Streit um Sterbehilfe: Das müssen Betroffene aktuell beachten

Sterbehilfe ist ein Thema, das in Deutschland immer noch nicht eindeutig geregelt ist. Rechtliche Grauzonen machen auch Medizinern zu schaffen. Die AZ hat in Erfahrung gebracht, was es aktuell für Betroffene zu beachten gibt.
Christian Grimm |
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Eine Therapeutin in einem Hospiz hält die Hand einer todkranken Bewohnerin.
Eine Therapeutin in einem Hospiz hält die Hand einer todkranken Bewohnerin. © Sebastian Kahnert/dpa

Berlin – Eine noch ziemlich junge Frau von 36 Jahren setzt ihrem Leben ein Ende – eine heimtückische Muskelkrankheit hat es ihr zur Hölle gemacht. Ein Mann von 101 Jahren scheidet ganz bewusst aus dem Leben – nach langer Zeit ist im wahrsten Wortsinn lebensmüde geworden. Das sind nur zwei Beispiele, die zeigen, in welcher Spanne die Geschichten von Leben und Tod spielen, die Robert Roßbruch regelmäßig begegnen.

Der Mann ist Vorsitzender der Gesellschaft für Humanes Sterben. Und er ist Jurist. Sein Beruf ist kein Nachteil in dieser heiklen Sache, im Gegenteil. Wer sich in Deutschland umbringen will und dabei Hilfe sucht, der betritt juristisch schwankendes Terrain. Riskant werden kann es vor allem für die Ärzte, die bei dem Suizid assistieren.

Sterbehilfe: Noch müssen viele Deutsche dafür in die Schweiz fahren

In Berlin steht deshalb aktuell ein Mediziner vor Gericht, in Essen wurde kürzlich ein Arzt zu drei Jahren Freiheitsstrafe wegen Totschlags verurteilt. Gegen die Entscheidung ist Revision eingelegt worden. Robert Roßbruch will nicht, dass die Menschen aus Deutschland zum Sterben in die Schweiz fahren müssen, wo die Sterbehilfe sehr liberal geregelt ist.

Seine Organisation unterstützt Menschen, die sanft aus dem Leben scheiden wollen. Vergangenes Jahr waren es 419, im Jahr davor 229. Es sind also fast doppelt so viele zu Roßbruch gekommen. Über 80 Prozent waren älter als 70 Jahre. Sie leiden häufig an Krebs, werden geplagt von verschiedenen anderen Krankheiten, oder wollen einfach nicht mehr. Zum Vergleich: Insgesamt bringen sich in Deutschland pro Jahr rund 10.000 Menschen auf die verschiedensten Arten um.

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Gesellschaft für Humanes Sterben unterstützt in Deutschland

Neben der Gesellschaft für Humanes Sterben begleiten außerdem der Verein Sterbehilfe und Dignitas Deutschland Menschen in den Tod. Roßbruch schätzt, dass sie zusammen auf 1000 Fälle kommen. Weil die Gesellschaft altert, rechnet er damit, dass es in den nächsten Jahren mehr werden.

Die Gesellschaft für Humanes Sterben vermittelt den Hilfesuchenden die Ärzte und Juristen für den letzten Gang – es sind 30 Teams in ganz Deutschland. Dafür muss man der Gesellschaft beitreten, 120 Euro kostet der Mitgliedsbeitrag pro Jahr.

Den finalen Schritt muss man selbst gehen

Vor dem begleitenden Suizid muss der freie Wille desjenigen festgestellt werden, der den Tod sucht. Darum kümmern sich die Juristen. Die Ärzte beraten über Therapien, über Alternativen zum Suizid. Sie schreiben medizinische Gutachten oder holen diese von Kollegen ein. In der Stunde des Todes sind sie an der Seite des Patienten. Der Mediziner legt eine Kanüle, er fragt, ob der Beutel mit dem todbringenden Präparat an den Tropf gehängt werden soll.

Den finalen Schritt muss jeder allein machen. "Der Betroffene dreht die Infusion auf", erzählt Roßbruch. Nach dem Dahinscheiden wird die Kripo informiert, das vorgeschriebene Ermittlungsverfahren beginnt.

Für Polizei und Staatsanwaltschaft ist entscheidend, wer das Rädchen aufgedreht hat. Denn es wäre aktive Sterbehilfe, würde das ein Mediziner erledigen. Dabei handelte es sich dann um eine Tötung auf Verlangen, die in Deutschland strafbar ist strafbar. Dennoch zeigen die Prozesse gegen die Ärzte, dass sie auch bei der passiven Sterbehilfe einem Risiko ausgesetzt sind. Das liegt daran, dass die Rechtslage nicht genau definiert ist. Vor vier Jahren hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt, dass sich aus dem Grundgesetz ein "Recht auf selbstbestimmtes Sterben" ableite.

Dieses Recht umfasst in der Herleitung der obersten deutschen Richter die "Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen". Sie erklärten das bis dato gültige weitgehende Verbot passiver Sterbehilfe für ungültig.

