Sex-Skandal um Harvey Weinstein: Wie die Oscar-Akademie mit zweierlei Maß misst

Harvey Weinstein wird von seinen Kollegen abgestraft, Superstars distanzieren sich von ihm. Doch mit anderen Mitgliedern der Organisation verfährt man nachsichtiger. Ein Eindruck aus Heuchel-Hollywood.
von  B. Munker, R. Schormann
Harvey Weinstein (vorne) muss gehen, Woody Allen (l.) und Roman Polanski (hinten) nicht. Aber wieso?
Harvey Weinstein (vorne) muss gehen, Woody Allen (l.) und Roman Polanski (hinten) nicht. Aber wieso? © Danny Moloshok/Invision/dpa

Als Kate Winslet 2009 den Oscar für ihre Hauptrolle in der Weinstein-Produktion "Der Vorleser" entgegennahm, dankte sie zig Kollegen und Hollywoodgrößen – nur der Name Harvey Weinstein kam der Schauspielerin nicht über die Lippen. "Das war völlig absichtlich", versicherte der britische Star am Wochenende der Los Angeles Times. "Wenn sich jemand nicht benimmt – warum soll ich ihm danken?"

Er habe sie persönlich zwar nicht sexuell belästigt, aber er sei stets tyrannisch, grob und ekelhaft gewesen, sagte Winslet (42) über den Produzenten. "Die Tatsache, dass ich in meinem Leben nie wieder etwas mit Harvey Weinstein zu tun haben muss, ist eines der besten Dinge überhaupt, und so denkt wohl die ganze Welt".

Und was ist mit Cosby, Gibson und anderen Mitgliedern?

Harte Worte von einer der Top-Schauspielerinnen Hollywoods, die sich nun damit brüstet, Weinstein "absichtlich" nicht gedankt zu haben. Aber was ist mit all den anderen, die sich mehrmals mit ähnlichen Vorwürfen konfrontiert sahen? Sie bleiben Teil der Akademie.

Allen voran Roman Polanski, der eine 13-Jährige betäubte und vergewaltigte, Sex mit Minderjährigen zugab und dann aus dem Land geflohen ist – er bleibt Mitglied. Mit ihm arbeitet Kate Winslet übrigens nach wie vor zusammen. Dann wären da noch Bill Cosby und Mel Gibson, dem einen werden in knapp 60 Fällen sexuelle Übergriffe vorgeworfen, der andere verprügelte seine Freundin und soll zu ihr gesagt haben: "Wenn du vergewaltigt wirst, ist es deine Schuld". Sie beide bleiben Mitglieder.

Ebenfalls seit Jahren mit dem Vorwurf konfrontiert, seine Adoptivtochter Dylan im Kindesalter missbraucht zu haben, ist Regisseur Woody Allen. Diese Vorwürfe hatte schon seine Frau Mia Farrow 1992 nach der Trennung von Allen in einem Sorgerechtsprozess erhoben. Der Regisseur wies die Anschuldigungen stets zurück.

Kate Winslet, die jetzt so überzeugt gegen Weinstein auftritt, hatte letzten Monat in einem Interview mit der New York Times erklärt, Allen sei "ein großartiger Regisseur" und sie wisse ja gar nicht, was an den Vorwürfen dran sei oder nicht – außerdem seien ihre Eltern sehr stolz, dass sie mit Woody Allen zusammenarbeite.

Kaum jemand in Hollywood ist so schnell und tief gestürzt wie der verhasste, gefürchtete – aber über Jahrzehnte geduldete und erfolgreiche Mogul Weinstein. Er ist der erste, der wegen der Vorwürfe sexuellen Missbrauchs aus der Akademie fliegt. Die Lawine mit Vorwürfen von Vergewaltigung, sexueller Belästigung, Machtmissbrauch und Einschüchterungen reißt nicht ab, seit vor knapp zwei Wochen die Schauspielerin Ashley Judd und andere Frauen erstmals in einem investigativem New York Times-Artikel öffentlich auspackten.

Für Weinstein kam es Schlag auf Schlag: Rausschmiss aus dem eigenen Filmstudio The Weinstein Company (TWC), die Oscar-Akademie feuert ihn, Frankreich will die Auszeichnung der Ehrenlegion entziehen, Hollywoods Filmproduzenten-Vereinigung leitete ein Ausschlussverfahren ein – und seine Ehefrau trennte sich von ihm.

Es werden Witze über Weinsteins Ruf gemacht – sonst nichts

Warum war Harvey Weinstein so lange an der Macht, wenn seine Machenschaften und sein Ruf in der Branche ständig Gesprächsstoff, waren.

So flachste etwa US-Schauspieler Seth MacFarlane 2013 bei der Verkündung der Oscar-Nominierungen für die besten Nebendarstellerinnen: "Herzlichen Glückwunsch. Diese fünf Damen müssen nun nicht mehr so tun, als ob sie Harvey Weinstein attraktiv finden." Vor über zehn Jahren schon sagte Sängerin Courtney Love auf die Frage, was sie Mädchen in Hollywood rate: "Wenn Harvey Weinstein Dich zu einer Privatparty in das Four Seasons einlädt, geh’ nicht hin."

Der Reporter Ronan Farrow, Sohn von Schauspielerin Mia Farrow und Woody Allen, hatte in Sachen Weinstein monatelang recherchiert.

"Über viele Jahre hinweg haben viele Nachrichten-Organisationen diese Geschichte umkreist und dabei eine Menge Druck erlebt", sagte Farrow dem Sender MSNBC. Ihm selbst sei im Rahmen seiner Ermittlungen mit einer Klage von Weinstein gedroht worden. Farrow hatte zahlreiche Frauen aufgespürt, die sich bereiterklärten, über Weinsteins Übergriffe zu sprechen. Er brachte die Recherche nun beim Magazin The New Yorker unter.

Dreizehn Frauen werfen Weinstein darin sexuelle Belästigung vor, drei sprechen von Vergewaltigung. Farrow zeichnet ein Bild von vielen Mitwissern, die sein Verhalten duldeten. Für Farrow, von seinem Vater seit langem entfremdet, ist dies ein Thema, das ihm am Herzen liegt. Im vorigen Jahr hatte er US-Medien vorgeworfen, die Missbrauchsvorwürfe seiner Adoptivschwester kleinzuhalten.

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