Wähler-Wunsch einer Chefärztin: "Es geht um die Bewohnbarkeit der Erde"
München/Augsburg - AZ-Interview mit Claudia Traidl-Hoffmann: Die Chefärztin (51) leitet den Bereich Umweltmedizin an der Medizinischen Fakultät der Universität Augsburg und am Helmholtz-Zentrum München.
AZ: Frau Dr. Traidl-Hoffmann, was erwarten Sie sich von der künftigen Bundesregierung?
CLAUDIA TRAIDL-HOFFMANN: Viel. Sehr am Herzen liegt mir die Klimapolitik. Zwei Dinge müssen dringend angegangen werden: Priorität haben Maßnahmen zur Abmilderung des Klimawandels. Und zweitens Maßnahmen zur Anpassung an das Klima, also Klimaresilienz.
Können Sie konkrete nennen?
Wir wissen, dass der Klimawandel durch Substanzen aus Verbrennungsprozessen angefeuert wird. Deswegen müssen zum Beispiel der Verkehr und die dort entstehenden Schadstoffe in Städten reduziert werden. Unsere Gesundheit leidet unter den Schadstoffen. Bewiesen ist etwa, dass Kinder, die an befahrenen Straßen leben, häufiger unter Neurodermitis und Allergien leiden. Gleichzeitig müssen der Kohleausstieg und der Ausbau von regenerativen Energien vorangetrieben werden.
Klimawandel? "Kommunikation muss deutlich verbessert werden"
Laut dem kürzlich veröffentlichten Weltklimabericht könnte die kritische Schwelle der Erderwärmung bereits 2030 gerissen werden.
Ja, deshalb muss auch die Kommunikation von Wissenschaft, Politik und Journalismus deutlich verbessert und von der Politik auch gefördert werden. Wenn wir so weiter machen wie bisher, laufen wir eher auf vier, fünf Grad mehr hinaus und in den Städten auf sechs bis sieben Grad mehr. Szenarien mit überfüllten Krankenhäusern und vielen Toten, könnte es auch hierzulande geben - aufgrund von langanhaltender Hitze.
Welche Veränderungen befürchten Sie durch die Wahl?
Dass Politiker in Deutschland und weltweit Angst haben, vordergründig ungemütliche Entscheidungen zu treffen. Es ist klar, dass diese Themen fordern und Geld kosten. Nur, sie nicht anzugehen kostet auf Dauer mehr. Die Priorität Klimawandel - egal, bei welcher Partei - ist nicht hoch genug angesetzt. Die Politik hat nicht verstanden, dass die Zeit unfassbar drängt. Der Klimawandel bedroht unsere Existenz, es geht um die Bewohnbarkeit der Erde. Wir können nur auf einer gesunden Erde leben.
Gefahren des Klimawandels? Allergien, Hitze- und Hungertode, Infektionen
Wie macht der Klimawandel uns krank?
Durch den Klimawandel sind zum Beispiel mehr Pollen in der Luft, die immer aggressiver werden. Die Menschen haben mehr Allergien. Auch bringt Hitze um: In Deutschland gibt es 6.000 Hitzetote pro Jahr. Gerade ältere Menschen sterben oft daran. Ein weiteres Thema sind Infektionen, die durch Zecken oder Mücken übertragen werden, wie beim Denguefieber. Tropenerkrankungen gibt es schon jetzt bei uns. Auch die Fälle von Borreliose haben sich in den letzten fünf Jahren verdoppelt. Die Klimakrise führt zudem weltweit zu mehr Hungertoden und wird langfristig auch für Konflikte sorgen.
Was läuft bereits gut und sollte von der neuen Regierung weitergeführt werden?
Das Bayerische Gesundheitsministerium hat gerade eine Landesarbeitsgemeinschaft Gesundheitsschutz im Klimawandel gegründet. Das spiegelt wider, dass das Gesundheitssystem verstanden hat, dass der Klimawandel bei uns in Deutschland angekommen ist - Bayern wird hier Vorreiter sein, um den Gesundheitsschutz voranzutreiben. Hier müssen wir weitermachen.
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