Schorndorf: Die Mär vom 1000-Migranten-Mob

Die Nachricht, dass sich ein rund 1.000 Mann starker "Einwanderermob" im baden-württembergischen Schorndorf zusammengerottet habe, um das Volksfest zu terrorisieren, verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Jetzt hat die Polizei ihre Angaben komplett korrigiert.
Christoph Elzer |
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Nach der angeblichen "Mob-Nacht" verstärkte die Polizei ihre Präsenz auf der SchoWo.
dpa Nach der angeblichen "Mob-Nacht" verstärkte die Polizei ihre Präsenz auf der SchoWo.

Schorndorf – Ohne Frage, das was die Polizei am 16. Juli vermeldete klingt dramatisch:

"Im Schlosspark versammelten sich in der Nacht zum Sonntag, zwischen 20:00 Uhr und 03:00 Uhr ungefähr bis zu 1.000 Jugendliche und junge Erwachsene. Bei einem großen Teil handelte es sich wohl um Personen mit Migrationshintergrund. Hierbei kam es zu zahlreichen Flaschenwürfe gegen andere Festteilnehmer, Einsatzkräften und die Fassade vom Schorndorfer Schloss. Als ein Tatverdächtiger einer gefährlichen Körperverletzung festgenommen wurde, widersetzte sich dieser der Festnahme. In der Folge solidarisierten sich zahlreiche Personen mit dem Festgenommenen. Eine Vielzahl von Polizeibeamten mussten in Schutzausstattung die Festnahme abschirmen, um einen Angriff zu verhindern. Als sich die Einsatzkräfte zurückzogen, wurden sie erneut mit Flaschen beworfen."

Doch einige Tage später hört sich das alles ganz anders an. Bereits am nächsten Tag korrigierte die Polizei den Anteil der Beteiligten mit Migrationshintergrund auf "unter 50 Prozent". Der Oberbürgermeister von Schorndorf, Matthias Klopfer, erklärte zudem in einem Radiointerview: "Es war nicht so, dass der Großteil derer, die da gefeiert haben, Asylbewerber oder Flüchtlinge waren."

Wie aus Abiturienten Asylbewerber wurden

Aber was war dann tatsächlich in Schorndorf passiert? Die Vice hat sich auf Spurensuche begeben, mit Einwohnern von Schorndorf und Volksfest-Besuchern sowie der Polizei gesprochen. Die Recherchen zeigen klar, dass auf der "SchoWo" (Schorndorfer Woche) einiges aus dem Ruder gelaufen ist, sie widerlegen aber auch klar die aus rechten Kreisen aufgestellte Behauptung, es habe sich um einen "Mob wie in der Kölner Silvesternacht" gehandelt.

Bürgermeister Klopfer sagt, dass die rund 1.000 Feiernden auf der Wiese vor dem Schloss "größtenteils Realschüler und Abiturienten" waren und diese Feierei zum Schuljahresende Tradition habe. Auch die 16-jährige Maike, die vor Ort war, bestätigt gegenüber Vice: "Ich habe in der Dunkelheit auch nicht jeden erkannt, aber der größte Teil waren Leute von 14 bis 20, die auf meine Schule oder andere Schulen hier gehen." Auch ihre Freundin Vera bestätigt, dass "sehr viele Schüler" da gewesen seien – "die meisten kannte ich aus der Schule".

Wie die Polizei darauf kommt, dass der größte Teil der Personen Migrationshintergrund habe, ist unklar. Doch auch deren Sprecher will die ursprüngliche Pressemitteilung so nicht mehr unterschreiben. Ihm ist nun die Formulierung lieber, dass lediglich "einfach ein Teil, so kann man das vielleicht sagen" der Feiernden einen Migrationshintergrund habe.

Und am Mittwochabend dann Klarheit und Bestätigung: Die Polizei korrigierte ihre ursprünglichen Angaben zu den Vorfällen auf dem Schorndorfer Volksfest komplett.

