Pflege: So kassiert die Russenmafia ab
Der Vorstand des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenkassen, Gernot Kiefer, spricht in der AZ über die Masche der Betrüger, die Rolle der Gutachter und Tipps für Betroffene.
AZ: Herr Kiefer, bisher stand die Russenmafia für Prostitution, Drogenhandel oder Geldwäsche. Gehört neuerdings auch der Pflegebetrug zu ihrem Geschäftsmodell? Gernot Kiefer: Es gibt in der Tat auffällige Tendenzen. Danach haben vor allem Menschen aus den ehemaligen Sowjetrepubliken bei uns in Deutschland eine professionelle Form des Abrechnungsbetruges organisiert. Wir kennen Fälle, in denen Pflegebedürftige, deren Angehörige und der Pflegedienst alle aus diesem Milieu stammen und ein geschlossenes System bilden, eine Art Kreislauf.
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Können Sie schon abschätzen, welcher Schaden bisher entstanden ist? Wir bewegen uns hier in einem Dunkelfeld. Trotzdem gehen wir davon aus, dass es sich um Summen in dreistelliger Millionenhöhe handelt. Damit meine ich allerdings „nur“ den Schaden, der der Kranken- und der Pflegeversicherung entstanden ist. Ein typischer Fall: Wir vergüten, vereinfacht gesagt, hochqualifiziertes Personal, obwohl diese Dienste in Wirklichkeit schlechter qualifizierte Kräfte eingesetzt haben.
Gibt es besonders krasse Fälle – oder kassieren die Betrüger nach dem Prinzip „Kleinvieh macht auch Mist“ ab? Es kommen alle Varianten vor, auch teure Fälle wie bei Beatmungs-Wohngemeinschaften. Das sind hochgradig pflegebedürftige Menschen, die die Krankenversicherung pro Monat etwa 20 000 Euro kosten. Wenn diese Menschen durch schlecht ausgebildetes Personal betreut werden, entsteht uns nicht nur ein finanzieller Schaden. Diese Form des Betruges ist auch aus medizinisch-pflegerischer Sicht höchst problematisch. Ist die Lunge bei einem solchen Patienten vollgelaufen, muss rund um die Uhr jemand da sein, der sie sachgerecht und fachgerecht absaugt.
Der Medizinische Dienst der Krankenkassen soll den Pflegediensten eigentlich auf die Finger sehen. Hat er bisher zu lax kontrolliert? Wir kontrollieren weder zu lax noch haben wir zu wenig Personal. Wir können nicht nur in Heimen kontrollieren, sondern auch bei ambulanten Diensten – unangemeldet. Wenn jemand jedoch nur Geld von der Pflegekasse bezieht und daneben als Leistung der Krankenversicherung häusliche Krankenpflege bekommt, haben wir kein Kontrollrecht. Diese Lücke nutzen Betrüger aus. Das hat Züge von organisierter Kriminalität.
Wie genau sehen Ihre Gutachter hin, wenn sie den Grad der Pflegebedürftigkeit feststellen? Offenbar haben im Skandal viele Patienten simuliert. Unsere Gutachterinnen und Gutachter sind gut geschult. Was wir jetzt erleben, sind Fälle, in denen vermeintliche Patienten so systematisch für die Gespräche mit unseren Gutachtern trainiert worden sind, dass diese gespielte Pflegebedürftigkeit kaum zu erkennen war. Das ist leider so.
Kann eigentlich jeder, der will einen Pflegedienst gründen? Im Prinzip ja, sofern er nachweist, dass er das entsprechende Fachpersonal beschäftigt und die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt.
Woran erkenne ich als Betroffener oder Angehöriger, ob ein Pflegedienst seriös arbeitet? Die Noten, die wir bei unseren Überprüfungen an ambulante Pflegedienste verteilen, sind ein Orientierungspunkt. Wichtig ist zum Beispiel, dass die Leistungen, die dokumentiert wurden, auch erbracht worden sind und dass der Dienst auch genügend gut ausgebildetes Personal beschäftigt. Misstrauisch würde ich werden, wenn mir ein Dienst rät, von den Sachleistungen der Pflegeversicherung auf Geldleistungen umzustellen.
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