Depression: Gefangen im Abwärtsstrudel

Die Zahl der an Depression Erkrankten in Bayern ist in zehn Jahren um 46 Prozent gestiegen. Aber nur wenige Patienten werden angemessen behandelt – oft mit fatalen Folgen.
von  Annika Schall
Abstieg in die Dunkelheit: Depressive fokussieren sich zunehmend auf das Negative im Leben. Dass es Auswege aus diesem Teufelskreis gibt, glauben akut Kranke nicht.
Abstieg in die Dunkelheit: Depressive fokussieren sich zunehmend auf das Negative im Leben. Dass es Auswege aus diesem Teufelskreis gibt, glauben akut Kranke nicht. © Julian Stratenschulte/dpa

München - Die Kaufmännische Krankenversicherung KKH schlägt Alarm. "Die Zahl der Menschen in Bayern, die wegen einer Depression ambulant oder stationär behandelt werden, hat drastisch zugenommen", teilte das Unternehmen mit. Um 46 Prozent, so die Auswertung der Versicherungsdaten, sei die Zahl der Betroffenen im Freistaat zwischen 2006 und 2016 angestiegen, so die KKH weiter.

Einen solchen Anstieg meldet nicht nur die KKH. Weltweit wurde in den vergangenen Jahren eine so starke Zunahme an depressiven Erkrankungen beobachtet, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) prognostizierte, 2030 würden Depressionen in den Industrieländern der häufigste Grund für Tod und chronische Behinderungen sein – noch vor Herzerkrankungen und Verkehrsunfällen.

Über fünf Millionen Depressive pro Jahr

"Alle Daten, die wir haben, zeigen diesen Anstieg", sagt auch Professor Martin Keck, Direktor und Chefarzt im Max-Planck-Institut für Psychiatrie und Vorstand des Münchner Bündnisses gegen Depressionen. Jährlich erkranken rund 5,3 Millionen Menschen in Deutschland an einer behandlungsbedürftigen Depression, schätzt die Deutsche Depressionshilfe. Treffen kann es jeden, bestätigt Keck: "Depression hat viele Gesichter."

Die Gründe aus denen Menschen Depressionen entwickeln, sind vielschichtig. Genetische Veranlagungen spielen eine Rolle, ebenso wie Umweltfaktoren. Auch kann nicht ausgeschlossen werden, dass insbesondere der Anstieg mit einem ausgeprägteren Bewusstsein für psychische Erkrankungen in der Bevölkerung zusammenhängt – die Menschen also sich und ihren Gemütszustand besser im Blick haben.

Hier berichtet eine Münchnerin, wie es sich anfühlt, wenn das Leben an einer Depression zu zerbrechen droht

Doch, da sind sich Wissenschaftler inzwischen recht einig, tragen moderne Lebensverhältnisse einen nicht unerheblichen Teil zu dem Anstieg bei. "Depression ist eine klassische Stressfolgeerkrankung", erklärt auch Keck.

Insbesondere im Arbeitsleben klagen immer mehr Menschen über hohe Belastungen, neue Technologien und die damit verbundene ständige Erreichbarkeit tun ihr übriges. "Die Digitalisierung verleitet zu mehr Multitasking und zu einer Verdichtung von Aufgaben", so Keck. Für die Psyche ist das anstrengender als viele glauben wollen, und problematisch wird es insbesondere dann, wenn aus dem Stress ein Dauerzustand wird.

"Nicht mehr abschalten können, ist ein Frühwarnsymptom"

Oftmals kündigen sich Depressionen mit einer Art Rastlosigkeit an. "Überhaupt nicht mehr abschalten zu können, ist ein klassisches Frühwarnsymptom", so Keck. Auch Schlafstörungen sind häufig, Gedankenkreisel halten nachts wach, ständige Erschöpfung ist die Folge. Aber auch körperliche Symptome gibt es. "Viele entwickeln Verspannungen und in der Folge zum Beispiel Rücken- oder Kopfschmerzen", so Keck.

In fortgeschritteneren Stadien der Erkrankung kommt es dann zu den Symptomen, für die die Depression allgemein bekannt ist: Betroffene können sich über nichts mehr freuen, werden zunehmend antriebsloser und trauriger. Die Patienten fühlen sich wertlos, sie entwickeln Schuldgefühle und sehen ihre Zukunft immer pessimistischer. "Patienten haben oft eine Art Tunnelblick, konzentrieren sich nur noch auf das Negative im Leben", so Keck.

Jede Stunde nimmt sich in Deutschland ein Mensch das Leben

Dieser Tunnelblick treibt nicht wenige schnell an ihre Grenzen – und darüber hinaus. Suizidgedanken sind ein sehr häufiges Symptom der Depression. Mit verheerenden Folgen. Jede Stunde nimmt sich ein Mensch in Deutschland das Leben. Die meisten davon,vermuten Experten, litten zuvor unter Depressionen.

Denn obwohl die Therapiemöglichkeiten für die psychische Erkrankung inzwischen recht ausgereift sind, bekommen noch zu wenige Patienten die richtige Therapie. "Nur zehn Prozent der Erkrankten", schätzt Psychiater Keck, "bekommen eine fachgerechte Behandlung." Für ihn ist das ein Skandal.

Auch weil er weiß, welchen Unterschied eine gute Therapie machen kann: "Ich habe oft mit Patienten zu tun, die einen Suizidversuch hinter sich haben. Sobald es ihnen bessergeht, können sie nicht verstehen, dass sie jemals vorhatten sich umzubringen", so Keck.

Auch deshalb setzt er sich mit dem Münchner Bündnis gegen Depression ein für Prävention, Früherkennung und mehr Therapiemöglichkeiten. Damit man die Volkskrankheit Depression irgendwann einmal besser in den Griff bekommt.


Vorbeugung:So helfen Sie der Seele

Laut Professor Martin Keck gibt es insgesamt vier Faktoren, die helfen gesund zu bleiben: Ernährung, Bewegung, Stressmanagement und kognitives Training.

So kann insbesondere eine mediterrane Ernährung mit viel Fisch, Gemüse und gesundem Öl eine positive Wirkung auf die Psyche haben. Bei der Bewegung hilft die Maßgabe 10.000 Schritte am Tag als Orientierungshilfe. Regelmäßige Zeit für Freizeit und Muße sind auch in stressigen Lebensphasen wichtig, genauso wie ausreichend Schlaf. Auch Kontakt mit Freunden und Familie hilft zu entspannen. Abschließend kann es stärken, sich auf neue und potenziell anstrengende Lebensphasen schon vorab mental vorzubereiten. Fragen Sie sich: Was wird anders und wie kann ich damit umgehen?

Sollten Präventionsmaßnahmen nicht greifen, gibt es unterschiedliche regionale und nationale Organisationen, an die sich Betroffene wenden können. Eine erste Anlaufstelle ist das Info-Telefon Depression der Deutschen Depressionshilfe. Es ist Montag, Dienstag und Donnerstag von 13 bis 17 und Mittwoch und Freitag von 8.30 bis 12.30 Uhr unter  0800 / 33 44 533 erreichbar.

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