Simone Peter: „Sollten über grüne Bundespräsidentin nachdenken“

AZ: Frau Peter, wie „grün“ sind Sie heute nach München gekommen?
SIMONE PETER: Oh, ungrün. (lacht) Zeitbedingt ganz früh mit dem Flugzeug, um rechtzeitig bei der Intersolar-Messe zu sein. Es geht nicht immer mit dem Zug, aber nachher geht es mit der Bahn weiter.
Die CSU hat eine Bundesratsinitiative zum Verbot von Schleiern und Burkas in deutschen Gerichten gestartet. Wie ordnen Sie das ein?
Das Gepoltere von Horst Seehofer spaltet die Gesellschaft weiter. Durch Verschleierungsverbote, ob im Gerichtssaal oder sonst wo, löst man nicht die gesellschaftlichen Herausforderungen, die mit Zuwanderung verbunden sind. Es geht jetzt darum, die Integration voranzubringen, und dabei auch zu akzeptieren, dass es unterschiedliche Kulturen gibt. Die haben uns übrigens schon immer geprägt und verändert. Wir sollten das Zusammenleben besser organisieren, statt Symbole hochzustilisieren.
Ilse Aigner oder Markus Söder, wer wäre der für Sie weniger problematische bayerische Ministerpräsident ab 2018?
Nehmen wir doch mal jemanden von einer ganz anderen Partei, zum Beispiel die Grünen (lacht). Es wäre doch an der Zeit, dass in einem so schönen, grünen Land der Natur- und Umweltschutz auch in der Regierung personell vertreten wird. Von daher setze ich darauf, dass die gute Arbeit unserer bayerischen Parteifreunde auch bald in einer Regierung unter Beweis gestellt werden kann.
Sie haben keinen persönlichen Favoriten?
Grundsätzlich wäre eine Frau zeitgemäß.
Linken dafür, Realos dagegen: Grüne streiten über Vermögenssteuer
Die Situation der Geflüchteten ist medial täglich präsent. Die Grünen sind es hier kaum. Warum?
Das kann ich nicht bestätigen. Wir sind aber nicht für populistische Paukenschläge zu haben, sondern setzen uns für lebensnahe und humane Lösungen für Geflüchtete ein. 65 Millionen Menschen sind global auf der Flucht, einige Millionen rund um Europa. Da funktioniert es nicht, sich abzuschotten und Grenzzäune hochzuziehen. Wir müssen endlich die Fluchtursachen bekämpfen.
Fehlt nicht häufig die gemeinsame Linie innerhalb der Partei? Anton Hofreiter hat Winfried Kretschmann davor gewarnt, die Grünen nach rechts rücken zu wollen.
Unsere Linie ist klar. Wir haben gerade beim letzten Parteitag intensiv über Asyl- und Integrationspolitik gesprochen und einen Antrag verabschiedet, der sich für sichere Zugangswege nach Europa ausspricht und gegen Symbolpolitik angeblich sichere Herkunftsländer. Wir wollen schnellere Asylverfahren und mehr Integrationsmaßnahmen. Denn Zuwanderung wird uns gesellschaftlich, aber auch wirtschaftlich von Nutzen sein. Wir leben in einer alternden Gesellschaft und brauchen gezielt Zuwanderung. Wir sollten sie deshalb steuern statt bremsen und Zuwanderung auch als Bereicherung sehen.
Gerade in der Frage um die sicheren Herkunftsstaaten sieht man aber Risse innerhalb Ihrer Partei.
Das Gegenteil ist der Fall. Die grün-mitregierten Länder haben sich in dieser Frage letzte Woche erfolgreich gegen die Bundesregierung durchgesetzt und dieses Gesetz erst einmal gestoppt. Und ich gehe davon aus, dass auch eine Mehrheit der Länder am 8. Juli, wenn das Gesetz zur Wiedervorlage im Bundesrat liegt, dagegen steht.
Menschenrechtler von Amnesty International berichten von Schüssen türkischer Grenzsoldaten auf Fliehende. Ist die Türkei noch ein verlässlicher Partner?
Wir haben von Anfang an gesagt, dass der EU-Türkei-Deal zynisch und inhuman ist. Er hätte gar nicht geschlossen werden dürfen. Die Türkei ist kein sicherer Ort für Flüchtlinge. Das misst sich an den Vorwürfen von Amnesty, aber auch daran, dass syrische Flüchtlinge an der Grenze zurückgewiesen werden, und dass sie keinen Zugang zu echten Asylverfahren in der Türkei haben.
Sie haben gesagt, Sie wollen dem zunehmenden Hass auf Flüchtlinge ein positives Bild des Miteinanders entgegensetzen. Doch was bedeutet das konkret?
Hass und Gewalt erteilen wir eine klare Absage. Um den Zusammenhalt zu stärken, müssen gerechte Chancen für ein gutes Leben für alle geschaffen werden. Zunehmend mehr Menschen haben Abstiegsängste oder sind sozial abgehängt. Die wachsende Verunsicherung ist ein gesamtgesellschaftliches und gesamtpolitisches Anliegen, dem wir Perspektiven entgegensetzen wollen.
