Psychiater Dr. Hagemeyer: "Trump wird nach vorne in seine Fiktion flüchten"
München - Dr. Pablo Hagemeyer im AZ-Interview. Er ist Psychiater und Psychotherapeut mit Praxis in Weilheim in Oberbayern.
AZ: Herr Hagemeyer, überrascht es Sie, dass Donald Trump die Wahl anficht?
PABLO HAGEMEYER: Nein, gar nicht. Ich habe ihn nie persönlich untersucht, aber allein von der Beobachtung her erfüllt er alle Kriterien, die wir zusammensammeln können aus psychiatrischer Sicht.
Wofür?
Für die narzisstische Persönlichkeitsstörung. Wobei man Störung nicht sagen mag, weil das ja ein Leiden voraussetzt und das Leiden verbirgt er oder es ist nicht immer sichtbar. Er weist aber in dem Spektrum des toxischen, also bösartigen Narzissmus, gepaart mit noch ein paar anderen Merkmalen wie Machiavellismus, antisozialem Verhalten und Sadismus, alles auf. Sein Charakter ist ja gut beschrieben.
Und jetzt will er nicht wahrhaben, dass er nicht der Sieger der Wahl ist.
Er kann einfach nicht verlieren und verleugnet diesen demokratischen Prozess.

Er benimmt sich ja ein bisschen wie ein Hund, der kläfft und zornig um sich beißt. Ist das typisch für Menschen mit den genannten Charaktereigenschaften?
Ja, absolut. Das wissen wir aus Fallstudien und dicken Büchern von Otto Kernberg bis Erich Fromm, dass das für Menschen mit narzisstischen und stark egozentrischen Merkmalen typisch ist.
Wie fühlt sich Donald Trump momentan?
Der leidet jetzt und fühlt Wut. Wut und Angst sind die Grundemotionen des Narzissten.
Denken Sie, dass er wirklich überzeugt ist, dass ein Wahlbetrug vorliegt - oder ist das nur eine Show?
Das ist eine paranoide Dekompensation. Solche Menschen flüchten sich dann in eine Fiktion, wenn sie nicht ohnehin schon in einer leben. Typisch für narzisstisches Denken ist, dass die Menschen gespalten sind. Sie denken, das, was sie tun, ist perfekt und fehlerfrei. Denn das eigene Selbstbild ist positiv und alle negativen Seiten des eigenen Selbst werden verdrängt und verleugnet. Alles, was schief geht, was Mittelmaß ist, wird darin integriert. Jemand wie Trump fürchtet das, leidet darunter und nimmt das sehr persönlich.
Welche Rolle spielt dabei seine Familie? Seine Nichte, eine Psychologin, bezeichnete ihn als notorischen Lügner.
Die Nichte ist eine hochausgebildete Therapeutin mit Berufserfahrung, ähnlich wie ich. Wir kennen solche Verhaltensmuster. In der forensischen Psychiatrie etwa ist es ganz wichtig, das Umfeld zu befragen. Gerade das Umfeld hat eine viel größere Beweislast bei der Erklärung des Psychopathischen eines Menschen als der Psychopath selbst.
"Die Betroffenen selbst denken, das sei eine große Verschwörung"
Man muss das Umfeld interviewen, wenn man einen Menschen begutachten will. Deswegen ist es wichtig, was die Nichte, der FBI-Chef oder der Ex-Sicherheitsberater über Trump zu sagen haben. Die Betroffenen selbst denken ja, das sei alles eine Verschwörung, dabei ist es eine natürliche Gegenreaktion, die durch die eigene Neurose im Umfeld ausgelöst wird. Also das hat Trump alles selbst ausgelöst.
Warum aber bleibt beispielsweise seine Frau Melania trotz allem bei ihm?
Ich kann mir da aus der Ferne kein Urteil bilden, dazu gibt es zu wenig Material über sie. Aber es gibt ja den kooperativen Narzissmus. Das ist ein etwas schwächerer narzisstischer Charakterzug. Solche Menschen hängen sich dann an den größeren Narzissten ran und glänzen mit ihm.