Demnach stand in der Nacht zu Sonntag eine Gruppe von etwa 100 Jugendlichen und jungen Erwachsenen der Polizei feindselig gegenüber, nicht 1.000 Menschen. Aus dieser Gruppe von 100 Menschen mit "einem hohen Gewaltpotenzial" habe es "massive Flaschenwürfe" auf die Beamten gegeben.

Dies teilte das Polizeipräsidium Aalen in einer "vorläufigen Bilanz zum Schorndorfer Straßenfest" mit. Darin heißt es weiter, die ursprüngliche Mitteilung vom Sonntag, dass sich 1000 junge Menschen versammelt hätten, habe zu der Fehlinterpretation geführt, dass diese gesamte Gruppe an den geschilderten Taten beteiligt gewesen sei.

Insgesamt seien während des Volksfests "Schorndorfer Woche" 53 Straftaten zur Anzeige gebracht worden, davon hätten sich 28 Delikte in der Nacht von Samstag auf Sonntag ereignet. Neun Sexualdelikte seien angezeigt worden, bei drei Fällen habe sich der Anfangsverdacht nicht erhärtet. Die Polizei und die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelten noch in vier Fällen gegen Unbekannt sowie in zwei Fällen gegen bekannte Tatverdächtige wegen sexueller Belästigung.

Das Polizeipräsidium Aalen hatte kurz vor dem Versand der "vorläufigen Bilanz" angekündigt, an diesem Donnerstag über die Ermittlungen Auskunft geben zu wollen und auf Nachfragen zunächst keine konkreteren Angaben gemacht.

Und auch von der Krawall-Formulierung nimmt man mittlerweile Abstand. Zwar haben alle beschriebenen Vorfälle wie Flaschenwürfe, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Schüsse aus einer Schreckschusspistole und Vandalismus genau so stattgefunden. Aber nicht ausschließlich vor dem Schloss, wo sich rund 1.000 Schüler versammelt hatten, sondern im gesamten Stadtgebiet inklusive dem Volksfest.

Oberbürgermeister: Schilderungen sind "völlig überzogen"

Betrunkene die Flaschen werfen und sich gegen die Verhaftung wehren – das ist leider auf deutschen Volksfesten trauriger Alltag. Die Schüsse aus einer Schreckschusspistole wiederum fielen im Bereich des Alten Friedhofs, eine Gruppe von Personen, die angeblich ein Messer dabei hatten, zog durch die Innenstadt. Zudem wurden zwei Polizeiautos im späteren Verlauf der Nacht an völlig anderer Stelle mit Graffitis besprüht.

Was am Ende von den Vorwürfen übrig bleibt, ist eine einsatzreiche Nacht für die Polizei, deren Außendarstellung allerdings laut Schorndorfs Oberbürgermeister "völlig überzogen" gewesen sei. Lediglich zwei kleine Gruppen mit einer jeweils zweistelligen Anzahl an Personen sind aneinandergeraten und derartige Vorfälle hat es auch in all den Jahren zuvor gegeben. "Die Polizei griff ein und die beiden Gruppen haben sich gegen die Beamten verbündet", so Schowo-Veranstalter Jürgen Dobler. "Das war keine große Sache."

Der Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte beging "übrigens ein deutscher Staatsangehöriger", so Polizeisprecher Ronald Krötz. Und Augenzeugin Maike erklärt: "In den Jahren davor, als hier in Schorndorf noch gar keine Flüchtlinge waren, gab es bei der SchoWo immer ein paar Ausschreitungen."

Aber auch wenn der "Migranten-Mob von Schorndorf" nicht existierte, gibt es zwei Vorfälle rund um die SchoWo, die sich unstrittig zugetragen haben und die wederverwiegen noch relativiert werden sollten: Es gab sexuelle Übergriffe auf eine 17-Jährige und eine 25-Jährige. Ermittelt wird gegen drei verdächtige Afghanen und einen Iraker. Und auch der Bürgermeister betont: "Das ist kein Kavaliersdelikt."

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