wo er dann aufgeben musste. Vor den US Open fehlen ihm nun vielleicht zwei, drei Matches mehr. Das wäre die perfekte Vorbereitung gewesen. Aber er wird dennoch seinen Weg finden, während des Turniers. Er ist definitiv einer der Favoriten.

Corretja: Große Erwartungen der Spanier an Nadal und Alcaraz
Vergangene Woche verlor er in Cincinnati in drei Sätzen gegen den späteren Turniersieger Borna Coric...
Verliert man gegen den Turniersieger, ist man entspannter, weil man weiß: Mein Spiel ist nicht so weit weg von der Spitze. Deshalb glaube ich, dass Nadal ein gutes Turnier spielen wird. Es gibt einfach nicht viele Spieler, die ihn im Best-of-five-Modus schlagen können.
Wie groß ist das Thema "Rafael Nadal bei den US Open" daheim in Spanien?
Sehr groß! Es sind noch Sommerferien in Spanien – und alle freuen sich total darauf, Nadal wieder auf dem Platz zu sehen. Jeder fragt mich ‚Wann fliegst du nach New York? Wie geht es Rafa? Wird er bereit sein?’ Ich bin sehr sicher, dass er bereit sein wird! Es gibt große Erwartungen an ihn, aber auch an die anderen Spanier, Carlos Alcaraz zum Beispiel.

Alcaraz "wie frische Luft für die ATP-Tour"
Alcaraz ist sozusagen das nächste große Ding im Tennis, der größte Shooting-Star der vergangenen Jahrzehnte, mit 19 schon die Nummer vier der Welt. Was ist von ihm bei den US Open zu erwarten?
Sie haben es schon gesagt: Er ist ein Star. Ein großer Star. Wegen seiner Art, wie er mit allem umgeht. Wie er spielt, wie er lacht, wie er dem Gegner am Netz zum Sieg gratuliert, wie er mit den Zuschauern interagiert, wie er sein Spiel entwickelt: Das alles ist unglaublich! Ich bin so begeistert von der Art, wie er das alles macht. Er kann auf jedem Belag gut spielen, er bewegt sich gut, trifft den Ball gut – er ist wie frische Luft für die ATP-Tour.
Zu Beginn des Jahres war er noch die Nummer 32 der Welt...
Die ersten Monate des Jahres waren gewaltig, schockierend gut, ein riesiger Schritt nach vorn. Er weiß einfach, was er mit seiner Karriere tun muss. Ich erwarte ein sehr gutes Turnier von ihm. Er ist sicher auch einer der Favoriten.
Corretja über Djokovic: "Nun kann er nicht spielen, was traurig ist"
Ein weiterer Favorit wäre Novak Djokovic gewesen – wenn er denn gegen Corona geimpft wäre. Da dies nicht der Fall ist, darf er erst gar nicht in die USA einreisen – die gleiche Diskussion wie bei den Australian Open zu Beginn des Jahres. John McEnroe bezeichnete das Einreiseverbot als "einen Witz". Wie sehen Sie das?
Es ist wirklich eine Schande, dass er nicht spielen darf! Vor einem Jahr waren alle geschockt wegen der Corona-Situation – heute kann man wieder fast durch die ganze Welt reisen. Eine Schande, dass das in den USA nicht der Fall ist. Aber da die Regeln nun so sind, hätte sich Djokovic daran halten müssen. Nun kann er nicht spielen, was traurig ist.
Auch Alexander Zverev wird die US Open nach seinem Bänderriss noch verpassen. Wie sehen Sie generell seine Entwicklung?
Er hatte wirklich Pech mit der Verletzung – gerade als er am Durchstarten war. Er spielte gut in Madrid und dann sehr gut in Roland Garros, sehr aggressiv. Was war das für ein grandioses Halbfinale gegen Nadal! Auch wenn er nun eine Weile brauchen wird, bis er wieder in Top-Form ist: Ich glaube, dass die nächste Saison großartig für ihn wird. Vielleicht wird das sein Durchbruch als Grand-Slam-Champion. Er kommt diesem Ziel immer näher. Ich habe keinen Zweifel, dass er das schaffen wird. Er ist ein harter Arbeiter, hat das Talent, das Verlangen. Vielleicht waren die Erwartungen früher zu hoch, damals, als er das Masters und Olympia gewann. Es hat eine Weile gedauert, bis er das alles verstanden hat. Aber er wird bereit sein für die nächste Saison.

Noch ein großer Name fehlt heuer in New York: Roger Federer. Werden wir ihn nochmal bei einem Grand Slam sehen?
Ich hoffe und wünsche mir das, so wie jeder Tennis-Fan. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ein Comeback jemals weltweit so herbeigesehnt wurde. Ich glaube auch, dass dies passieren wird. Ich denke nicht, dass er einfach sagt ‚Okay, ich spiele nicht mehr’. Das wäre wirklich eine verheerende Nachricht.