Seine Söhne halten auch zu ihm.
Ich glaube, die ganze Familie ist so strukturiert. Sie wirkt zumindest so, wie eine Herrschaftsfamilie mit sehr starkem Selbstbezug.
Wenn er es doch irgendwann akzeptieren muss, dass er nicht länger US-Präsident sein wird - ist es möglich, dass Trump sich einfach komplett zurückzieht?
Es ist durchaus denkbar, dass er sich nicht zurückzieht, sondern in seiner Rage und in seiner Selbstzerstörungswut, die auch typisch ist bei Narzissten, auf jeden Fall verbrannte Erde hinterlässt. Dieses Prinzip wird er weiterverfolgen und nachtreten, den Rachegedanken verfolgen, Genugtuung einfordern und wegen allem möglichen klagen. Er wird sicher noch Schaden anrichten. Wir sind noch nicht auf der sicheren Seite.
Wie weit könnte das gehen?
Ich persönlich rechne sogar noch mit irgendeinem kriegerischen Konflikt, den er vom Zaun bricht. Das ist aber nur meine Befürchtung, das kann man nicht aus fachlicher Sicht vorhersagen.
Wäre es nicht auch möglich, dass Trump in eine schwere Depression verfällt?
Ja, die Suizidrate ist bei Narzissten sehr hoch, da sie ein durchweg positives Selbstbild haben und das Negative verdrängt wird. Wenn dann im Rahmen des Versagens und Scheiterns das innere negative Selbstbild für Narzissten sehr deutlich spürbar wird, ist das eine extreme innere Niederlage. Sie spüren dann eine Vernichtung des Selbst, ähnlich einer Psychose. Das kenne ich aus meiner Praxis, hierher kommen nur die depressiven, zerschellten Narzissten, nicht die Großartigen. Dass Trump in eine Depression rutscht, ist sehr wahrscheinlich, aber um sich zu schützen, wird er die Flucht nach vorne wählen, die Flucht in seine Fiktion, wird Helfershelfer losschicken, die für ihn kämpfen und damit noch viele Gerichte unterhalten werden.
Was bedeutet der Wahn, in den sich Trump begeben hat, für das amerikanische Volk?
Es ist krass, wie ansteckend diese Paranoia ist. Trump hat sich längst von der Realität abgelöst und viele folgen ihm dabei. Wahn und Psychose sind oft die Lösung für Probleme. Die Flucht in den Glauben, in den Irrsinn, das können die Amerikaner gut, gerade der Glaube nimmt dort zuweilen sehr merkwürdige Züge an. Es geht ja in dem Diskurs auch konkret um den Teufel: Manche sehr religiöse Menschen dort glauben wirklich, dass die Demokraten der Teufel sind.
"Es könnte sein, dass er eine Parallelwelt um sich aufbaut"
Droht also ein Bürgerkrieg?
Die Spannungen sind schon da, finde ich. Viele sagen, die sozialen Strukturen seien gefestigt, aber wenn Trump ein paar Tweets abgibt, kann er der Brandstifter werden für ein paar Konflikte. Es könnte schon sein, dass er eine Parallelwelt um sich aufbaut, die immer weiter das System angreift. Ob sich das verselbstständigt und dann parallel zur legitimen Regierung fortsetzt, wie so ein Staat im Staate, das weiß ich nicht, aber es ist denkbar. Seine Lösung wäre auf jeden Fall, aggressiv zu bleiben, statt depressiv zusammenzubrechen.
Hilft dagegen das Golfen?
Ach, das ist halt eine Routine. Das hilft ihm sicher, sich zu regulieren und zur Ruhe zu kommen. Aber ich glaube nicht, dass es uns in unserem Sinne der Leidendenseite hilft.
Sie denken also, es wird immer weitergehen?
Ich glaube, er wird nicht aufgeben, er wird immer weitermachen und wer weiß, vielleicht bekommt er einen kleinen Sendeplatz auf Fox, wo er dann das Publikum beschimpfen darf.
- Themen:
- Donald Trump