Wahl der Nationalversammlung: Macron vor dem Durchmarsch

Am Sonntag wählen die Franzosen die Mitglieder der Nationalversammlung. Die Demoskopen sagen der Partei des Präsidenten einen Erdrutschsieg voraus. Die Konkurrenz hat Angst vor "Absolutismus."
Emmanuel Macron (39) scheint derzeit alles zu gelingen. In seinen ersten Wochen im Élyséepalast hat der junge französische Staatschef eine gute Figur gemacht, auch international. Nun könnte die Parlamentswahl zur Krönung seines Senkrechtstarts an die Macht werden. Vor dem ersten Wahlgang am Sonntag halten Umfragen eine geradezu erdrückende Mehrheit des Macron-Lagers für möglich.
Damit könnte die Abstimmung das Abrisswerk fortführen, das Macron am traditionellen Parteiensystem Frankreichs begonnen hat. Und den Weg frei machen für sein Reformprogramm, mit dem der sozialliberale Staatschef Frankreichs Wirtschaft wieder Schwung verschaffen will.
In allen Umfragen lagen Macrons Partei "La République En Marche!" und die mit ihr verbündete MoDem-Partei vorn. Institute haben berechnet, dass sie deutlich über 300, womöglich mehr als 400 der 577 Abgeordnetensitze erobern könnten – eine absolute Mehrheit. Das wäre eine Sensation für die Formation in der politischen Mitte, die Macron erst vor gut einem Jahr aus dem Boden gestampft hat.
Reines Mehrheitswahlrecht in Frankreich
Allerdings macht das Wahlsystem mit einem reinen Mehrheitswahlrecht Prognosen der Sitzverteilung knifflig.
Gegner malen angesichts des erwarteten Durchmarschs schon das Schreckensbild einer "Einheitspartei" an die Wand. Sozialisten-Chef Jean-Christophe Cambadélis warnt vor "Absolutismus", das Parlament könne zu einer "Absegnungskammer" werden. Die Partei von Macrons Vorgänger François Hollande muss mit einem Desaster rechnen.
Aber auch die Republikaner, die sich vor einigen Wochen noch Hoffnungen auf eine Parlamentsmehrheit machten, sind in Bedrängnis. Macron hat in einem geschickten Schachzug bürgerliche Politiker an Schlüsselstellen seiner Regierung gesetzt, vorneweg Premier Edouard Philippe.
Links und Rechts werden entscheidend
Besonders wichtig ist, wie stark die Kräfte links- und rechtsaußen im Parlament werden. Immerhin hatte die erste Runde der Präsidentenwahl ein viergeteiltes Land gezeigt: Macron in Führung, nur wenige Punkte dahinter die Rechtspopulistin Marine Le Pen, der Konservative François Fillon und der Linke Jean-Luc Mélenchon.
Das Mehrheitswahlrecht macht es kleinen Parteien schwer: In die Nationalversammlung kommt, wer seinen Wahlkreis gewinnt. Die Front National erzielte 2012 zwar 13,6 Prozent im ersten Wahlgang, gewann aber nur zwei Mandate. Auch Mélenchon und seine Bewegung "Das aufsässige Frankreich" könnten es schwer haben.
Erhält Macron die absolute Mehrheit, kann allenfalls der von der bürgerlichen Rechten dominierte Senat die Gesetzespläne des Staatschefs bremsen. Bei der brisanten Lockerung des Arbeitsrechts, die er nach der Wahl im Schnelldurchlauf durchsetzen will, könnte der Widerstand aber von ganz woanders kommen – von den wenn Gewerkschaften.
Das Wahlsystem: "Der Sieger nimmt alles"
Frankreich wählt sein Parlament in der Regel kurz nach der Präsidentenwahl. Das gibt dem neuen Staatschef gute Chancen, eine Mehrheit für sein Programm in der Nationalversammlung zu bekommen. Es gilt ein reines Mehrheitswahlrecht.
Die rund 47,5 Millionen berechtigten Franzosen wählen in 577 Wahlkreisen je einen Abgeordneten. Ähnlich wie in Großbritannien gilt dabei das Prinzip "Der Sieger nimmt alles", die Stimmen der unterlegenen Kandidaten werden bei der Sitzverteilung im Parlament nicht berücksichtigt.
Ein Kandidat ist schon im ersten Wahlgang am Sonntag gewählt, wenn er mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen in seinem Wahlkreis bekommt.
Zugleich müssen damit mindestens 25 Prozent aller Wahlberechtigten für ihn gestimmt haben. Ansonsten entscheidet eine Stichwahl eine Woche später. In der zweiten Runde gewinnt, wer die meisten Stimmen bekommt.