Stammtischparolen: Nachhaken, ernst nehmen und reden

Das Thema Flüchtlinge wird heiß diskutiert, vor allem im Internet entlädt sich oft geballter Hass bis hin zu Verschwörungstheorien. Auch im realen Alltag sind viele Stammtischparolen salonfähig. Was kann man da entgegnen? Eine Historikerin aus Bayern gibt Tipps.
Cordula Dieckmann, dpa |
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Insbesondere seit der Flüchtlingswelle im herbst 2015 boomen Vorurteile.
Insbesondere seit der Flüchtlingswelle im herbst 2015 boomen Vorurteile. © dpa

München - Über Flüchtlinge kursieren viele Vorurteile. "Die bekommen alles nachgeschmissen","Die kriegen neue Wohnungen" oder "Das sind doch alles nur Wirtschaftsflüchtlinge". Anke Zimmermann vom Bayerischen Bündnis für Toleranz in Bad Alexandersbad kennt Sätze wie diese. Bei Vorträgen und in Kursen gibt die Historikerin Tipps, wie man mit solchen Stammtischparolen umgehen kann - kürzlich auch Seelsorgern des Erzbistums München und Freising in Erdweg bei Dachau. Besonders wichtig seien fundierte Informationen aus seriösen Quellen. "Nicht nur Professor Facebook befragen oder sich aufs Hörensagen verlassen", rät Zimmermann im Interview der Deutschen Presse-Agentur in München.

Frage: In der Debatte um Flüchtlinge gibt es Stammtischparolen bis hin zu Verschwörungstheorien. Mit was wird man da konfrontiert?
Antwort: Man wird da mit krudesten Thesen konfrontiert: Wir werden ferngesteuert, keiner wird ernstgenommen und im Grunde genommen sei Frau Merkel höchstpersönlich schuld an der Gesamtlage der Nation, die angeblich desaströs sei. Das sind nicht so klassische Parolen, die man leicht zuordnen kann. Das sind offenbar Äußerungen von Leuten, die das Gefühl haben, dass die politischen Akteuren ihre Meinung nicht repräsentieren, die aber auch Verlustängste haben.

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Spielt der große Zustrom von Flüchtlingen im Sommer und Herbst 2015 eine Rolle?
Wir haben immer noch mit den Folgeerscheinungen von damals zu kämpfen. Die Informationslage war zunächst schwierig. Die Leute haben aufgrund einer Mischung aus gefährlichem Halbwissen und Gerüchten die wildesten Spekulationen entfacht. Sozialneiddebatten wurden vom Zaun gebrochen. Dass man Flüchtlingen alles hinterher schmeißen würde, ist so ein Klassiker. Warum rennen die mit Smartphones rum? Es wird auch von Sozialschmarotzern gesprochen auf übelste Art und Weise. Oder: "Die sind nur hinter deutschen Frauen her." Das sind nicht nur Vorurteile, das ist oft mit einer verbalen Abwertung verbunden, die sich mitunter auch in physischen Übergriffen niederschlägt. Muslimischen Einwanderern schlagen besonders starke Vorurteile entgegen.

Sie sprechen von Halbwissen und Gerüchten - welchen Anteil haben das Internet und soziale Netzwerke daran?
Viele Menschen bekommen ihre Meinung immer bestätigt, etwa in sozialen Netzwerken, die nach bestimmten Filtern arbeiten. Man hat eine Liste mit Freunden, die die eigene Ansicht bestätigen. Und ich bekomme nur bestimmte Webseiten angezeigt. Dadurch gewinnt man den Eindruck, eine Mehrheitsmeinung zu vertreten. Es ist unheimlich gefährlich, dass virtuelle Realitäten geschaffen werden, die ins wirkliche Leben hinüberspielen. Da entwickelt sich eine Scheinlegitimität. Die Leute glauben in ihrem unwidersprochenen Absolutheitsanspruch am Ende, eine Mehrheitsmeinung zu repräsentieren. Sie glauben mitunter auch, dass es eine Rechtfertigung gibt, diese Meinung durchzusetzen.

Was kann ich solchen Parolen entgegensetzen?
Etliche Leute glauben, dass die Gegenseite kein Interesse an ihnen hat. Die Leute, die noch bereit sind, zu diskutieren, kann man gezielt fragen: Was meinst du genau? Wie kommst du zu der Haltung? Wo hast du die Informationen her? Oft können sie das nicht benennen. Und ganz oft stellt sich raus, dass Dinge vom Hörensagen unhinterfragt weitergetragen wurden. Da kann man eine Gegenposition formulieren und zumindest eine Irritation schaffen. Manchmal ist das der erste Schritt, manchmal ist mehr nicht möglich. Solange da nicht menschenfeindliche Thesen im Raum stehen, muss ich vielleicht lernen, so eine Meinung auszuhalten.

Wurde das Gespräch mit diesen Leuten vernachlässigt, wenn sie sich jetzt so abgemeldet fühlen?
Ich finde es gefährlich, Leute in die rechte Ecke zu stellen, die sich in bestimmter Weise äußern. Der Kardinalfehler der letzten Monate war, dass wir es nicht geschafft haben, geschützte Räume zur Verfügung zu stellen, in denen tabufrei Themen durchdiskutiert werden können, unter Einbeziehung verschiedenster Leute. Da soll jemand dann bitte auch mal sagen dürfen, was ihm Angst macht. Man kann ins Gespräch darüber kommen, was es vielleicht für sachliche Argumente dagegen gibt. Vielleicht sind bestimmte Ängste ja auch teilweise nachvollziehbar und man kann einen Kompromiss suchen oder Begegnungen schaffen, die solche Ängste abbauen. Befürchtungen und Sorgen sind da und ich kann sie nicht damit wegdiskutieren, indem ich die Leute für dumm erkläre. Wir müssen wieder miteinander ins Gespräch kommen.

ZUR PERSON: Die Historikerin Anke Zimmermann ist seit rund zwei Jahren wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Bayerischen Bündnis für Toleranz in Bad Alexandersbad. Sie ist dort in der Projektstelle gegen Rechtsextremismus tätig. Das Bündnis wurde 2005 auf Betreiben der katholischen und der evangelischen Kirche ins Leben gerufen. Zu den Gründungsmitgliedern zählten auch Vertreter der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, des Freistaats und des Deutschen Gewerkschaftsbundes.

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