Tiger, Stier und die größte Klappe vor dem Herrn

München - Er ist jetzt deutlich über 60. Da sind einige noch immer nicht weise, er aber schon, obwohl er partout nicht diesen Anschein geben mag. "Jeder will 100 werden, aber keiner 65", spricht Thomas Gottschalk. Wo er recht hat, hat er recht, denn schließlich muss er es wissen. Am heutigen Montag wird der Sunnyboy der Nation 65 Jahre alt.
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Um ja keinen Zweifel an seiner Lebensfreude aufkommen zu lassen, lässt er es standesgemäß krachen. Und bittet gute Freunde zur großen Party. Zugesagt haben Barbara Schöneberger, Hugo Egon Balder (dasselbe Geburtsjahr), natürlich Günther Jauch, einer seiner engsten Freunde - und Otto Waalkes, der die Band "Friesenjungs" dirigiert. RTL überträgt drei Stunden lang die Sause im Berliner Admiralspalast (ab 20:15 Uhr), die "Herbstblond" heißt, wie die lesenswerte Gottschalk-Autobiografie, die gerade die Spitze der "Spiegel"-Bestsellerliste erklommen hat.
Er grüble nun nicht über die Zukunft und den Tod, sondern genieße jeden Tag, sagte er in der Talkshow seines grandios gescheiterten Nachfolgers Markus Lanz. "Dass ich jetzt schon den Rollator oder Treppenlift bestelle, also, da warte ich noch ein bisschen."
Gottschalk wurde am 18. Mai 1950 in der schönen altehrwürdigen Stadt Bamberg geboren, die 1993 zum Weltkulturerbe ernannt wurde, was aber nicht ausschließlich wegen ihm erfolgt ist. Nach den westlichen Tierkreiszeichen ist er ein Stier, folgt man dem chinesischen Horoskop schleicht Thommy als Tiger durchs Leben. Man kann darüber streiten, was attraktiver ist; in der freien Wildbahn jedenfalls sind sich die beiden nicht besonders grün.
Seit gut 40 Jahren dient Gottschalk der Unterhaltung. Das heißt: Er machte das zum Beruf, was ihm Spaß macht - und den anderen auch. Dabei bedient er die verschiedensten Sparten mit seinem Talent. Gottschalk ist, wenn man so will, ein weit gefächerter, schillernder Entertainment-Kosmos für sich.
Gottschalk, der Radiomann
"Bevor ich das Geschwätz von anderen anhören muss, rede ich lieber selber", lautet ein typischer Gottschalk-Satz. Nachträglich betrachtet war es für die Nation ein Segen, dass der Akademiker Gottschalk (abgeschlossenes Germanistik- und Geschichtsstudium für das Grund- und Hauptschaulehramt) nicht Pauker wurde, sondern zum Radio ging. Und das, obwohl der junge Mann aus der oberfränkischen Provinz einen Fragebogen für den Nachwuchs des Bayerischen Rundfunks weitgehend negierte und stattdessen kackfrech antwortete: "Man hört es eurem Programm an, dass ihr die, die es machen, per Fragebogen gefunden habt." Diesen Typen wollten sich die Herren aus München dann doch mal näher anschauen.
Gottschalk wurde freier Mitarbeiter des Jugendfunks, dann Moderator von "Pop nach acht", er ging zu Radio Luxemburg, kehrte wieder nach München zurück, wurde Leiter bei Bayern 3 und erlangte mit seiner B3-Radioshow, die er mit dem Nachwuchstalent Günther Jauch moderierte, uneingeschränkten Kultstatus.
"Optisch machte ich nicht den Eindruck eines öffentlich-rechtlichen Würdenträgers und ließ am Mikrofon die Sau raus, wo eigentlich der Geist hätte wehen sollen", schreibt er in seinem Buch "Herbstblond". Nach diesem Motto machte er sich z.B. nach dem Julio-Iglesias-Song "Wenn ein Schiff vorüberfährt" darüber Gedanken, was alles passieren könne, "wenn ein Pferd vorüberschifft."
Gottschalk, der TV-Entertainer
Es war nur eine Frage der Zeit, dass Thomas Gottschalk, das begnadete Lästermaul, auch das Fernsehen eroberte. Es begann 1976 mit der Musikclip-Sendung "Szene", später "Pop Stop". 1978 folgte "Telespiele" und 1982 beim ZDF "Thommys Pop Show". Das folgende Format hieß "Na so was" (ZDF) und brachte ihm die "Goldene Kamera" ein.
