Rainer Langhans im AZ-Interview: "Der Krebs tut mir gut"
München - Rainer Langhans (82) hat seit 2020 Prostata-Krebs in aggressiver Form. Die AZ traf den Langzeit-Kommunarden, Alt-68er, Ex-Hippie, Revolutionär, Schauspieler, Autor und Filmemacher im Luitpoldpark; hier dreht er täglich seine Runden, spielt Tischtennis, fährt Fahrrad.
Rainer Langhans: "Mir geht es sehr gut, und ich liebe alle Menschen"
Seit 1976 lebt Langhans - Markenzeichen graue Wallemähne und weiße oder naturfarbene Kleidung – gleich ums Eck. Mit drei der vier verbliebenen, starken Kommune-Frauen: Christa Ritter (Filmemacherin), Gisela Getty (Fotografin und Regisseurin) und Brigitte Streubel (Fotomodell und Schauspielerin). Getrennte Wohnungen statt Kommune oder WG.

Fotografin Anna Werner ist vor ein paar Jahren an den Walchensee gezogen. "Aber wir treffen uns jedes Jahr alle zusammen auf Sardinien zum spirituellen Rückzug, zum Retreat", erzählt Langhans. Und lächelt: "Mir geht es sehr gut, und ich liebe alle Menschen." Der unbequeme Rebell von damals scheint irgendwie altersmilde geworden zu sein.
Rainer Langhans: "Sterben-Üben ist wie ein Lockdown"
AZ: Hallo Herr Langhans, Sie sehen richtig gut aus, das hätten wir aufgrund Ihrer Krebserkrankung nicht erwartet.
RAINER LANGHANS: Ich fühle mich sehr gut. Aber für die meisten bin ich schon von der Bildfläche verschwunden, quasi schon tot. Das ist schwierig, ich fühle mich behindert von den Menschen, die mich nicht verstehen oder für einen Spinner halten. Als der Krebs festgestellt wurde, hieß es, man könne nichts mehr tun, mich nur noch palliativ in den Tod begleiten. Wissen Sie, was ich in dem Moment gedacht habe, als ich die tödliche Diagnose bekam? Toll, mein Meister schickt mir eine Liebeswelle. Der Körper versteht das als Sterben, als Tod. Da ich mich aber schon seit Jahrzehnten mit dem Sterben beschäftige, konnte ich anfangen, den Krebs zu lesen. Und kann sagen: Ja, der Krebs tut mir gut!
Wie übt man Sterben?
Durch Meditation mit meinem Meister. Er fand mich vor 50 Jahren. Von ihm habe ich eigentlich alles gelernt und lerne noch, er leitet und führt mich und hat mir auch den Krebs geschickt, auch wenn er schon seit 48 Jahren aus seinem Körper ist. Sterben-Üben ist wie ein Lockdown: Du musst alles komplett runterfahren im Äußeren, stattdessen gehst du nach innen. Jede richtige Meditation ist ein Üben des Sterbens. Du übst, aus deinem Körper rauszugehen, um in die Wirklichkeit, das Geistige, das Jenseits einzutauchen, wie es die Inder beherrschen. Dann kehrst du wieder in deinen Körper zurück, öfter und immer öfter. Schon Paulus sagte: "Ich sterbe täglich."
Langhans: "Die Devise lautete und lautet: 'Liebe ist alles, alles ist Liebe! Nicht Sex!'"
Zum besseren Verständnis – lassen Sie uns noch ein bisschen in die Tiefe gehen.
Gerne, danke, dass Sie sich dafür interessieren. Die Frauen und ich üben Sterben ja schon lange. Jetzt kam bei mir noch der Krebs dazu. Ich versuche zu verstehen, was der Meister in seiner Erscheinungsform des Krebses von mir will. Spätestens, wenn man sein Todesurteil bekommt, wird man anfangen, sich darauf vorzubereiten. Und sich der Tatsache stellen, statt sie zu verdrängen. Auf keinen Fall den Krebs bekämpfen, da verliert man immer. Sondern ihn lieben lernen. Denn wenn du ihn liebst, wird er dir zeigen, dass er im Grunde ein Liebestool ist: Er wird dich in ein neues, in ein besseres Leben führen. Also statt kämpfen, kämpfen, kämpfen: lieben, lieben, lieben.
Apropos lieben: Der landläufigen Meinung nach ging es dabei ja primär um Sex.
Nein, nein, nein! Die Devise lautete und lautet: "Liebe ist alles, alles ist Liebe! Nicht Sex!" Kommune hieß: kein Besitz, kein körperlicher Austausch außer Zärtlichkeit. Das habe ich immer wieder erzählt, schon 1967 zu Beginn der Kommune 1 in Berlin, später in der von Thomas Althoff und uns gegründeten High-Fish-Kommune in München. Doch die Leute dachten sofort an Orgien und Rudelbumsen. Dabei war eher das Gegenteil der Fall: Es ging weit über unsere kümmerliche Sexkultur hinaus, es ging um Zärtlichkeit, Selbstfindung, Liebe im höchsten Sinne und in reinster Form. Wir hatten so gut wie keinen Sex, wir waren so viel higher. Wenn du ein bisschen drüber bist über deinem Körper, gibt es keine Geschlechter mehr. Das haben wir erlebt und gelebt. Wir waren sehr nach innen gerichtet, waren anfangs drei Monate in Klausur, haben uns jeden Tag erzählt, was wir sehen und fühlen, wenn wir nach innen gucken.
