Politiker Kerstin Schreyer und Peter Wachler sprechen offen über Krebserkrankung

In der Politik muss man immer funktionieren. Doch Politiker sind auch nur Menschen – und können genau so an Krebs erkranken. Die AZ hat mit den CSU-Abgeordneten Kerstin Schreyer und erstmals auch Peter Wachler darüber gesprochen.
Heidi Geyer |
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Kerstin Schreyer ist bald an die Öffentlichkeit gegangen, während Peter Wachler dies nun erstmals in der AZ tut.
Kerstin Schreyer ist bald an die Öffentlichkeit gegangen, während Peter Wachler dies nun erstmals in der AZ tut. © Daniel von Loeper

München - Es war dieser Moment, als Peter Wachler auf dem Badboden lag vor der Toilette. Sich übergeben konnte er nicht mehr, es war schon alles draußen. Seine Mutter war dabei. "Ich habe mir gedacht: Wenn's jetzt vorbei wär, dann wär's vorbei."

Kerstin Schreyer und Peter Wachler haben Krebs: Es fließen Tränen im Gespräch

Es war aber noch nicht vorbei. An einem Tag im März sitzt Wachler, inzwischen Landtagsabgeordneter, gemeinsam mit seiner Kollegin Kerstin Schreyer (beide CSU) in einer Nische in der Gaststätte des Bayerischen Landtags. Es kommt wohl nicht so häufig dort vor, dass bei allen Gesprächspartnern Tränen fließen. Erst recht nicht, wenn eine Journalistin dabei ist. Das Thema ist aber auch kein politisches. Denn es geht um Krebs.

Eine besondere Nische: Schreyer und Wachler im Gespräch mit AZ-Redakteurin Heidi Geyer.
Eine besondere Nische: Schreyer und Wachler im Gespräch mit AZ-Redakteurin Heidi Geyer. © Daniel von Loeper

Wachler ist noch Bürgermeister in Markt Wald, als er im September 2022 seine Kandidatur für das Direktmandat im Stimmkreis Kaufbeuren bekannt gibt.

Tod eines Freundes Auslöser 

Der 45-Jährige hatte zuvor einen guten Freund an Krebs verloren. "Bei der Beerdigung haben wir uns im Freundeskreis versprochen, dass wir regelmäßig zur Vorsorge gehen", sagt Wachler im Gespräch mit der AZ. Der Allgäuer hält sich dran, geht zu einer Check-Up-Untersuchung, obwohl er keine Beschwerden hat. Wegen einer Auffälligkeit muss er zur MRT und erfährt, dass er einen bösartigen Tumor im Bauchfell hat. Ausgerechnet einen Tag nachdem er seine Kandidatur bekannt gegeben hat.

"Oh Gott, was kommt jetzt alles auf mich zu? Überleb' ich überhaupt?" Man merkt Wachler an, was für ein Wahnsinn dieser Tag gewesen sein muss. Da ist plötzlich Todesangst und ein großes Durcheinander, aber eben auch die Frage der Kandidatur.

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Und wie das so ist in der Politik, kann diese durchaus eine Eigendynamik entwickeln: Der damalige Abgeordnete Franz Josef Pschierer wäre sein Konkurrent gewesen, allerdings gibt er kurze Zeit später seinen Austritt aus der CSU bekannt und tritt in die FDP ein - einen Tag nach Wachlers Diagnose. Wie geht man in einen Wahlkampf, der ohnehin schon schwierige Vorzeichen hat - und wie macht man das überhaupt, wenn man gerade so eine Diagnose bekommen hat?

Achtstündige Operation

"Ich wollte erst genau wissen, wie es um mich steht", sagt Wachler. Er geht in eine Klinik, entscheidet aber, seinem Umfeld bis auf seinen Partner, der selbst Mediziner ist, nichts mitzuteilen. Vom Ergebnis in der Klinik ist abhängig, ob er seine Kandidatur zurückzieht. Es werden keine Metastasen gefunden. Dennoch musste sich Wachler einer achtstündigen OP unterziehen.

"Ich wusste, man stirbt nicht davon", sagt Wachler. Ein Pappenstiel war die Operation jedoch auch nicht. Bauchfell, Dickdarm, Gallenblase, Blinddarm und Milz wurden entfernt sowie einen Teil seines Darms.

Nicht lügen, aber auch nicht volle Wahrheit

Seinem Umfeld erzählt er, dass er "Verwachsungen" im Bauchraum habe. "Ich habe für mich entschieden, ich will die Leute nicht anlügen, aber ihnen auch nicht die volle Wahrheit erzählen." Das Wort Krebs benutzt er nicht.

Kerstin Schreyer kennt man als eine sehr zupackende und energische Frau. Aber an diesem Tag im Landtag hört sie fast eine Stunde lang einfach nur zu, als Peter Wachler erzählt. "Bei mir war das anders. Als ich die Diagnose bekommen habe, habe ich sie erst einmal nicht verstanden", sagt die frühere Verkehrs- und Bauministerin.