1987 übernahm er von Frank Elstner das Show-Dickschiff "Wetten, dass..?". Bei seiner Premierensendung in Hof gewann er sein Publikum bereits mit der Begrüßung: "Ja, Grüß Gott, wie heißt eigentlich die Sendung - ach so, 'Wetten, dass..?' Also, wenigstens das hätte ich mir merken können." Einer seiner ersten prominenten Gäste war sein Freund Gunter Sachs, "es zeigte sich dann aber in der Tat, dass dieser weltgewandte und eloquente Charmeur an heftigem Lampenfieber litt. Wir haben den Auftritt bei meiner Premiere dann doch zu seiner und meiner Zufriedenheit hinbekommen, und zum Dank lud er Thea und mich in seine Villa nach St. Tropez ein."
"Wetten, dass..?" wurde ein Triumphzug für die nächsten Jahrzehnte, die Gottschalk als größter deutscher Entertainer prägte. Unterbrochen von einem zweieinhalbjährigen RTL-Intermezzo ("Gottschalk Late Night") moderierte er 151 Sendungen, bevor er am 3. Dezember 2011 zurücktrat. Der schwere Show-Unfall seines Wettkandidaten Samuel Koch hatte ihm jegliche Motivation genommen.
Anschließend gab es eine ARD-Vorabendshow und ein weiteres RTL-Intermezzo neben Dieter Bohlen in der Jury von "Das Supertalent". Richtig glücklich wurde er damit nicht, nur so sind zwei ungewöhnlich bittere Sätze von ihm zu erklären: "Die Fernsehunterhaltung ist auf dem Weg zum reinen Klamauk. Irgendwann muss man sich entweder von seinem Hirn verabschieden oder von seinem Beruf."
Nichtsdestotrotz zitiert "Die Zeit" die deutsche TV-Hoffnung Jan Böhmermann mit den Worten: "Selbst wenn er es versucht, gelingt es ihm nicht, zu verbergen, dass er die Menschen mag. Thomas Gottschalk ist der letzte echte große Fernsehentertainer Deutschlands."
Gottschalk als Schauspieler
Irgendwann war klar, dass der 1,92 Meter große, attraktive Blondschopf auch den Weg auf die Kinoleinwand findet. Ab 1982 stand Gottschalk regelmäßig mit seinem Kumpel Mike Krüger vor der Kamera. Es entstanden Filme wie "Piratensender Powerplay", "Die Supernasen", "Zwei Nasen tanken Super" und "Die Einsteiger". Es folgten "Mamma Mia", "Zärtliche Chaoten", "Zärtliche Chaoten II", "Eine Frau namens Harry" und "Trabbi goes to Hollywood". Gottschalk hatte Auftritte in "Sister Act 2", in "Late Show" von Helmut Dietl sowie in Til Schweigers Komödie "1 ½ Ritter - Auf der Suche nach der hinreißenden Herzelinde".
Und er synchronisierte in "Garfield - Der Film" die Hauptfigur Garfield, was die Filmkritik ausnahmsweise mal positiv aufnahm, und er sprach auch das Baby Mikey in "Kuck mal, wer da spricht". "Wenn ich manche meiner Filme heute sehe, zucke ich immer noch zusammen und denke: Au weia ...", so fasst er seine Kinophase zusammen - obwohl: "Eines meiner größten filmischen Werke war mit Til Schweiger! Er hat es geschafft, dass ich mich wie ein König gefühlt habe."
Gottschalk, die Werbefigur
Es begann 1983 mit einem Werbespot für eine Modelleisenbahn aus dem Hause Fleischmann, von 1987 an warb er für McDonalds, ab 1991 war Thomas Gottschalk das Gesicht von Haribo, dessen Inhaber und Geschäftsführer Hans Riegel einer seiner besten Freunde wurde. Die Kooperation dauerte bis 2014 und verschaffte Gottschalk einen Eintrag in das Guinness-Buch der Rekorde mit dem Titel "Längste Werbepartnerschaft der Welt".
Zudem trat Thommy mit seinem jüngeren Bruder in Werbespots für die Deutsche Post AG auf. Diese Zusammenarbeit führte auch zur einzigen skandalumwitterten Krise in Thommys Karriere. Christoph Gottschalk soll mit seiner Firma Millionen durch die Platzierung von Schleichwerbung in den "Wetten, dass..?"-Sendungen gemacht haben. Grundlage dieser Vorwürfe waren Verträge mit den Unternehmen Daimler-Chrysler und Solarworld, welche den Kooperationsvertrag als "ganz normalen Vorgang" bezeichnet hatten.
Gottschalk, der Millionär
"Ich kriegte einiges auf die Fresse und einiges aufs Konto. So bleibt man ein ausgeglichener Mensch." Das kann er auch sein: Gottschalks Vermögen, das er mit allen seinen Aktivitäten verdient hat, wird auf 85 bis 130 Millionen Euro geschätzt, ein Gutteil davon ist in Immobilien angelegt, in Deutschland und in Kalifornien, wo die Familie von Anfang der 90er-Jahre bis 2006 in Malibu lebte.
