So explosiv ist die Stimmung vor der Rückführung

Die Lage in den griechischen Flüchtlingslagern spitzt sich zu: Die Menschen sind zunehmend verzweifelt, es kommt zu Auseinandersetzungen um Lebensmittel und Angriffen auf Journalisten. Am Montag wollen die europäische Grenzagentur Frontex und die Küstenwache die ersten Migranten von Griechenland aus in die Türkei abschieben. Doch niemand weiß, wie das gelingen soll. Und was aus den 12 000 Geflüchteten in Idomeni wird.
Lesbos: Von der Insel aus sollen heute 200 Menschen in die türkische Hafenstadt Dikili zurückgeschickt werden. Im Laufe der Woche sollen 550 folgen. Geplant ist, die Betroffenen mit Bussen im Internierungslager Moria abzuholen und sie an Bord des türkischen Touristenbootes „Nazli Jale“ zu bringen. Jeder Geflüchtete soll dabei von einem Polizisten begleitet werden.
Ob das gelingt, wird jedoch heftig bezweifelt. „Die Planung ist schön, aber wenn ich an die Realität denke, bekomme ich Schweißausbrüche“, sagt ein Offizier der Küstenwache. Denn im Camp von Moria sind rund 3000 Menschen untergebracht – und griechische Sicherheitsexperten bezweifeln, dass sich die betreffenden 200 einfach so abführen lassen.
Chios: Er werfe sich lieber ins Meer, als sich zurückbringen zu lassen, sagt ein junger Mann am Hafen dieses Ägäis-Eilands. Er gehört zu den 800 Migranten, die am Freitag aus dem dortigen „Hotspot“ ausgebrochen sind. Seitdem haben sie den Hafen besetzt und fordern, aufs Festland transportiert zu werden. Der EU-Türkei-Pakt sieht jedoch vor, dass auch von Chios Menschen gen Bosporus abgeschoben werden – nach Cesme. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International kritisieren den Flüchtlingspakt scharf: Weil die Türkei täglich Schutzsuchende nach Syrien abschiebe, sei sie kein sicheres Drittland. Auch die Asyl-Schnellverfahren, die den Rückführungen vorangehen sollen, halten viele Helfer für eine Farce.
Idomeni: Obwohl die griechisch-mazedonische Grenze seit vier Wochen geschlossen ist, harren in dem Lager bei Idomeni noch immer rund 12 000 Menschen aus. „Im Camp sind vor allem Familien mit Kindern“, sagt die Münchner Kinderkrankenschwester Anna Traunspurger. Die 30-Jährige ist mit einer Kollegin und zwei Ärzten für die Allgäuer Hilfsorganisation „humedica“ im Einsatz. Bis zu 100 Patienten versorgt das Team pro Tag. „Die meisten haben Probleme mit den Atemwegen, Haut- oder Durchfallerkrankungen“, sagt sie. „Allen merkt man an, wie sehr sie die Situation belastet.“ Die Menschen wüssten einfach nicht, wie es weitergehen soll. „Viele hoffen, dass sich die Grenze doch wieder öffnet.“ Tatsächlich hat auch die Politik den 12 000 im Elendslager keine Perspektive zu bieten: In die Türkei zurückgebracht werden nur Flüchtlinge, die Griechenland ab dem 20. März erreicht haben. Rund 5000 sollen das sein. Die meisten Menschen in Idomeni kamen jedoch schon vorher in der EU an. Niemand weiß so recht, was aus ihnen werden soll. Die Stimmung wird explosiver. Anna Traunspurger: „Die Lebensmittel werden von Hilfsorganisationen ausgegeben. Am Samstag kam es zu einer Schlägerei, weil das Essen nicht ausgereicht hat.“ Reporter berichten, sie seien angegriffen worden, als sie die Auseinandersetzungen filmen wollten. Anna Traunspurger wird trotzdem bleiben – und weiter helfen. „Ich habe keine Angst. Uns begegnen die Menschen hier freundlich und sehr offen. Sie sind einfach froh, dass wir da sind.“