Putin siegesgewiss - Habeck fordert schnelle Waffenlieferung
Kiew/Moskau - Kurz vor der erwarteten Großoffensive in der Ostukraine hat sich Russlands Präsident Wladimir Putin trotz zahlreicher Rückschläge in dem fast siebenwöchigen Krieg siegesgewiss gezeigt.
Die Ziele der "Spezialoperation" würden erreicht, sagte Putin am Dienstag in der ostrussischen Stadt Blagoweschtschensk. "Daran gibt es keinen Zweifel."
Der russische Präsident verteidigte zudem erneut seine Entscheidung über den Einmarsch in die Ukraine vor knapp sieben Wochen als alternativlos. Die Operation diene der Gewährleistung der russischen Sicherheit: "Wir hatten keine andere Wahl", sagte Putin. Der Konflikt mit den "antirussischen Kräften in der Ukraine" sei nur eine Frage der Zeit gewesen. Der Westen sieht darin nur einen Vorwand für den Angriffskrieg.
Putin: Sanktionen können Russland nicht isolieren
Putin erklärte einen vermeintlichen westlichen "Wirtschaftskrieg" gegen sein Land für gescheitert. "Dieser Blitzkrieg, auf den unsere Missgönner gesetzt haben, ist natürlich fehlgeschlagen, das ist offensichtlich", sagte Putin am Dienstag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko im Osten Russlands. Russlands Wirtschaft und Finanzsystem stünden "fest auf beiden Beinen".
Zugleich räumte der Kremlchef auch Probleme durch die wegen Russlands Krieg in der Ukraine verhängten westlichen Sanktionen ein - etwa in der Logistik und bei Abrechnungen. "Natürlich gibt es Probleme", sagte Putin. Die Waren, darunter etwa Dünger, würden ihren Weg aber trotzdem zum Kunden finden. "Die Wirtschaft arbeitet ziemlich stabil", sagte Putin.
Russland sei auch auf möglicherweise weiter steigende Risiken gefasst. Die Schwierigkeiten würden aber gemeistert und machten Russland am Ende stärker. "Wir werden weiter jedem beliebigen Versuch entgegentreten, die Entwicklung unserer Länder zu bremsen und künstlich von der Weltwirtschaft zu isolieren." Moskau werde sein technisches und technologisches Potenzial - speziell im Weltall - weiter ausbauen, sagte er.
Russland droht Einbruch der Wirtschaftsleistung
Der Chef des russischen Rechnungshofes, Alexej Kudrin, verkündete am Dienstag jedoch andere Nachrichten: Der Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) werde in diesem Jahr im Vergleich zum Vorjahr bei mehr als zehn Prozent liegen, sagte er im Haushaltsausschuss des Föderationsrates in Moskau.

Wie die russische Zeitung "Wedomosti" berichtete, wäre das der stärkste Konjunktureinbruch seit 1994. Die Inflation könnte in diesem Jahr in Russland auf bis zu 20 Prozent steigen, hieß es.
Russland sieht sich nach seinem Angriff auf die Ukraine den weitreichendsten Sanktionen seiner Geschichte ausgesetzt. Kudrin sagte, dass sich der Rückgang beim BIP auf den Staatshaushalt auswirken werde. Das Finanzministerium werde dann Mittel umverteilen müssen.
Zuvor hatte die Weltbank ein Minus von 11,2 Prozent beim BIP wegen des russischen Krieges in der Ukraine prognostiziert. Russlands Zentralbank hatte am 10. März mitgeteilt, dass sie einen Rückgang von lediglich acht Prozent erwarte.
Habeck zu Waffenlieferungen: "Jetzt muss das Zeug da runter"
Vizekanzler Robert Habeck drückt bei den deutschen Waffenlieferungen in die Ukraine aufs Tempo. "Es nützt nichts wenn wir sagen: In einem Dreivierteljahr kriegt ihr irgendwas. Jetzt muss das Zeug da runter. Und so handeln wir auch", sagte Habeck am Dienstagabend auf ProSieben und Sat.1.
Die Ukraine fordert mit Blick auf die erwartete Offensive Russlands in der Ostukraine schwere Waffen wie Kampfpanzer, Artilleriegeschütze und Luftabwehrsysteme von Deutschland. "Wir erwarten den Angriff der Russen ja in den nächsten Tagen. Das heißt, alles, was der ukrainischen Armee jetzt hilft, muss schnell geliefert werden", sagte Habeck. Er betonte aber auch, dass sich die liefernden Länder "nicht total entblößen" dürften, also ihre eigene Verteidigungsfähigkeit erhalten müssten.
Putin nennt Butscha-Massaker "Fake"
Wladimir Putin hält die angeblichen Kriegsverbrechen in Butscha für eine Erfindung. Die USA hätten damals mutmaßliche Chemiewaffen im Irak als Vorwand genutzt für einen Einmarsch in das Land. "Genauso einen Fake gibt es in Butscha." Putin sagte weiter: "Viele sagen, dass die Vereinigten Staaten bereit sind, gegen Russland bis zum letzten Ukrainer zu kämpfen. Und so ist es auch", sagte Putin.
Die Ukraine beschuldigt die russischen Truppen, in Butscha, einem Vorort der Hauptstadt Kiew, ein Massaker unter Zivilisten angerichtet und Hunderte Menschen, teils gefesselt, erschossen zu haben. Parallel zum Kriegsgeschehen in der Ukraine wurden die Verhandlungen zwischen Kiew und Moskau fortgesetzt. Die Gespräche würden online in Arbeitsgruppen geführt, sagte der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak der Nachrichtenagentur Interfax-Ukraine. Er beklagte, Moskau versuche durch öffentliche Äußerungen Druck auf den Verhandlungsprozess auszuüben.