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Noch hat der Bundestag keine Mehrheit für einen Entwurf

Das Verfassungsgericht sprach dem Bundestag aber ausdrücklich die Möglichkeit zu, die Paragraphen neu zu regeln. Doch das haben die Abgeordneten bis heute nicht erreicht. Zwar erarbeiteten zwei fraktionsübergreifende Gruppen Gesetzentwürfe, doch keiner der beiden fand eine Mehrheit im Hause.

Die Abgeordnete Katrin Helling-Plahr von der FDP schrieb federführend an einem Vorschlag. Sie hält es nach wie vor für nötig, dass der Bundestag aktiv wird. Noch immer mangele es an Klarheit, wer wem auf welche Weise bei einem Freitod helfen darf. "Als Gesetzgeber dürfen wir die Augen hiervor nicht verschließen", sagt die 37-Jährige der AZ.

Sie hat nicht aufgegeben. Nach dem Scheitern im vergangenen Sommer hat ihre Gruppe aus Abgeordneten weiter an dem Gesetzentwurf gefeilt, um ihn für eine Mehrheit zustimmungsfähig zu machen. "Es ist unsere Verantwortung als Gesetzgeber, bestehende Grauzonen zu beseitigen", meint Helling-Plahr.

Der CDU-Abgeordnete Ansgar Heveling war seinerzeit maßgeblich an dem konkurrierenden Gesetzentwurf beteiligt, der strengere Anforderungen an die Sterbehilfe stellte. Er stehe weiter die Frage im Raum, ob das Thema ausreichend geregelt sei. "Insofern gibt es natürlich Überlegungen, einen neuen gesetzgeberischen Anlauf zu nehmen", sagte Heveling der AZ.

Robert Roßbruch hingegen meint, dass es den Bundestag in dieser Frage nicht bedürfe. "Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts sind eindeutig und klar", sagt er. Den beiden vor Gericht stehenden Mediziner nützt das womöglich nichts. Strittig ist vor allem, ob schwer psychisch Kranke in freiem Willen über ihr Ableben entscheiden können.


Sterbehilfe: Die Situation in Bayern

Die Zahl der Selbsttötungen in Bayern ist laut dem Statistischen Bundesamt 2022 die höchste im Vergleich der Bundesländer gewesen. 1811 Suizide wurden verübt. Im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW waren es 1442. 2017 waren es in Bayern 1597 Selbsttötungen, 2012 lag die Zahl bei 1713.Geht man nicht von absoluten Zahlen, sondern den Fällen je 100.000 Einwohner aus, war dagegen Sachsen 2022 das Bundesland mit den meisten Suiziden: Hier waren es 17,2 Gestorbene je 100.000 Personen. Die Suizidrate nimmt im Alter bei Männern und Frauen gleichermaßen zu, geht aus vom bayerischen Sozialministerium zusammengefassten Zahlen hervor – "vor allem bei Männern ab dem 70. Lebensjahr", heißt es. Ursache seien unter anderem Vereinsamung, schwere Erkrankungen und unbehandelte Depressionen.

Dennoch sei die Zahl der Selbsttötungen gegenüber dem Jahr 1980 bei Frauen wie Männern im Freistaat gesunken. Auch bundesweit gibt es diese Entwicklung: Nahmen sich 1980 noch 50 Menschen pro Tag das Leben, waren es 2022 fast 28, so das Statistische Bundesamt.Die Diakonie Bayern schreibt in ihrem Positionspapier "Zum Umgang mit dem assistierten Suizid", es könne "keine allgemeine Antwort darauf geben, wie sich diakonische Träger und ihre Einrichtungen hier zu verhalten haben", weil " sich die Frage nach dem assistierten Suizid einer allgemeinen ethischen Bewertung entzieht". Der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer forderte 2023, Mitwirkung und Duldung von Suizidassistenz in katholischen Einrichtungen und Diensten müssten im Rahmen einer "institutionellen Schutzraumklausel" ausgeschlossen werden.

Hilfe  bei Suizidgedanken

Anmerkung der Redaktion: In der Regel berichtet die AZ nicht über Selbsttötungen – es sei denn, die Tat erfährt durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit. Suizidgedanken sind häufig eine Folge psychischer Erkrankungen. Letztere können mit professioneller Hilfe gelindert und geheilt werden. Wer Hilfe sucht, auch als Angehöriger, findet sie bei der Telefonseelsorge: 0800–111 0 111 und 0800–111 0 222. Die Berater sind rund um die Uhr erreichbar, jeder Anruf ist kostenlos.


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  • Himbeergselchts am 02.03.2024 19:35 Uhr / Bewertung:

    Dieses Thema geistert seit Jahrzehnten durchs Land. In der Schweiz, den Niederlanden und Belgien ist Sterbehilfe längst geregelt und vor Missbrauch geschützt. Warum deutsche Politiker wieder einmal das Rad neu erfinden müssen, bleibt die Frage.
    Ich habe vier Schwerstkranke in den Tod begleitet. Nur meine Mutter bat dringend um Sterbehilfe. Und die hätte ich ihr gewährt, hätte ich gewusst wie.
    Wer partout keinen Weg mehr zum Weiterleben sieht, wegen schwerer Krankheit sucht sich ohne humanitäre Hilfe einen anderen, einsameren Weg. Springt vor einen Zug, von einem Turm oder nimmt einen Strick.

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