Politik verweigert Recht auf Sterbehilfe: Todkranker Rentner kämpft für ein Ende ohne Qualen
Helmut Feldmann will leben. "Ich will jeden Moment bewusst die vielen schönen Dinge da draußen wahrnehmen", sagt der 77-jährige Rentner der AZ. Gerne geht er spazieren oder hilft bei der Arbeiterwohlfahrt anderen Menschen. Oder er sitzt einfach auf dem Sofa vor dem Tisch mit der Blümchentheke bei Kaffee und Kuchen – und unterhält sich mit seiner Tochter.
Doch eines ist für den früheren Elektrotechniker aus Marl in Nordrhein-Westfalen klar: "Ich werde nicht so elend und qualvoll verrecken wie meine Schwester." Die habe zwei Jahre lang nur im Bett gelegen – mit furchtbaren Schmerzen.
Helmut Feldmann kämpft für Sterbehilfe: "Ärzte wissen nicht, wie lange ich noch habe"
"Am Ende konnte sie nicht einmal mehr sprechen." Auch Feldmann leidet an der unheilbaren Lungenkrankheit, an der seine Schwester gestorben ist: Er hat COPD im fortgeschrittenen Stadium. Bettlägerig ist er zwar noch nicht. Doch in den vergangenen Monaten baute sein Körper immer schneller ab.
"Die Ärzte wissen nicht genau, wie lange ich noch habe: vielleicht ein paar Monate, womöglich auch noch länger", sagt Feldmann. Die extreme Hitze, die Schwüle und die hohen Ozonwerte in den vergangenen Tagen machten ihm besonders zu schaffen. "Die Bronchien werden bei so einer Wetterlage zusammengezogen und ich bekomme immer schlechter Luft."
Brief an Sterbehilfeverein: "Ich entscheide, wann das Ende kommt"
Seit einiger Zeit kann Feldmann nur noch mit dem Rollator gehen. Zudem macht ihm ein chronisches Magenleiden zu schaffen. Und so macht er sich wieder häufiger Gedanken, was passiert, wenn die Symptome irgendwann noch schlimmer werden.
Den Tod fürchtet Feldmann zwar nicht. Aber er hat Angst vor der Art und Weise, wie sein Leben zu Ende gehen könnte. "Ich will nicht nur noch an Geräte gefesselt, in ständiger Angst vor dem Ersticken leben." Für ihn ist klar: "Ich entscheide selbst, wann das Ende kommt."
Für den Tag X hat Feldmann einen klaren Plan. Keinesfalls werde er in eine Klinik gehen. Er werde sich auch nicht zu Hause pflegen lassen. "Ich will meiner Tochter nicht zur Last fallen. Wenn die Schmerzen eines Tages zu groß sind, werde ich meinen letzten Brief schreiben." Adressat ist ein Hamburger Sterbehilfeverein.
Sterbehilfe vom Arzt: So stellt sich Helmut Feldmann seinen Tod vor
Ein paar Tage später soll ein Arzt in seine Wohnung kommen und eine Kanüle anlegen. "Meine Tochter wird mir die Hand halten. Ich drücke auf den Knopf. Dann schlafe ich innerhalb von zehn Minuten ein." So stellt sich Feldmann sein Ableben vor.
Doch der Todkranke hat seine Rechnung ohne die Politik gemacht. Ende 2015 wurde die "geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung" in Deutschland verboten – fraktionsübergreifend und mit bereiter Mehrheit. Vor allem die Union, Teile der SPD, aber auch Abgeordnete diverser anderer Parteien sprachen sich damals gegen Sterbehilfe durch Dritte aus.
Paragraf 217: Bis zu drei Jahre Haft für Sterbehilfe
Vor der Reform 2015 war es für schwer kranke Patienten möglich, mithilfe eines Sterbehilfevereins Suizid zu begehen. Der Verein organisierte die tödlichen Substanzen, die Schwerkranke selbst einnehmen oder sich injizieren konnten.
Laut Paragraf 217 des Strafgesetzbuchs macht sich seit 2015 strafbar, "wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt". Im Falle einer Verurteilung droht eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren. Angehörige sind zwar von der Strafandrohung ausgenommen. Der Verein, dem Feldmann angehört, fällt jedoch unter das Gesetz.
Bundesverfassungsgericht erlaubt Sterbehilfe – unter strengen Auflagen
Sterbehilfevereine, Feldmann und andere todkranke Menschen klagten beim Bundesverfassungsgericht – und bekamen Recht. Karlsruhe kippte 2020 die bestehende Rechtslage.