Dauerregen könnte Großangriff im Osten verzögern
Russland habe seine Truppen in der Ostukraine zuletzt von 30.000 auf 40.000 Mann aufgestockt, hieß es vom US-Verteidigungsministerium. Die Truppen wollen nach Angaben aus Kiew bis an die Verwaltungsgrenzen des Gebiets Donezk vordringen.

Moskau werde versuchen, Mariupol sowie die Kleinstadt Popasna im Gebiet Luhansk einzunehmen, teilte der ukrainische Generalstab mit. Das Kommando der ukrainischen Armee im Osten erklärte, man habe im Gebiet Donezk an sechs Stellen Angriffe abgewehrt. Die Ukraine hat dort besonders starke Truppen, die seit 2014 die Front gegen die von Moskau gelenkten und ausgerüsteten Separatistenrepubliken Donezk und Luhansk halten.
Den westlichen Einschätzungen nach könnte ein russischer Angriff von Norden aus Richtung Charkiw und Isjum erfolgen. Satellitenbilder zeigten vor Isjum einen kilometerlangen Konvoi mit Fahrzeugen zur Unterstützung von Infanterie, Kampfhubschrauber und Kommandostellen, sagte ein Pentagon-Vertreter.
Ein zweiter Zangenangriff wird von Süden erwartet. Die britischen Geheimdienste erwarten in den kommenden zwei bis drei Wochen verstärkte Gefechte im Osten der Ukraine. Serhij Hajdaj, Leiter der regionalen Militärverwaltung in Luhansk, sagte, Dauerregen könnte den russischen Vormarsch verzögern. Es werde wohl mehrere Tage regnen und dann müsste die russische Armee die Straßen nutzen und sei somit ein leichteres Ziel für die Ukrainer. "Ich hoffe, der Regen verlangsamt die Offensive."
Der deutsche Militärexperte Carlo Masala erwartet nach Ostern einen russischen Großangriff im Osten der Ukraine. Die Verstärkung und Umgruppierung der russischen Truppen werde bald abgeschlossen sein, sagte der Münchner Politikprofessor in einem "Stern"-Podcast.
Einsatz von Giftgas in Mariupol?
Prorussische Separatisten wiesen den Vorwurf ukrainischer Kämpfer zurück, sie hätten in Mariupol Giftgas eingesetzt. Eduard Bassurin, ein Sprecher der Donezker Separatisten, sagte der russischen Agentur Interfax: "Die Streitkräfte der Donezker Volksrepublik haben in Mariupol keine chemischen Waffen eingesetzt."
In der Nacht hatte das ukrainische Asow-Regiment von einem solchen Angriff berichtet. Eine offizielle Bestätigung gab es auch von ukrainischer Seite nicht. "Nach vorläufigen Angaben gibt es die Annahme, dass es wohl Phosphorkampfmittel waren", sagte Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maljar. Endgültige Schlussfolgerungen könne es erst später geben.
Das Risiko eines russischen Chemiewaffeneinsatzes sei jedoch groß, betonte sie. Bassurin hatte nämlich zuvor einen möglicherweise bevorstehenden Angriff mit Chemiewaffen angedeutet. Die westlichen Staaten haben Moskau vor ernsthaften Konsequenzen gewarnt, falls es in dem Krieg Chemiewaffen oder andere Massenvernichtungswaffen einsetzen sollte.
Das Pentagon erklärte, dass die USA keinen Einsatz chemischer Waffen in Mariupol bestätigen könnten. Die britische Außenministerin Liz Truss schrieb auf Twitter, jeder Einsatz solcher Waffen wäre eine Eskalation, für die man Putin und seine Führung zur Verantwortung ziehen werde.
Selenskyj beklagt das Fehlen schwerer Waffen
Der Ukraine fehlen nach Worten von Präsident Wolodymyr Selenskyj die schweren Waffen, um das fast verlorene Mariupol zu befreien. "Wenn wir Flugzeuge und genug schwere gepanzerte Fahrzeuge und die nötige Artillerie hätten, könnten wir es schaffen", sagte er in seiner nächtlichen Videoansprache.
Er sei zwar sicher, dass die Ukraine irgendwann die Waffen bekommen werde, die sie brauche. "Aber nicht nur Zeit geht verloren, sondern auch das Leben von Ukrainern." Auch er sprach von möglichen Chemiewaffenangriffen Russlands. Dies sollte für ausländische Staaten Anlass sein, noch härter auf die russische Aggression zu reagieren, sagte Selenskyj.
Steinmeier in Kiew nicht willkommen
Eine geplante Reise von Bundespräsident Steinmeier nach Kiew ist geplatzt, weil er dort offensichtlich nicht willkommen ist. Der polnische Präsident Andrzej Duda habe in den vergangenen Tagen angeregt, dass sie beide zusammen mit den Staatschefs der baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland in die ukrainische Hauptstadt reisen, sagte Steinmeier in Warschau. "Ich war dazu bereit. Aber offenbar - und ich muss zur Kenntnis nehmen - war das in Kiew nicht gewünscht." Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk hatte zuletzt gesagt, es wäre besser, wenn Kanzler Olaf Scholz nach Kiew komme.
Unicef : Zwei Drittel der ukrainischen Kinder auf der Flucht
Nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks Unicef sind zwei Drittel der ukrainischen Kinder auf der Flucht vor dem Krieg. Zudem seien mindestens 142 Kinder getötet worden. In Wirklichkeit dürften die Zahlen allerdings deutlich höher sein, teilte die Organisation mit. Die Justiz in der Ukraine selbst sprach am Dienstag von mindestens 186 getöteten und 344 verletzten Kindern und Jugendlichen.