Langhans: "Ich wollte mich spirituell weiterentwickeln, das war mein hohes Ziel"
Aber mit Uschi Obermaier war das früher doch anders.
Mit ihr habe ich 1969 bis 1972 mittels der sexuellen Revolution versucht, wieder das wunderbare 68er-Gefühl zu erlangen. Ging aber nicht. Ich bin ein Asperger-Autist, das habe ich erst vor ein paar Jahren erfahren, hatte immer Schwierigkeiten mit Menschen, mit Beziehungen, mit Sex sowieso. Als ich nach 1968 am Ende war, begegnete ich meinem Meister und fing daher an, das Sterben zu üben. Uschi sagte daraufhin: "Du willst nur sterben, ich will leben, und zwar so schön wie möglich, Sex haben mit den schönsten Männern der Welt." Das hat sie ja dann auch gemacht. Wir haben uns im Guten getrennt, auch wenn es später anders dargestellt wurde. Ich wollte mich spirituell weiterentwickeln, das war mein hohes Ziel.
An dem Sie noch immer arbeiten. Wie ist es im Jenseits?
Unbeschreiblich, wahr, das große JA. Ein wenig vergleichbar vielleicht mit einer Nahtoderfahrung! Wer einmal im Paradies war, will immer wieder hin! Dann kannst du mit den sogenannten Schönheiten hier nichts mehr anfangen, alles hier ist bestenfalls ein trauriger Abklatsch des Jenseits. Jenseits des Todes des Diesseits ist für mich das richtige Leben! Gerade jetzt in der Klimakrise schaffen wir es nicht, aus unserem Selbstmordprogramm rauszukommen. Also muss etwas kommen, das man das Unbewusste oder Gott nennen kann, damit wir da rauskommen: Corona oder der Putin-Krieg. All dies sind Tools zum größeren Lieben und zum wahren Leben, die wir verkennen. Um sie zu nutzen, musst du ein Stück weit sterben, um in ein richtiges Leben zu gelangen. Das heißt sterben, loslassen des alten, selbstmörderischen Lebens. Davor haben die meisten Angst. Das ist der sogenannte Untergang des Abendlands. Nach dem Untergang aber blüht das neue Leben auf. Das wissen wir nicht und haben daher Angst vor dem Ende von allem. Wenn du so über das normale Leben hinaus bewegt wirst und in eine komplett andere Bewusstseinsebene gelangst, wirst du weitergehen. Auch das Internet ist übrigens eine Vorstufe der Spiritualität, es ist geistiger als alles, was wir sonst können und eröffnet uns unglaubliche Möglichkeiten! Auch davor fürchten wir uns daher.
Rainer Langhans: "Ich für meinen Teil lebe bewusst arm"
Mal zu "Ihren" bezaubernden Frauen Brigitte Streubel, Gisela Getty, Christa Ritter. Viele titulierten Ihre experimentelle Lebensgemeinschaft als Harem, Sie selbst noch immer als Kommune; inzwischen leben Sie zwar nahe beieinander, aber in getrennten Wohnungen.
An das Wort Harem habe ich mich inzwischen gewöhnt. Lacht. Seit 50 Jahren gehen die Frauen mit mir auf diesem schwierigen Weg, sterben zu lernen, das ist eine Lebensaufgabe! Sie sind auch untereinander zusammen gewachsen, trauen sich aber noch nicht so wie ich, zu ihrer nach innen gekehrten Lebensweise zu stehen. Die Frauen wohnen alle im gleichen Haus, ich in der Parallelstraße gegenüber. Wir leben nicht als WG und können daher geistig miteinander sein, uns lieben. Jeder lebt für sich allein, wir besuchen uns häufig, führen intensive Gespräche, begegnen uns auf einer hohen Bewusstseinsebene. Ich für meinen Teil lebe bewusst arm, heutzutage nennt man das minimalistisch. Oder asketisch: Bei mir gibt es kein Fleisch, kein Koffein, kein Teein, keinen Alkohol, keine Zigaretten – frei sein für höhere Erfahrungen. Früher, als wir Hasch konsumiert haben, fiel mir das Rauchen schwer. Aber damit haben wir schon ganz lange aufgehört.
Rainer Langhans: "Natürlich bleibt ein winziger Rest Angst"
Es scheint, als wäre der ewige Rebell Langhans altersmilde geworden. Woran liegt's?
Altersliebend eher. Seit ich statt einer Chemo oder einer Bestrahlung eine palliative Hormontherapie mache, bei der das Testosteron runtergefahren wird – das ist die chemische Kastration –, bin ich viel liebesfähiger geworden, würde am liebsten jedem um den Hals fallen. Aber da würde ich ganz schnell in der Klapse landen. Auch das muss man üben. (lacht) Natürlich bleibt ein winziger Rest Angst. Aber in mir überwiegt die Begeisterung und das unglaubliche Liebesgefühl, das ich für die Welt, für mein Leben und für alle Menschen empfinde. Und wie lange ich noch hier bin, liegt nicht in meiner Hand. Bis dahin genieße ich dieses Sterben.