Gottschalk, der Ehemann
Seine vier Jahre ältere Ehefrau Thea hat er auf einem Faschingsball der Medizinstudenten in München kennengelernt. 1976 heirateten sie, ein hübsches extravagantes Paar, beide mit einem ausgesprochenen Faible für ausgefallene Outfits. Thommy, der in dem Ruf stand, nichts anbrennen zu lassen ("Der Mensch hat 1999 Knochen, der Mann 2000"), schreibt: "Ich bin hinter keiner Frau so her, wie hinter meiner. Ich bin durchaus auf andere auch mal scharf, aber nie so wie auf meine eigene."
Und er bekennt: "Meine Frau war clever, sie hat mir das Leben ohne sie verdammt schwer gemacht... In meiner Ehe bin ich nicht immer 100 Prozent ehrlich gewesen, aber immer 100 Prozent lustig... Ich habe mit meiner Thea eine wunderbare Linie. Heute sagt er: "Ich übertreibe nicht, dass ich ohne meine Frau und meine Söhne nicht der wäre, der ich bin... Wenn Thea Kinder, Haus und Hof nicht im Griff gehabt hätte, wäre es mir nicht möglich gewesen, fröhlich pfeifend durch die Lande zu ziehen."
Gottschalk, der Vater
Thea und Thomas Gottschalk haben zwei Kinder. 1982 wurde ihr gemeinsamer Sohn Roman geboren. Der 32-Jährige studierte in Kalifornien Politologie und lebt wie sein Bruder Tristan in den USA. Er hat als Student mit seinem Vater einige Jobs, u.a. modeln für das Label Baldessarini, wahrgenommen. 1989 adoptierte das Ehepaar den Sohn Tristan im Babyalter.
In seiner Autobiografie schildert Gottschalk, wie ihm einmal die Hand ausgerutscht sei und er Tristan eine geklebt habe: "weil mein gelangweilter Sohn das Einzige" tat, "wozu aus seiner Sicht ein Plattenspieler gut war: Mitten in "Norwegian Wood" fing er an, auf dem Teil zu scratchen, und als Paul McCartney jaulend den Geist aufgab, hatte mein armes Kind schon eine gefangen. Ich musste mir schwere Vorwürfe meiner Frau anhören, denn natürlich hat mich das Kerlchen bei ihr verpetzt, und meine Fingerabdrücke hielten sich ziemlich gut auf seiner Backe." Tristan habe sich später dafür gerächt und ihn frühzeitig 2010 zum Großvater gemacht. Da war Thomas 60 und Tristan 21.
Gottschalk, der Philosoph
Er pflegt (gegenseitige) Freundschaften zu Intellektuellen. Der unvergessene Frankfurter Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki hatte einen Narren an ihm gefressen, was Gottschalk durchaus wörtlich nahm. Er wurde katholisch erzogen und sagte bei Markus Lanz, er habe viel Gottvertrauen und nie Grund gehabt, daran zu zweifeln, dass es da jemand gut mit ihm meine. Er blicke positiv und mit Gottvertrauen in die Zukunft. "Ich nehme mir die Kraft für das Morgen aus dem, was ich erlebt habe."
In seinem Buch schreibt er, dass die literarische Figur des "Taugenichts" von Joseph von Eichendorff sein Vorbild sei. Er habe das mit 17 Jahren lesen müssen, weil Eichendorff zur schlesischen Identität seiner Eltern gehört habe: "Dem ,Taugenichts' war alles wurscht, und trotzdem ist ihm am Ende alles geglückt. So hab ich das auch geplant - aber nicht ganz hinbekommen."
Andererseits frage er sich bisweilen fast "selbstquälerisch" ("Die Zeit"): "Soll ich irgendwann als Karikatur des Mannes vor der Kamera stehen, den die Leute mal geliebt haben?" Schließlich sei ihm klar geworden: "Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Gute will und dann doch immer blöd daherredet."
Immer noch erlebt der beliebteste (und nach wie vor beste) Entertainer Deutschlands echte unverstellte Highlights. Gunstbeweise des Volkes, wie etwa kürzlich in seiner neuen Wahlheimat Berlin. Ein Mann quatscht ihn im Fahrstuhl an: "Hat Dir schon ma eena jesacht, ditte aussiehst wie der Jottschalk?" - Gottschalk: "Ja, das passiert mir öfter." - "Mann, damit kannste Jeld vadien!" - "Aber nicht so viel wie der." - "Macht nüscht, dafür biste zehn Jahre jünger."