Neuwahl in Österreich: Schmerzhaft, aber richtig

Österreich muss zum dritten Mal in diesem Jahr über ein neues Staatsoberhaupt abstimmen. Ein Urteil, das viele schmerzen mag, aber eine konsequente Lösung ist. Ein Kommentar von Stephan Kabosch.
Wien - Genau so könnte es in einem Bericht internationaler Wahlbeobachter der OSZE stehen. Da wurde geschlampt, wurden Kuverts zu früh geöffnet, waren Wahlkommissionen nicht ordentlich besetzt. Genau so ist es auch geschehen. Nicht Tausende Kilometer von Westminster entfernt, sondern in einer der ältesten Festlanddemokratien Europas, in Österreich.
Jetzt also hat der Verfassungsgerichtshof in Wien die Stichwahl um das Amt des Bundespräsidenten aufgehoben, weil es bei der Erfassung des Briefwahlergebnisses zu Gesetzesverstößen gekommen ist. Nicht vereinzelt, sondern in Dutzenden Wahlsprengeln, wie in einer Bananenrepublik. Die fällige Neuwahl mag all jene schmerzen, die nach dem knappen Sieg Alexander Van der Bellens im Mai aufgeatmet haben. Und es mag für den Verlierer Norbert Hofer und die Rechtspopulisten von der FPÖ eine zweite, eine unverdiente Chance geben. Aber das Richterwort über eine Neuwahl ist die einzig konsequente Entscheidung. Und es kann als deutliches Signal an die Österreicher und ihr zutiefst erschüttertes Vertrauen gegenüber dem Staat und seinen Behörden gesehen werden. Wenn schon die Politik schlampt, dann funktioniert zumindest der Rechtsstaat, eine unabhängige Justiz. Das ist umso bemerkenswerter, als die Verfassungsrichter ja auf Vorschlag der politischen Parteien nominiert werden.
Ein gewaltiger demokratiepolitischer Makel
Die Richter konnten auch gar nicht anders entscheiden. Gerade an die Briefwahl, bei der die Einhaltung der persönlichen, geheimen und freien Stimmabgabe ja sehr viel schwieriger zu gewährleisten ist als bei der Stimmabgabe im Wahllokal, müssen besonders strenge Kriterien geknüpft werden. Da reicht eben schon aus, dass Schlampereien das Ergebnis beeinträchtigt haben könnten, aber eben nicht auch mussten. Dass die bestehenden Wahlgesetze kaum eingehalten werden können, wie Zeugen im Verfahren vor dem Verfassungsgericht jetzt beklagten, macht die Sache nicht besser. Im Gegenteil: Es verstärkt den Verdacht, dass nicht erst bei dieser Wahl eher salopp mit dem Wählerwillen verfahren wurde. Ein jahrzehntelanges "Passt scho..." als ein demokratiepolitischer Makel.
Diesen Makel öffentlich gemacht und bekämpft zu haben, damit brüstet sich nun die FPÖ. Das ist einigermaßen scheinheilig, da auch ihre Wahlbeisitzer an den Gesetzesverstößen beteiligt waren. Die FPÖ ist eben nicht die Hüterin der Verfassung, sondern ein schlechter Verlierer. Aber die Verfassungsrichter haben auch festgestellt, dass es keinen Beweis gibt für eine Manipulation, keinen Beleg für Wahlbetrug. Die FPÖ kann damit nicht länger die Opferrolle spielen, in die sie sich nach der „arschknapp“ (O-Ton Wahlsieger Van der Bellen) verlorenen Stichwahl im Mai geflüchtet hatte. Eine „Verschwörung des Systems“ gegen die Freiheitlichen hat es nicht gegeben.
Chance oder Bedrohung für das Land?
Österreich steckt tief in einer Krise. Der Wirtschaft geht es nicht gut, dringend notwendige Reformen kommen nicht voran, die Gesellschaft ist gespalten. Eine Neuwahl im Herbst kostet Zeit, noch mehr Geld und lässt einen erneut schmutzigen Lagerwahlkampf befürchten. Einen Vorgeschmack darauf hat es bereits kurz nach der Neuwahl-Ankündigung gegeben: Auf rechten Internet-Seiten kursieren Gerüchte über eine Krebserkrankung und Demenz Van der Bellens. Und jetzt, nach dem "Brexit"-Votum der Briten, wird plötzlich ein von der FPÖ ins Spiel gebrachtes EU-Austrittsreferendum den neuen Wahlk(r)ampf um die Wiener Hofburg dominieren. Das lässt wieder einen knappen Ausgang befürchten. Es könnte aber auch eine Chance sein, endlich für klare Verhältnisse in Österreich zu sorgen.