Interview

Kohlschreiber im AZ-Interview: "Mir standen die Tränen in den Augen"

Philipp Kohlschreiber ist von der großen Bühne abgetreten. In der AZ spricht der Augsburger über den Abschied, seine Pläne - und eine Portion Kaiserschmarrn.
Thomas Becker |
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Erstmals seit 2003 ist Kohlschreiber bei einem Grand Slam - den US Open - nicht mehr am Start.
Erstmals seit 2003 ist Kohlschreiber bei einem Grand Slam - den US Open - nicht mehr am Start. © imago/Hasenkopf

München - AZ-Interview mit Philipp Kohlschreiber: Der 38-jährige Augsburger, der insgesamt sieben Einzeltitel gewann, hat im Juni seine Karriere beendet.

AZ: Herr Kohlschreiber, von wegen Rente! Kurz nachdem Sie Ihren Rückzug von der Tour verkündet hatten, kam die Kunde, dass Sie weiter für den TC Großhesselohe Bundesliga spielen. Am Ende sprang der Vizemeister-Titel heraus. Ihre Bilanz: acht Einsätze, acht Einzel- und sieben Doppel-Siege. Wie gut geht's Ihnen?
PHILIPP KOHLSCHREIBER: Sehr, sehr gut. Ich finde es lustig, dass ich praktisch vor der Haustür spielen kann. Ich habe ja nicht aufgehört, weil Tennis kein schöner Sport ist. Der macht mir weiter Spaß. Aber ich will nicht mehr so viel reisen und bin auch so langsam in einem Alter, in dem man sich zugestehen kann: Jetzt ist ein guter Zeitpunkt zum Aufhören.

Die nun beginnenden US Open sind das erste Grand-Slam-Turnier seit 2003, bei dem Sie nicht am Start sind. Wie anders ist Ihr Leben nun?
Gar nicht so schlimm anders, weil ich seit rund einem Jahr im Kopf habe, dass es langsam zu Ende geht. Ich habe mich nur noch punktuell auf Turniere vorbereitet. Nach den Australian Open habe ich sicher zwei Wochen gar kein Tennis gespielt. In dieser freien Zeit habe ich dann schon das gemacht, worauf ich Lust hatte, war mal im Ski-Urlaub, was ich sonst nie gemacht hatte.

"Ich kann nicht auf alles im Leben verzichten"

Wie gut sind Sie auf Skiern?
Ich hab's ja nie richtig gelernt, bin nach wie vor ein guter Anfänger. Erst mit 25, 26 habe ich mich getraut, bei guten, sicheren Bedingungen auf die Piste zu gehen, in St. Anton am Arlberg. Da gab's früher Anfang Dezember ein Einladungsturnier für acht Spieler. Auf der Piste sind wir Kolonne gefahren: die Schwiegereltern vorneweg, meine Frau hinterher - so wie ein Präsident zum Skifahren geht. Und ich hatte alle Protektoren und Schützer dran, die es nur gibt: fürs Handgelenk, den Rücken, Helm natürlich. Der Körper ist einfach das Kapital, auf den muss man aufpassen. Aber ich war immer der Meinung: Ich kann nicht auf alles im Leben verzichten. Heute kann man mit mir überall fahren, aber ich bin kein Draufgänger, werde ich auch nie sein.

Und sonst?
Ich gehe radfahren, spiele Golf. Die ganze Energie, die in mir steckt, bringe ich nun ganz gut in Dinge, die mir Spaß machen.

Am 22. Juni haben Sie nach einer Niederlage in der Wimbledon-Qualifikation Ihren Rückzug bekannt gegeben. Wie emotional war das?
Bei einem Turnier in Deutschland hätte ich wahrscheinlich gar nicht fertig spielen können. Ich kann nicht so gut Gefühle zeigen. Mir standen Tränen in den Augen. Gar nicht wegen der Entscheidung, sondern wegen dieser Endgültigkeit. Da ist ein Lebensabschnitt zu Ende gegangen, der alles geprägt hat, auch die Beziehung zu meiner Frau, die bei den Turnieren immer dabei war. Das war ja eine recht spontane Ankündigung.

