Rot-Grün gewinnt in Niedersachsen

EIn SPD-OB entmachtet Schwarz-Gelb: Die Wende von Hannover - und warum Münchens OB Ude am Wahlabend genau hinschaute.
Hannover -„Der Tatort kommt heute aus Hannover“, sagte Grünen-Chefin Claudia Roth fröhlich am Sonntag Abend: Die Niedersachsen-Wahl wurde zum spannenden Herzschlagfinale - mit dem besseren Ende für Rot-Grün: Denkbar knapp, mit nur einem Sitz Mehrheit im Landtag an der Leine, regiert hier künftig der SPD-Mann Stephan Weil statt des CDU-Manns David McAlister.
Bis in die Nacht war das Rennen offen. Mit hauchdünnen Zehntelprozent-Vorsprüngen mal für Rot-Grün, mal für Schwarz-Gelb. Dann schlug das Pendel leicht aus: Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis reicht es zum Machtwechsel. Die Koalition aus CDU und FDP ist abgewählt. SPD-Mann Stephan Weil kann mit den Grünen regieren, wenn auch nur mit der Mehrheit von einem Mandat.
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In den Umfragen schien lang alles klar: Rot-Grün wird Schwarz-Gelb ablösen. Doch das bürgerliche Lager hat eine Aufholjagd von zehn Prozentpunkten hingelegt. „Unser Kampf hat sich gelohnt“, sagte David McAllister (CDU). Die CDU wurde mit 36,0 Prozent stärkste Partei. Zwar mit Verlusten von sechs Prozentpunkten. Aber: „Das war ein Last-Minute-Transfer an die FDP“, analysiert die Forschungsgruppe Wahlen.
80 Prozent derjenigen, die diesmal ihr Kreuz bei der FDP machten, wählen sonst CDU. Das verhalf der FDP zu einem völlig überraschenden Traumergebnis von 9,9 Prozent – das hilft auch Philipp Rösler. Allerdings: Davon sind acht Prozentpunkte Leihstimmen, nur zwei Prozentpunkte kommen von echten FDP-Wählern.
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Das SPD-Ergebnis war verhalten: 32,6 Prozent. Das ist zwar besser als letztes Mal, aber nicht so viel wie erwartet. Spitzenkandidat Stephan Weil nahm’s sportlich: „Das ist doch mal ein spannender Wahlabend“, sagte er erfreut.
Die Grünen konnten mit 13,7 Prozent ein Rekordergebnis für Niedersachsen einfahren. Die Linke fiel raus, die Piraten kamen gar nicht erst rein.
Die Sitzverteilung war lange unklar. Das lag nicht nur daran, dass die Lager nur Zehntelprozente auseinander lagen, sondern auch an den Überhangmandaten. Von denen gibt es diesmal besonders viele, weil zahlreiche CDU-Wähler mit der Zweitstimme FDP gewählt haben, aber mit der Erststimme ihren Kandidaten: Die Wahlkreisgewinner dürfen ihre Mandate behalten, aber es gibt Ausgleichsmandate für die anderen.
Das führt zu komplizierten Rechnungen. Und zu Ungerechtigkeiten. Es gab mehrere Hochrechnungen, die das eine Lager nach Prozenten vorn sahen, aber das andere nach Sitzen. Oder das eine ohne Überhangmandate, das andere mit. Nach dem vorläufigen Ergebnis führt Rot-Grün hauchdünn mit 69 zu 68 Sitzen, Überhang- und Ausgleichsmandate mit eingerechnet.
„Ein Mandat Mehrheit reicht mir“, sagte SPD-Mann Weil am späten Abend. „Bei diesem Stand der Dinge habe ich das auch vor. Meine Stimmung wird immer besser.“
Ein OB als Ministerpräsident - da schaut Ude
Einer verfolgte am Wahlabend aufmerksam, wie da ein SPD-Bürgermeister versucht, in seinem Land Ministerpräsident zu werden: Christian Ude. Es soll zum Gesetz der Roten werden. Das „Trio Infernale“, den höllischen Drei.
Erst Torsten Albig, der OB von Kiel. Dann Hannovers OB Stephan Weil. Und dann der Münchner Christian Ude. Es begann mit Torsten Albig – noch früher der Sprecher von Peer Steinbrück –, der im Sommer Schwarz-Gelb in der Staatskanzlei von Schleswig-Holstein ablöste.
