"Wir schaffen das nicht" - Ein AZ Pro & Kontra

Die Flüchtlingskrise bringe Deutschland an seine Belastungsgrenze. "Wir schaffen das nicht", sagt Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer. Ein AZ Pro und Kontra zur Aussage des Grünen-Politikers.
von  AZ

Die Flüchtlingskrise bringe Deutschland an seine Belastungsgrenze. "Wir schaffen das nicht", sagt Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer. Ein AZ Pro und Kontra zu den Aussagen des Grünen-Politikers.

München - Über eine Million Flüchtlinge in einem Jahr könne man noch reden. Über 10 000 Flüchtlinge pro Tag aber nicht mehr. Wenn das anhielte, kämen in den nächsten zwölf Monaten 3,65 Millionen Menschen nach Deutschland. Diese Auffassung hat Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer via Facebook publiziert. In Anlehnung an Bundeskanzlerin Angela Merkel Statement schreibt er in der Überschrift: "Wir schaffen das nicht". Und weiter: „Die Politik muss handeln, sonst implodiert unser Aufnahmesystem und der soziale Frieden im Land.“

AZ-Redakteur Timo Lokoschat findet die Aussagen des Grünen richtig:

 

Ein Realist

 

„Bei welcher Partei war der Herr noch gleich? AfD oder NPD?“ Bei den Grünen steht Boris Palmer jetzt im Feuer. Das ist bedauerlich. Es kann doch nicht sein, dass jeder, der in der Flüchtlingsdebatte wider den Stachel löckt und ihr einen Schuss Realismus beifügt, reflexhaft als Rechter oder Steigbügelhalter der Rechten verunglimpft wird.

Was der Tübinger Realo formuliert hat, sind im Prinzip Binsenweisheiten: Selbstverständlich gibt es eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen. Wo die liegt, darüber muss und darf man diskutieren. Wer einer grenzenlosen Aufnahme das Wort redet, zeigt nur, dass er sich kaum Gedanken macht, wie man Neubürger erfolgreich in die Gesellschaft integrieren kann.

Denn niemandem ist damit geholfen, wenn in ein paar Jahren Millionen Menschen arbeits- und perspektivlos, isoliert und frustriert in Mietskasernen am Stadtrand vegetieren. Damit das klappt mit der Integration, müssen die Ressourcen berücksichtigt werden, die eine Gesellschaft zur Verfügung hat, die materiellen und emotionalen.

Viele tun so, als gebe es nur zwei Extreme: Beifallklatscher und Brandstifter. Dabei sind es doch die Zwischentöne, die demokratische Politiker von rechten Hetzern unterscheiden. Gut, dass Boris Palmer sie anschlägt.

 

AZ-Redakteur Michael Burner findet die Aussagen des Grünen falsch:

 

Ein Miesmacher

 

Und wieder einmal befasst sich ein Politiker nur mit dem „ob“ und nicht mit dem „wie“. Um verstanden zu haben, dass Geld und guter Wille nicht ausreichen, um der aktuellen Flüchtlingskrise Herr zu werden, dazu muss man kein Politikwissenschaftler sein. Und dass die Belastung für Kommunen, egal ob in Tübingen oder anderswo, enorm ist, dürfte mittlerweile auch jeder verstanden haben.

Eines aber steht fest: Mit einer Miesmacherstimmung, wie sie Palmer mit seinem „Wir schaffen das nicht“-Post verbreitet, wird es erst recht nicht einfacher. Wohin soll uns dieser destruktive Satz führen? Wie sieht die Antwort darauf in der Praxis aus? Stacheldraht? Grenzlager? Wasserwerfer?

Statt mit halbverifizierten Zahlen zu jonglieren und dabei braune Ressentiments zu bedienen, sollten Politiker ihre Energie entschieden und nachhaltig in die Problemlösung stecken. Von Palmer einen Flüchtlings-Masterplan zu verlangen, wäre freilich nicht fair. Aber anstatt Brandbeschleuniger in die ohnehin schon verfahrene Debatte hinauszuposaunen, wäre ein „So könnten wir es schaffen“ ein Schritt in die richtige Richtung gewesen – und ein klares Statement gegen Pegida und Co. obendrein.

 

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