"Damit ist es nicht getan"

In der Klinik, in der sie operiert wurde, sei sie dann auf viele Frauen getroffen, die schon eine Chemo hinter sich hatten und denen man es zum Teil ansah. "Erst dann hab' ich begriffen, dass ich ja Krebs hab'", sagt Schreyer.

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Sie habe zwar schon Vorkehrungen wie eine Patientenverfügung getroffen, aber eher aus Sorge, dass bei der OP etwas passiert. "Ich habe dann erst Schritt für Schritt verstanden: Damit ist es nicht getan", sagt Schreyer.

"Nur für Gerede und Verwunderung gesorgt"

Ähnlich wie Wachler erfuhr sie bei einer Vorsorgeuntersuchung im Juni von ihrer Erkrankung. Aber anders als er macht sie dies kurz darauf auch publik. "Für mich ist Krankheit keine Schwäche. Sondern Krankheit ist Krankheit", sagt Schreyer. Nicht an die Öffentlichkeit zu gehen, sei für sie keine Option gewesen: "Die Leute kennen mich und wissen doch, auf welche Termine ich gehe. Wenn ich die Hälfte ausgelassen hätte, hätte das nur für Gerede und Verwunderung gesorgt."

Über das Thema Krebs haben sich die beiden Politiker kennengelernt. Denn Wachler kontaktiert Schreyer im Sommer 2023, als bei ihm körperlich alles bereits ausgestanden ist, über WhatsApp. "Ich schreib der das jetzt einfach", habe er sich gedacht. Redebedarf hatte er. Gut habe das getan, dieses "Geheimnis, diese vermeintliche Schwäche mit jemandem zu teilen", sagt Wachler.

"Chemo mache ich nicht"

Kerstin Schreyer hat gute Erfahrungen gemacht mit ihrem Schritt an die Öffentlichkeit. Nur vereinzelt hört Schreyer andere Kommentare. Etwa, dass ihr jemand geradezu vorwirft, dass sie ja "nur" Bestrahlungen habe und keine Chemo. Dass man ihr die Krankheit nicht ansieht, ist teilweise auch ein Problem: "Da haben manche nicht verstanden, warum ich mich vor Erschöpfung auch mal hinlegen muss."

Auch die Nachoperation im Sommer empfindet sie als belastend. "In meiner forsch-frechen Art habe ich gesagt: Chemo mache ich nicht!" Völlig geplättet ist sie dann, als ihr der Arzt eröffnet, dass sie noch mal operiert werden muss. "Dann hat es mich völlig 'zamgelassen", sagt Schreyer. "Das waren die Nerven", sagt Wachler.

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Schlimm sei die OP dann gar nicht gewesen, aber in dem Moment habe es ihr einfach den Boden unter den Füßen gerissen. Ihre Tochter habe sie geerdet, sagt Schreyer mit Tränen in den Augen: "Die war ganz cool und hat gesagt: ,Mama, das schaff' ma auch noch!'"

Der Zuspruch hilft ihr, auch als sie noch mal unters Messer muss: Denn im Februar lässt sich Schreyer auch vorsorglich die Eierstöcke entfernen, dadurch lässt sich das Brustkrebsrisiko weiter minimieren.

Wochenlang schlecht

Wachler wird kurz nach seiner Diagnose im Oktober 2022 operiert, braucht aber eine Chemo. "Das hat überhaupt nicht in meinen Plan gepasst", sagt Wachler. Schließlich will er schneller wieder im Einsatz sein. Ist das nicht übertrieben? Ist Politik wirklich so wichtig? "Das war meine Rettung. Das war mein Ziel", sagt Wachler dazu. Sein Arzt verabreicht ihm eine spezielle Form von Chemotherapie, die wegen seiner guten körperlichen Verfassung möglich ist: Eine sogenannte High-Pack-Chemo, bei der direkt nach der OP Flüssigkeit in den Bauchraum gefüllt wird.

Doch die Methode hinterlässt Spuren, Wachler ist wochenlang schlecht. Er wiegt nur noch 63 Kilo, die Haare werden dünner. Eine Lungenembolie hat er zudem noch im Krankenhaus. Inzwischen wissen auch die Mitarbeiter im Rathaus, Freunde und Familie, dass es Krebs war - und halten dicht. "Das muss jeder selbst wissen. Ich wollte einfach nicht darüber sprechen" sagt Wachler.

Eine Nacht durchgekotzt

Vor der Nominierungsversammlung im Dezember fühlt er sich kraftlos. "Ich habe die ganze Nacht davor durchgekotzt." Seine Mutter habe ihm gesagt: "Du spinnst." Mittlerweile konkurriert er mit drei weiteren Kandidaten in der CSU. "Ich habe faden Applaus bekommen. Einfach weil ich nicht konnte." Er gewinnt trotzdem. Es merkt wohl niemand, wie es um ihn steht. Dass er ein bisschen mehr essen solle, sagen ein paar Weggefährten. Wachler imitiert mit Allgäuer Akzent und muss selbst lachen.