Wie wollen Sie das schaffen?
Deutschland ist ein wohlhabendes Land – aber nur im Durchschnitt. Die Schere bei Einkommen und Vermögen, zwischen Arm und Reich, geht immer weiter auseinander. Prekäre Arbeitsverhältnisse nehmen zu. Deshalb geht es uns darum, über soziale Gerechtigkeit und Teilhabe mehr zur gesamtgesellschaftlichen Stabilisierung beizutragen.
Sind die grünen Wähler bereit für Umverteilung?
Unsere Wähler wollen eine gerechtere Gesellschaft mit weniger Ungleichheit. In unserem Land sind Vermögen und Chancen extrem ungleich verteilt, da ist Deutschland fast Schlusslicht in Europa, aber auch im OECD-Vergleich. Das führt zu Instabilität, nicht nur im Sozialen, sondern auch in der Wirtschaft. Wir können mehr Stabilität durch Umverteilung in Verbindung mit neuen Wegen in der Arbeits- und Sozialpolitik und einer Bildungsoffensive erreichen.
Aber das letzte Mal, als Sie mit der Steuerfrage in den Wahlkampf gezogen sind, sind Ihnen die Wähler davongelaufen.
Die Steuerfrage hat den Wahlausgang nicht alleine bestimmt. Andere Dinge, wie die fehlende Machtoption von Rot-Grün, waren ebenso entscheidend. Klar ist: Wir wollen die Menschen mit unserem Vorschlag für Steuer- und Finanzpolitik nicht überfordern, sondern gewinnen. Wenn wir Reichtum besteuern, geht es uns um Superreiche, die Steuern hinterziehen oder zu wenig Steuern zahlen.
Wie schaffen die Grünen den Spagat zwischen einem wirtschaftsfreundlichen Kretschmann und dem linken Flügel?
Ich würde das gar nicht als Spagat sehen. Aus meiner Erfahrung als Ministerin im Saarland kann ich sagen, dass es uns im Regierungshandeln darum geht, grüne Visionen und Programmatik mit Realpolitik zu verbinden. Und es ist Realpolitik, wenn wir deutlich machen: Die Zukunft liegt in umweltverträglichen Technologien, das wissen auch viele Unternehmen. Gerade hier betreibt die Bundesregierung aber eine regelrechte Deindustrialisierungspolitik. Auf der Intersolar-Messe in München ist sichtbar, wie massiv die politische Energiewende-Bremse im Bereich der Solarenergie in den vergangenen Jahren gewirkt hat.
Statt Zukunftstechnologien voranzubringen und damit nachkommenden Generationen gerecht zu werden, klammert sich die Große Koalition an den Status Quo – sei es im Energie-, im Agrar- oder im Automobilsektor. Deswegen sind Winfried Kretschmann und ich da völlig einig: die sozial-ökologische Modernisierung muss auch im Sinne der Wirtschaft vorangebracht werden.
Kretschmann will Grüne "ganz in die Mitte" ziehen
Deutschland braucht einen neuen Bundespräsidenten. Wer wäre da Ihr Kandidat?
Ich halte es für richtig, dass wir Grüne auch einen eigenen Kandidaten oder besser, eine eigene Kandidatin ins Spiel bringen. Es ist Zeit für eine Persönlichkeit, die die offene Gesellschaft und den Erhalt unserer Lebensgrundlagen im Blick hat.
Brauchen die Grünen einen eigenen Kanzlerkandidaten?
Nein. (lacht) Uns Grünen war es immer wichtiger, das Programm nach vorne zu stellen und nicht die Gesichter. Wir punkten nach allen Erfahrungen immer noch vor allem mit unserer Programmatik, mit einer Themenvielfalt von Weltoffenheit, über Klima- und Umweltschutz, bis zum Thema Gerechtigkeit. Wir sind auch, anders als beispielsweise Winfrid Kretschmann in Baden-Württemberg, im Bund in der Opposition.
Wen würden Sie bei den anderen Parteien unterstützen?
Wir sind gut beraten, unseren Kurs der Eigenständigkeit fortzusetzen. Im Parteienspektrum sind wir klar links verortet, das prägt auch unsere Programmatik. Wir werden 2017 anhand der inhaltlichen Schnittmengen entscheiden, ob und welche Regierung wir eingehen.
Gibt es aber trotzdem schon Tendenzen, in welche Richtung es gehen soll? Eher Rot-Rot-Grün oder Schwarz-Grün?
Während ein Rot-Grünes Bündnis nach den Umfragen eher unwahrscheinlich ist, bleibt Rot-Rot-Grün eine Option. Schwarz-Schwarz-Grün mit einer CSU, die eine diametral andere Politik vertritt, kann ich mir derzeit schwer vorstellen. Es bleibt abzuwarten, welchen Kurs die Union im Wahljahr einschlägt.