Das wegweisende Urteil gilt als salomonisch. Es erlaubt Sterbehilfe mit Hilfe von Organisationen zwar in einem engen Rahmen. Die Richter fordern jedoch Regulierungen wie Beratungspflichten oder Wartefristen. Es gilt Missbrauch auszuschließen. Auch Befürworter der Sterbehilfe wollen nicht, dass sich skrupellose Erben so der reichen Oma entledigen.
Sterbehilfe legalisiert: Bundesregierung setzt Gerichtsbeschluss nicht um
Doch was macht die Politik? Lange Zeit nicht allzu viel. Der Bundestag hat es innerhalb der vergangenen dreieinhalb Jahre nicht geschafft, das Urteil des höchsten Gerichts umzusetzen.
Besonders groß sind die Bedenken gegen Sterbehilfe in der Unionsfraktion. Dort fürchtet man, dass ein bestehendes Angebot an Sterbehilfe überhaupt erst eine größere Nachfrage schaffe. Kein Kranker oder Alter solle sich zum Sterben gedrängt fühlen, nur weil er der Gesellschaft und seiner Familie nicht zur Last fallen möchte, heißt es in der CDU.
Max Straubinger (CSU): "Sterbehilfe muss eingeschränkt bleiben"
"Die Sterbehilfe muss so weit wie durch das Urteil rechtlich zulässig, eingeschränkt bleiben", sagt auch der CSU-Bundestagsabgeordnete Max Straubinger der AZ. Vor allem den kommerziellen Anbietern solle der Gesetzgeber "weiterhin einen Riegel vorschieben".
Feldmann wirft CDU und CSU sowie anderen Skeptikern vor, "unchristlich zu sein". Feldmann: "Es ist doch nicht im Sinne der Bibel, mich leiden zu lassen. Wo bleibt da mein Recht auf Selbstbestimmung?"
Sicherer Zugang zu Betäubungsmitteln soll gewährleistet werden
Nun kommt Bewegung in den Streit um Novellierung der gesetzlichen Regelungen zur Sterbehilfe. Zunächst gab es drei unterschiedliche Gesetzesinitiativen. Anfang Juni gelang es jedoch zwei Gruppen von Bundestagsabgeordneten, ihre beiden Anträge zu einem gemeinsamen Gesetzentwurf zusammenzuführen.
Der neue Entwurf sieht vor, dass Ärzte Erwachsenen Arzneimittel zur Selbsttötung verschreiben dürfen, die ihr Leben "aus autonom gebildetem, freiem Willen" beenden möchten. Dazu sollen aber Voraussetzungen zu Beratung und Aufklärung geregelt werden.
Entsprechende Arzneimittel sollen frühestens drei Wochen und höchstens zwölf Wochen nach der Beratung verordnet werden dürfen. Gewährleistet werden soll ein sicherer Zugang zu Betäubungsmitteln.
Härtefallregelung bei Sterbehilfe vorgesehen
Vorgesehen ist auch eine Härtefallregelung, wenn Suizidwillige in einem "existenziellen Leidenszustand mit anhaltenden Symptomen" sind, die sie in der gesamten Lebensführung dauerhaft beeinträchtigen. Dann sollen Ärzte auch ohne Beratungsbescheinigung Arzneimittel verordnen können.
Die FDP-Politikerin Katrin Helling-Plahr betont: "Suizidhilfe braucht Menschlichkeit und keine Verbotsgesetze." Auch viele Grüne sind für eine liberale Regelung.
"Kein Mensch ist überflüssig": Bundestag will vor Sommerpause über Sterbehilfe abstimmen
Zudem gibt es eine Initiative für eine beschränktere Regelung, die auch Straubinger unterstützt. Die Initiative um Lars Castellucci (SPD) und Ansgar Heveling (CDU) will eine geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung grundsätzlich unter Strafe zu stellen – aber mit einer Ausnahme für Volljährige. Um deren freie Entscheidung zum Suizid ohne Druck festzustellen, sollen in der Regel zwei Untersuchungen durch einen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie im Abstand von drei Monaten und eine umfassende ergebnisoffene Beratung vorgegeben werden.
Castellucci sagt: "Kein Mensch ist überflüssig." Der Zugang zum assistierten Suizid solle möglich sein, "ohne daraus ein Modell zu machen". Über eine Neuregelung will der Bundestag voraussichtlich noch vor der Sommerpause abstimmen. Feldmann hofft, dass der Bundestag sich nicht zu lange Zeit lässt. Er wolle nicht in der Klinik oder einem Hospiz, sondern in seiner Wohnung sterben – "ganz nah bei meiner Tochter".