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Der Wendepunkt in seiner Krebshistorie ist Silvester, das er mit Freunden in München feiert. Im Januar wird Wachler dann tatsächlich nominiert. "Es war dann klar: Ich geh in diesen Wahlkampf. Ab dann ging es bergauf."

"Ich hätte den Weg so nicht gehen können", sagt Schreyer. Aber jeder müsse den Weg finden, der für einen selbst passt.

"Ich muss das noch verarbeiten"

Wachler spricht zum ersten Mal mit den Medien über dieses Thema, auch in der CSU-Fraktion wisse noch nicht jeder Bescheid. "Ich muss das noch verarbeiten. Ich bin stolz, dass ich das überstanden habe. Und: Mir hat diese Erkrankung mehr gegeben, als sie mir genommen hat." Wachler sagt aber auch: weil der Krebs in seinem Fall gut ausgegangen sei.

Er sei stärker und robuster geworden. Daher sein Appell: "Leute, geht zur Vorsorge!" Die Angst will er den Menschen nehmen, denn: "Nicht jede Diagnose ist ein Todesurteil!" Schreyer schließt sich an: "Es ist so wichtig! Denn im Frühstadium ist Krebs oft heilbar!"

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Heute hat Wachler keine Angst vor dem Tod mehr. "Das ist bei mir ganz anders", sagt Schreyer. Vielleicht auch, weil sie eine Tochter hat. "Ich hätte mir den Krebs gern gespart", resümiert Schreyer.

Mehr Schlaf, mehr Bewegung

Ihr Leben hat sich durch den Brustkrebs sehr stark verändert, auch wenn sie ihn überstanden hat. "Als Ministerin habe ich vier bis fünf Stunden geschlafen. Auf die Dauer ist das nicht gut", sagt Schreyer und schüttelt den Kopf. Heute gönnt sie sich Schlaf und auch mehr Bewegung.

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Es ist das Klischeebild, das Politiker Raubbau am eigenen Körper betreiben. "Das ist auch so", sagt Schreyer lapidar. Jeden Termin wahrnehmen? Geht nicht mehr und will sie auch nicht mehr. "Ich bin ein sehr leistungsorientierter Mensch und habe einen hohen Anspruch an mich selbst. Ich versuche gerade zu lernen, dass nicht alles gleich sofort gehen muss", sagt Schreyer und man sieht ihr an, dass ihr das nicht leicht fällt.

Sechs Prozent mehr bei der Wahl

"Ich bin extrem dankbar, dass mich so viele Menschen begleitet haben und auch jetzt noch da sind", sagt Schreyer und ihre Stimme bricht kurz. Sechs Prozent hat sie bei der Landtagswahl hinzugewonnen, obwohl sie im Wahlkampf nicht da war wegen der Erkrankung. Darauf ist sie stolz.

Die Wahrscheinlichkeit, dass der Krebs wieder kommt, liegt bei beiden nur bei einem Prozent. "Wahrscheinlich werde ich diesen Krebs nur einmal haben und das sind sehr schöne Aussichten", sagt Schreyer und schnauft durch. Daniel Artmann, CSU-Abgeordneter aus Rosenheim, hat kürzlich bekanntgegeben, dass er an Darmkrebs erkrankt ist. "Wenn der Daniel dann durch ist, dann gehen wir drei Mal was trinken. Und wenn es vielleicht nur ein Wasser ist." Wachler nickt.

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  • Himbeergselchts am 23.03.2024 21:45 Uhr / Bewertung:

    Den beiden und allen Krebspatienten gute Besserung und Genesung.
    Als Beamte sind Herr W. und Frau Sch. privat krankenversicht, mit komfortableren Betten in der Klinik und Anspruch auf Chefarztbehandlung und unbefristetes volles Gehalt.
    Dennoch klage ich nicht. Zweimal operiert, 33 Bestrahlungen habe ich überstanden und weiß die Fortschritte in der Medizin während der letzten Jahrzehnte und fachärztliche Kompetenz sehr zu schätzen. Das Bestrahlungsteam war perfekt organisiert und total freundlich, sodass es trotz allem öfter etwas zu lachen gab. Dafür mag ich dankbar sein.

  • Geradeaus-Denker am 23.03.2024 14:36 Uhr / Bewertung:

    Ich finde es ist ein sehr schönes Interview, das zeigt wie unterschiedlich Krebs sein kann und wie unterschiedlich Menschen damit umgehen. Im Freundeskreis und in der Familie habe ich schon einige Krebsfälle miterlebt. Auch mein Bruder, der leider daran gestorben ist.
    Umso mehr bewegt mich, wie Frau Schreyer und Herr Wachler sich weiter engagieren. Sie sind nicht die Einzigen, aber bei Politiker:innen spielt sich alles in der Öffentlichkeit statt.

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