VdK: Angehörige werden bei Pflege daheim vergessen
"Ich kann nicht mehr. Ich muss meinen Mann ins Heim geben." Dieses Bekenntnis der 77-jährigen Christa L. aus Kitzingen ist auf dem Marienplatz zu lesen. Sie ist nicht die Einzige. "Pflege zuhause oder Job: Was würden Sie tun, wenn Sie wählen müssen, Herr Lauterbach?", fragt Helga Schweig aus dem saarländischen Oberthal, Timo S. aus Regenburg sagt: "Muss man ins Heim, wird man arm."
Insgesamt 300 solcher Schilder hat der Sozialverband VdK am Dienstag im Herzen von München platziert und damit in einer "Stillen Demo" auf die Forderungen und Nöte von Pflegebedürftigen und pflegenden Angehörigen aufmerksam gemacht. Die Idee dahinter: Diese hätten keine Zeit und keine Kraft, selbst auf die Straße zu gehen.
Angehörige pflegen - oft ein 24-Stunden-Job
Die Aktion "Nächstenpflege" ist ein Alarmsignal des Verbands, das er auch in anderen bayerischen und deutschen Städten sendet: Menschen, die sich um ihre Nächsten - daher der Name - kümmern, seien überlastet und müssten dringend mehr unterstützt werden.
Eine im Mai veröffentlichte Befragung unter VdK-Mitgliedern gab erstmals umfassende Einblicke in die häusliche Pflege: Rund ein Drittel der Befragten (34,5 Prozent) gab an, dass die Pflege nur unter Schwierigkeiten oder eigentlich nicht mehr zu bewältigen sei. Und: Fast zwei Drittel erklärten, sie könnten den Pflegebedürftigen eigentlich keine Stunde alleine lassen.
Die allermeisten der 4,1 Millionen Pflegebedürftigen - mehr als 80 Prozent - werden daheim versorgt. In Bayern mit seinen 500.000 Pflegebedürftigen sei der Prozentsatz ähnlich, wie die VdK-Landesvorsitzende Ulrike Mascher erklärt. Man gehe von mindestens 750.000 pflegenden Angehörigen in Bayern aus.
Kommunen in der Pflicht
Für VdK-Bundesvorsitzende Verena Bentele ist das Ziel klar: "Wir wollen die Pflege zu Hause als Goldstandard etablieren und auf Dauer festigen", sagte sie gestern im Münchner Presseclub. Denn, auch das habe die VdK-Umfrage ergeben, die Allermeisten möchten am liebsten in ihren eigenen vier Wänden gepflegt werden.
Doch wie kann das in Bayern gelingen - und welche Rolle kommt dabei Kommunen und Städten zu? Ulrike Mascher fordert klar, dass sich auch die Kommunen stärker als Träger engagieren müssen - besonders beim Aufbau von Tagespflegeeinrichtungen.
Zudem müsse jedes Heim verpflichtet werden, einen Teil seiner Pflegeplätze als Kurzzeitpflegeplätze vorzuhalten. Hier ginge auch in München noch mehr: Die Landeshauptstadt bringt es derzeit gerade mal auf 85 Kurzzeitpflegeplätze, wie Sozialreferentin Dorothee Schiwy (SPD) gestern mitteilte.
Noch schlechter sieht es in der Nachtpflege aus. Bayernweit gebe es hier nahezu keine Angebote, so Mascher - dies müsse sich dringend ändern. Besondere Fördertöpfe könnten hier Anreize schaffen.
Beratungsangebote: Noch Luft nach oben
Schon seit Jahren setzt sich der VdK für einen flächendeckenden Ausbau von Pflegestützpunkten ein, die unabhängige Beratung im Leistungsdschungel bieten. Zumindest in Oberbayern hat sich etwas getan, wie Josef Mederer, Bezirkstagspräsident des Bezirks Oberbayern, gestern verkündete.
In 16 von 23 Landkreisen und kreisfreien Städten gebe es hier inzwischen einen solchen Pflegestützpunkt, drei weitere sollen bis Anfang 2023 folgen. Der VdK moniert jedoch, dass es in den anderen Regierungsbezirken, insbesondere in Niederbayern und der Oberpfalz, noch viel Luft nach oben gibt.
Hürden abbauen
Unabhängig vom Regierungsbezirk steht allen Menschen ab dem niedrigsten Pflegegrad eins ein Budget von 125 Euro für "haushaltsnahe Dienstleistungen" zu. Der Haken: Einkaufen oder mal staubsaugen darf nicht einfach der Nachbar. Es braucht in Bayern eine Zertifizierung. Diese haben derzeit nur 1.660 professionelle Hilfskräfte und etwa 1.000 Ehrenamtliche. Viel zu wenige, sagt Mascher. Der VdK fordert daher, die Hürden zu senken - und schlägt etwa vor, Helfenden unbürokratisch eine Quittung für Dienste auszustellen.
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