Treffen mit "Zar" Putin in der Bibliothek

Nach einem langen Tag auf dem Wirtschaftsforum in St. Petersburg trifft sich Kremlchef Putin in der Nacht noch mit Vertretern großer Nachrichtenagenturen. Er spricht über die Ukraine, die Fußball-WM, Pipelines, die MH17-Tragödie und ganz kurz über Privates.
von  Ulf Mauder, dpa
Nach einem langen Tag auf dem Wirtschaftsforum in St. Petersburg traf sich Kremlchef Putin in der Nacht noch mit Vertretern großer Nachrichtenagenturen.
Nach einem langen Tag auf dem Wirtschaftsforum in St. Petersburg traf sich Kremlchef Putin in der Nacht noch mit Vertretern großer Nachrichtenagenturen. © dpa

Nach einem langen Tag auf dem Wirtschaftsforum in St. Petersburg trifft sich Kremlchef Putin in der Nacht noch mit Vertretern großer Nachrichtenagenturen, darunter dpa. Er spricht über die Ukraine, die Fußball-WM, Pipelines, die MH17-Tragödie und ganz kurz über Privates.

St. Petersburg - Zu den Weißen Nächten in St. Petersburg, wenn die Tage endlos scheinen und es kaum richtig dunkel wird, kann auch Präsidenten jedes Zeitgefühl abhandenkommen. Es ist schon kurz nach Mitternacht, als Kremlchef Wladimir Putin - vier Stunden später als angekündigt - doch noch kommt. Ein randvoller Tag liegt hinter dem 62-Jährigen. Unzählige Treffen mit Wirtschaftsbossen, Staats- und Regierungschefs, Gespräche auch über die schwere Wirtschaftskrise im Land und dringend nötige und erwünschte westliche Investitionen.

Fast anderthalb Stunden nimmt er sich Zeit für das Treffen mit Vertretern großer Nachrichtenagenturen, darunter die Deutsche Presse-Agentur - in einem kleinen Saal in der nach seinem Vorgänger Boris Jelzin (1931-2007) benannten Präsidentenbibliothek. In dem Prunkbau aus Zarenzeiten scherzt und lacht Putin. Auf manchen seiner vom Warten müden Gäste macht der Präsident den Eindruck, als würde er gerade erst in den Tag starten. Der Samstag - der letzte Tag des Wirtschaftsforums an der Newa - ist schon angebrochen.

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Er arbeite immer so lange, sagt er einem Gast, der sich über die Uhrzeit wundert. Putin ist bekannt dafür, dass er mitunter die Nacht durchmacht - wie etwa am 12. Februar in der weißrussischen Hauptstadt Minsk. Damals handelte er unter anderem mit Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel einen Friedensplan für die Ukraine aus. Er betont, dass das Abkommen weiter gelte. Der Frieden im Kriegsgebiet Ostukraine stehe und falle aber damit, ob Präsident Petro Poroschenko das Gespräch mit den Aufständischen in Donezk und Luhansk sucht. Ohne Dialog kein Frieden.

Und nein, Russland wolle die Ukraine als Land nicht vernichten, antwortet Putin der Deutschen Presse-Agentur auf eine Frage, die sich auch um Russlands Gaspolitik dreht. Auf dem Forum kündigte die Energiegroßmacht neue Pipelines durch die Ostsee nach Deutschland sowie über Griechenland an. So soll die Ukraine als bisher wichtigstes Transitland für den Gasexport in die EU bald überflüssig werden. Milliarden gehen der Ex-Sowjetrepublik künftig verloren. Wird das der "Todesstoß" für das vor dem Bankrott stehende Land?

Die Ansage des Energieriesen Gazprom, den Transit durch die Ukraine um 2019 komplett einzustellen, sei vielleicht ein wenig übertrieben, meint Putin. Doch das Transportnetz des Nachbarn sei marode - auch die EU unternehme bisher nichts für dessen Sanierung. Deshalb baue Russland Alternativen. "Es ist ein Angebot." Dass es Widerstand der EU gegen die Gasvorhaben gibt, will er nicht verstehen. Er wirbt dafür, dass die Verlängerung von Turkish Stream, der durch das Schwarze Meer über die Türkei geplanten Leitung, dem klammen EU-Land Griechenland dauerhaft Einnahmen für den Transit sichert.

Einmal mehr versucht der Kremlchef, Ängste im Westen vor einer zu großen Abhängigkeit von russischen Energielieferungen zu zerstreuen. Die EU müsse Interesse an einer besser Finanzlage der Griechen haben. Und es gehe darum, den wachsenden Energiebedarf in der EU auch angesichts sinkender Fördermengen im Norden Europas zu decken. Geld verdienen wollen die Russen mit dem Gasverkauf freilich auch.

Immer wieder drehen sich die Fragen zu dieser späten Stunde aber um die Ukraine. "Es gibt keine russischen Soldaten in der Ostukraine", beteuert Putin. Woher die Waffen für die Aufständischen im Donbass kommen? Es gebe bei allen Konflikten auf der Welt für die kämpfenden Seiten Wege, sich welche zu beschaffen, meint der Präsident kühl.

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Fast ein Jahr nach dem Absturz der malaysischen Passagiermaschine MH17 im Separatistengebiet äußert Putin sich erstmals zu den vielen Versionen über den möglichen Hergang der Katastrophe. Staatsmännisch erinnert er an den tragischen Tod der 298 Menschen am 17. Juli 2014.

Er selbst habe dieser Tage einen Bericht auf den Tisch bekommen über den Einschlag des Geschosses in das Cockpit. Eine Boden-Luft-Rakete soll von einem Buk-Abwehrsystem abgefeuert worden sein - aus dem von ukrainischen Streitkräften kontrollierten Gebiet. Russland warte aber auf die Ergebnisse der Untersuchungskommission in den Niederlanden.

Drei Jahre vor der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland sieht Putin ungeachtet der Kritik des Westens an seiner Politik die Vorbereitungen auf gutem Wege. Von den Korruptionsermittlungen beim Fußballweltverband FIFA fürchtet sich der Gastgeber der WM 2018 nicht. "Wir haben ehrlich gekämpft und haben gewonnen", sagt Putin mit Blick auf den Verdacht, Russland könnte die Entscheider geschmiert und sich den Wettbewerb aus Prestigegründen gekauft haben.

2018 ist auch das Jahr, in dem die nächste Präsidentenwahl in Russland ansteht. Dass Putin an der Macht bleibt, daran zweifelt im weltgrößten Flächenstaat kaum jemand. Ob der Geschiedene vor der Wahl eine neue Frau an seiner Seite vorstellen werde, wollen die Gäste wissen. Er habe zwei Töchter - und ein gutes Verhältnis zu seiner Ex-Frau Ljudmila, sagt er. "Bei mir ist alles in Ordnung", meint Putin, bevor er sich mit festem Händedruck um halb zwei morgens verabschiedet. Zur Erinnerung an die Nacht in der Präsidentenbibliothek an der Newa gibt es für die Gäste noch einen Leseausweis. Er ist 100 Jahre gültig.

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