"Bei ihm haben sie auch gesagt, ein Großstadtbürgermeister kommt auf dem Land nicht an“, triumphierte Ude nach Albigs Wahlsieg. Auch bei Stephan Weil, Regent von Hannover, war es ein Problem, dass er außerhalb der Stadtgrenzen trotz aller Tingelei kaum bekannt war. Aber er hat es dennoch geschafft, wenn auch hauchdünn. Die Botschaft, dass ein roter Bürgermeister der Landeshauptstadt eine schwarz-gelbe Regierung aus der Staatskanzlei jagen kann, ist ein wichtiger Schub für Ude.
Das ändert sich für die Parteien
Und die Niedersachsen-Wahl ist ein wichtiger Schub für die Bundes-SPD. Denn nun gibt es ein weiteres rot-grün regiertes Land. Und damit neue Mehrheiten auch im Bundesrat. Auch für die Parteien ändert sich einiges.
Union:
Die herben Verluste wurden einigermaßen gelassen betrachtet: Allen war klar, dass sich viele Stammwähler an die FDP ausgeliehen haben.
Mit Blick auf die Bundestagswahl ist das eine zweischneidige Option. „Das wichtigste ist der Erhalt der Koalition“, sagte zwar CDU-General Herrmann Gröhe. Doch wenn die Verluste für die Union zu hoch werden, wird es riskant: Auch das ist eine Botschaft von Hannover.
Jetzt werden die Diskussionen anfangen, ob die Union auch im Bund Stimmen verleihen soll. Wobei sich die Frage stellt, wie sehr sich die Wähler überhaupt beeinflussen lassen. In Niedersachsen hatte es auch keinen expliziten, sondern allenfalls einen indirekten Leihstimmen-Aufruf gegeben, und dennoch sind viele CDU-Wähler in Scharen diesmal zur FDP gegangen.
CSU-General Alexander Dobrindt warnte schon, die FDP solle sich mal nicht „langfristig auf einen Stimmentransfer verlassen, sondern lieber die eigenen Wähler mobilisieren“.
SPD:
"Ich Freude mich jetzt erst einmal auf fünf Jahr Rot-Grün", jubelte Stephan Weil. Das Ergebnis ist zwar das zweitschlechteste der SPD in Niedersachsen - aber es gibt der SPD bundesweit Auftrieb.
FDP:
Ein Pyrrhus-Sieg für Röslers FDP. Jetzt wird das Hauen und Stechen bei den Liberalen weitergehen. - diesmal könnten sie mit gutem Grund auf Entwicklungshilfe-Minister Niebel einschlagen.
GRÜNE:
Eigentlich hätten sie allen Grund zum Feiern gehabt: Mit einem neuen Rekordergebnis im Land an der Küste haben sie sich mit deutlich zweistelligen Werten endgültig als kleine Volkspartei etabliert. Der Siegestaumel blieb dennoch aus – das FDP-Ergebnis trübte die Stimmung gewaltig. Und die Schwäche der SPD: Der Wunschpartner habe noch Luft nach oben, sagten viele Spitzengrüne. Auch die Debatte über Schwarz-Grün gewinnt wieder neue Nahrung – für beiden zusammen würde es reichen.
PIRATEN:
Die erste Delle oder schon wieder das Ende eines Hypes? Der Triumphzug der Piraten ist abgebrochen. Mit weniger als 2,0 Prozent war sie nichtmal in Sichtweite der Hürde.
Nach dem Höhenflug in den Umfragen und dem Einzug in drei Landtage sind die Neuen nun eingebrochen: Ein einziges Thema reicht auf Dauer doch nicht, wenn die erste Aufmerksamkeit verblasst ist. Die Sender listeten die Piraten nicht mal mehr extra auf, sondern nur unter „Sonstige“.
Parteichef Bernd Schlömer: „Wir sind enttäuscht, aber wir sehen nicht dem Ende der Welt entgegen.“ "Viele Wähler haben taktisch gewählt, und dabei sind wir unter die Räder gekommen", analysiert der politische Geschäftsführer der Bundespartei, Johannes Ponader.
LINKE:
Ähnliches gilt für die Linke: Letztes Mal war sie noch klar drin im Landtag von Niedersachsen, diesmal hat sich die Zustimmung halbiert – und sie ist klar draußen.
Womöglich ist ihre Zeit im Westen des Landes wieder vorbei. Parteichef Bernd Riexinger: „Es gibt nichts zu beschönigen. Das ist schmerzhaft.“
Anja Timmermann, Angela Böhm, tha