Thomas Oppermann: "Die CSU ist der Quertreiber"

Thomas Oppermann kritisiert Horst Seehofers Blockade-Haltung und erklärt im AZ-Interview, warum es zur Lösung der Flüchtlingskrise einen europäischen Kraftakt braucht.
von  Interview: Rudi Wais
Die AZ sprach im Interview mit dem SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann - Thema war vor allem die Flüchtlingskrise.
Die AZ sprach im Interview mit dem SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann - Thema war vor allem die Flüchtlingskrise. © dpa

München - Im Interview mit der AZ spricht der SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann über die Flüchtlingskrise und deren Lösung sowie den bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer.

AZ: Herr Oppermann. Leiharbeit, Erbschaftssteuer, Flüchtlingskrise. Inzwischen vergeht kaum ein Tag ohne Hauskrach in der Koalition. Wie lange kann das noch gutgehen?

Thomas Oppermann: Wir haben in der Koalition zwei Jahre lang gute und verlässliche Arbeit gemacht, nicht zuletzt deshalb genoss die Koalition auch lange großes Ansehen in der Bevölkerung. In den letzten Wochen und Monaten hat die CSU allerdings die Rolle des permanenten Quertreibers übernommen.

Wegen der Flüchtlingskrise?

Das gilt nicht nur für die Flüchtlingskrise, in der Horst Seehofer der Kanzlerin ein ums andere Mal in den Rücken fällt, sondern jetzt auch bei ausverhandelten Gesetzesentwürfen zur Erbschaftssteuer und zur Leiharbeit, die er plötzlich wieder zur Disposition stellt. Da frage ich mich: Was bezweckt Herr Seehofer eigentlich?

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Messen Sie nicht mit zweierlei Maß? Das Asylpaket II war im November auch schon gepackt und wurde von der SPD noch einmal aufgeschnürt.

Nein. Als die drei Parteivorsitzenden damals auseinander gegangen sind, gab es eine klare Vereinbarung zum Familiennachzug. Dann hat Innenminister de Maizière in Unkenntnis dieser Vereinbarung eine verschärfte, davon abweichende Linie verkündet und dafür auch noch massive Unterstützung aus der Union erhalten. Gleichzeitig haben sowohl Merkels Sprecher als auch ihr Kanzleramtsminister den Innenminister zurückgepfiffen. Dieses Durcheinander war der Grund für den monatelangen Streit. Bayern will gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung vor dem Verfassungsgericht klagen.

Angenommen, es kommt so weit: Ist das der Punkt, an dem für die SPD die Koalition zu Ende ist?

Eine Verfassungsklage gegen die eigene Kanzlerin – das wäre für Bundeskanzlerin Angela Merkel der casus belli, der Kriegsfall. Unbeschädigt könnte sie nicht weiter regieren, ohne die CSU-Minister aus ihren Ämtern zu entlassen.

Wird es dazu kommen?

Ich glaube nicht, dass Bayern am Ende tatsächlich klagt. Seehofer gefällt sich darin, Theaterdonner zu produzieren, um den Widerspruch der CSU zur Politik von Frau Merkel deutlich zu machen. Die Wählerinnen und Wähler spüren, dass das nur eine bühnenreife Inszenierung ist.

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Verglichen mit den Herausforderungen, vor denen das Land in der Flüchtlingskrise steht, wirken die Konflikte um die Werkverträge und die Erbschaftssteuer seltsam klein. Hat die SPD im Moment keine anderen Sorgen?

Aber das sind doch genau die Sorgen der Menschen. Eine Million Arbeitnehmer und ihre Familien müssen jetzt auf ein Mindestmaß an Schutz und Absicherung warten. Über die Flüchtlingskrise dürfen wir die Alltagsprobleme der Menschen nicht vergessen. Denn nichts spaltet die Gesellschaft mehr als das Gefühl der normalen Leute, „für die Flüchtlinge tut ihr alles, für uns aber nichts“. Wir müssen die Aufgaben im eigenen Land wie Bildung, Familien, Gesundheit und eben Leiharbeit auch weiter erfüllen.

Was passiert, wenn es zu keiner europäischen Lösung in der Flüchtlingskrise kommt? Machen wir dann wie Schweden die Grenzen dicht?

Wenn immer mehr Länder ihre Grenzen schließen, werden Probleme nicht gelöst, sondern nur verlagert. Der erste Leidtragende ist Griechenland, das mit Hunderttausenden von Flüchtlingen bald völlig überfordert sein wird. Rechtzeitig vor dem Gipfel führt das noch einmal allen vor Augen, dass wir einen gemeinsamen europäischen Kraftakt brauchen.

Das heißt konkret?

Die Lage der Flüchtlinge in Krisenländern wie der Türkei, dem Libanon oder Jordanien verbessern, die Außengrenzen der EU schützen, die Schlepperkriminalität bekämpfen und am Ende fest vereinbarte Kontingente für die Aufnahme von Flüchtlingen aus den Krisenländern – in deutlich geringerer Zahl als bisher.

Angeblich rechnet die Bundesregierung mit insgesamt 3,6 Millionen Flüchtlingen bis zum Jahr 2020. Wie soll Deutschland das schaffen?

Bei dieser Zahl handelt es sich um einen technischen Wert für die internen Planungen der Regierung. Das ist keine Prognose. Wie viele Flüchtlinge tatsächlich kommen, hängt davon ab, wie sich der syrische Bürgerkrieg entwickelt, ob es uns gelingt, die Hungerkatastrophe in Afrika abzuwenden und ob wir die Außengrenzen der EU wirksam schützen können. Wir können nicht jedes Jahr eine Million Flüchtlinge aufnehmen. Wir müssen uns daran orientieren, wie viele wir tatsächlich integrieren können.

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Bei den drei Landtagswahlen Mitte März bahnen sich für die SPD gleich mehrere Debakel an. Wie sicher sitzt Sigmar Gabriel eigentlich noch im Sattel?

Sigmar Gabriel leistet als Wirtschaftsminister und Vizekanzler exzellente Arbeit. Er hat die SPD in seinen mehr als sechs Jahren als Parteivorsitzender aus einem Jammertal in eine Regierung zurückgeführt, in der die SPD vom Mindestlohn über die Frauenquote bis zur Mietpreisbremse viele wichtige Reformen durchsetzen konnte. Daran hat Sigmar Gabriel entscheidenden Anteil. Die SPD wird am Ende deutlich besser abschneiden als im Moment in den Umfragen.

Was sagen Sie den Menschen, die mit dem Gedanken spielen, die AfD zu wählen?

Jeder, der überlegt, die AfD zu wählen, sollte wissen, dass er sich damit gegen den Zusammenhalt in der Gesellschaft stellt. Viele Menschen wollen aus Protest gegen die Flüchtlingspolitik die AfD wählen – eine Partei, die kein einziges Problem lösen wird, sondern nur das Ziel hat, die Menschen gegeneinander aufzuhetzen und das Land mit manchmal völkischen, oft aggressiven Parolen zu spalten. Diese Form der geistigen Brandstiftung senkt die Hemmschwelle, mit Gewalt gegen Flüchtlinge und Flüchtlingsheime vorzugehen.

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