Wie das?
Es gab ein Interview auf dem Platz und die Frage: ‚Wie geht's jetzt weiter?' Ich sagte: ‚Es geht irgendwie gar nicht mehr weiter.' Ich bin so erzogen worden, dass man nicht lügt, und dann habe ich gesagt: ‚Ich habe das Gefühl, dass das mein letztes Turnier ist.' Es war nicht geplant, das wusste keiner aus meinem Umfeld. Ich habe auch nicht damit gerechnet, dass es so eine Aufmerksamkeit erregt. Die letzten paar Jahre habe ich ja nicht mehr so erfolgreich gespielt - da wird es ruhiger um einen. Dass es dann so eine Welle schlägt, habe ich unterschätzt. So war das in meinem ganzen Tennis-Leben: Ich habe mich selber nie so gut und so groß gesehen. Vielleicht hat es auch deswegen nicht für ein bisschen mehr gereicht.

"Man musste dem Sport alles unterordnen"

Wie entbehrungsreich waren die Profi-Jahre?
Klar haben unter der Karriere ein paar Freundschaften gelitten, aber man musste dem Sport alles unterordnen, angefangen bei der glutenfreien Ernährung. Wenn man sich über Jahre nur selten eine Brezn oder ein Schnitzel gönnt: Das ist anstrengend auf Dauer. Den Berg hoch fahren, immer mit dem Hintergrund: weil's mir konditionell was bringt. Von dieser Last bin ich jetzt befreit.

Aber Sie legen jetzt keinen Schalter um und schaufeln sich die Sahnetörtchen rein?
Essen konnte ich schon immer gut, ich bin ein guter Verbrenner. Wenn ich drei Stunden Rennrad fahre, kann ich eine Schweinshaxn und einen Kaiserschmarrn essen. Ich mache jetzt ein bisschen mehr Krafttraining, um mehr Muskeln aufzubauen - konnte ich ja früher auch nicht.

Wie geht's weiter? Nächstes Jahr noch mal Bundesliga?
Bis Ende des Jahres werde ich den Schläger weglegen. Aber die Chancen stehen gut, dass ich nächstes Jahr hoffentlich in der Bundesliga noch mal eine Hilfe sein kann. Lieber nicht zur früh anfangen! Der Plan ist: Im nächsten halben Jahr nicht so viel an mich ran kommen lassen, dann mich sammeln, sortieren und schauen: Geht's vielleicht zum Kommentieren? Ich will möglichst alle Optionen ausprobieren.

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Etwa auch Coach?
Sag niemals nie. Wenn ein interessanter Spieler anruft, hätte ich dazu schon Lust. Wenn ich dafür aber 40 Wochen im Jahr unterwegs sein müsste, würde es daran scheitern. Ich hatte ja oft einen Trainer dabei, und es ist manchmal gut, wenn man nicht das ganze Jahr über mit der einen Person durch dick und dünn geht. Sport ist immer emotional, und man geht aus den meisten Wochen mit einem Misserfolg raus.

Sie haben eine Epoche mit Federer, Nadal und Djokovic erwischt, an denen kaum ein Vorbeikommen war.
Die haben viel weggenommen, weil sie noch ein Stück besser waren als es heute Zverev oder Tsitsipas sind. Vielleicht hätte ich ohne diese großen Namen ein bisschen mehr gewonnen, ich bin aber froh, dass ich in dieser Zeit spielen konnte.

Gibt es für Sie in all den Jahren ein Spiel, das über allen anderen steht?
Nicht nur eins. Ich hänge mir meine größten Matches nicht im Zimmer auf, aber eins, das mir immer als Erstes neben den BMW-Open-Siegen einfällt, weil es sehr früh passiert ist, ist das gegen Andy Roddick in der dritten Runde in Australien….

. . .2008, Sie gewannen 8:6 im fünften Satz. . .
Genau, oder die ersten Begegnungen mit Federer, die man einfach verliert, nicht weil er der bessere Spieler ist, sondern weil der eigene Schläger plötzlich wackelt.

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