Nach US-Wahl: "Amerika ist unkalkulierbarer"

Politikwissenschaftler Werner Weidenfeld erklärt, was ein Präsident Trump für Europa bedeutet – und warum man sich von der vergleichsweise milden Siegesrede nicht zu viel versprechen sollte.
von  Interview: Verena Lehner
„Die USA sind gespalten“, sagt Politikwissenschaftler Werner Weidenfeld. Auch in der Wahlnacht wurde das schon deutlich. Trump-Anhänger jubeln, Clinton-Wähler sind am Boden zerstört.
„Die USA sind gespalten“, sagt Politikwissenschaftler Werner Weidenfeld. Auch in der Wahlnacht wurde das schon deutlich. Trump-Anhänger jubeln, Clinton-Wähler sind am Boden zerstört. © dpa/imago

Werner Weidenfeld war von 1987 bis 1999 Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit. Seit 1995 ist der 69-jährige Professor für Politikwissenschaft Inhaber des Lehrstuhls für Politische Systeme und Europäische Einigung an der Universität München und Direktor des Centrums für angewandte Politikforschung.

AZ: Herr Weidenfeld, die Amerikaner haben es tatsächlich getan. Sind Sie überrascht?

Werner Weidenfeld: Nein, gar nicht. Ich habe immer gesagt, sollte am Ende ein Dirty Campaigning, also ein schmutziger Wahlkampf, dominieren, wird Donald Trump alle Chancen haben und Hillary Clinton wird gegen die Wand knallen.

Was hat sie falsch gemacht?

Ihr Problem war, dass sie ganz und gar dem Feindbild entspricht, das von den Amerikanern gepflegt wird. Für sie gehört Clinton zur korrupten politischen Klasse und das bereits seit Jahrzehnten. Das machte sie so unbeliebt.

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Und Trump nicht? Er ist ja nicht gerade der Vertreter der klassischen Unterschicht. Eigentlich stammt Hillary Clinton aus eher ärmlichen Verhältnissen.

Das stimmt. Aber es hilft nichts, wenn man nur aus ärmlichen Verhältnissen kommt. Sobald sie zur oberen politischen Klasse gehören, sind sie der Feind, gegen den angekämpft werden muss. Und Trump hat es geschafft, niemals zu eng mit dieser politischen Klasse zu werden.

Die USA gelten jetzt als ein tief gespaltenes Land. Ist es wirklich so schlimm?

Durch die Gesellschaft geht tatsächlich ein tiefer Riss. Das Bild, das wir von Amerika über Jahrzehnte hatten, als einen Melting Pot, der Einwanderer integriert und vom Tellerwäscher zum Millionär macht, ist kaputt. Die Gesellschaft ist aggressiv und polarisiert.

Kann ein Mann wie Donald Trump es schaffen, ein so tief gespaltenes Land zu vereinen?

Er wird natürlich jetzt versuchen – das hat er bei seiner Siegesrede ja auch schon ein bisschen angedeutet – eine Art Integrationswärme zu entfalten. Aber das wird nicht reichen. Denn die Gesellschaft in den USA wird für lange Zeit polarisiert bleiben.

Es hat auch schon die ersten Auseinandersetzungen zwischen Trump- und Clinton-Anhängern gegeben. Sind das bereits erste Vorboten auf das, was noch kommt?

Die Polarisierung ist ganz klar da, und in den USA herrscht eine tiefe Aggression – auf beiden Seiten. Die einen haben jetzt die Mehrheit. Das geht mittlerweile so weit, dass es ganze Familien spaltet. Ich habe mit Amerikanern gesprochen, die sogar Angst um ihr Leben haben, weil sich verfeindete Familienstämme mit Waffen eingedeckt haben.

Das klingt beängstigend.

Ja, das ist es auch. Trump wird zwar jetzt versuchen, alles ein bisschen weicher und wattierter zu zeichnen als vielleicht im Wahlkampf. Aber die Gräben sind so tief, die kann er nicht in zwei Wochen zuschütten.

Apropos weichere Töne. Trumps Antrittsrede klang für seine Verhältnisse relativ milde. Er hat Clinton sogar für ihre Verdienste gedankt. Wird er vielleicht doch positiv überraschen?

Nein, das denke ich nicht. Es war natürlich ein sehr cleverer Antritt von Donald Trump. Aber das musste er so machen, das gehört ganz klar zum politischen Handwerk dazu. Das bedeutet jetzt im Gegenzug allerdings nicht, dass er von allen Punkten, die er im Wahlkampf so hart vertreten hat, plötzlich abweicht. Dann würde er ja an Glaubwürdigkeit verlieren. Wir werden uns schon mit ein paar schwierigen Aktionen von ihm abfinden müssen.

Was bedeutet dieser US-Präsident für Deutschland?

Für uns ist – ebenso wie für den Rest Europas – Amerika jetzt unkalkulierbarer geworden. Wir können nicht einfach sagen, dass alles so weitergeht wie bisher. Europa ist jetzt gefordert, weil der weltpolitische Druck größer wird. Die Europäer müssen jetzt zusammenstehen und sich ein schärferes Profil in der Außen- und Sicherheitspolitik zulegen. Allein schon, weil Amerika uns Europäern in Sachen weltpolitischer Konflikt-Aktivität nicht mehr so viel abnehmen wird.

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Was meinen Sie damit?

Zum Beispiel was den Mittleren und Nahen Osten oder auch die Afrika-Politik anbelangt. Da muss Europa jetzt mehr Profil zeigen.

Das kommt für ein Europa, in dem der Rechtspopulismus gerade Konjunktur hat, ungünstig. Es wird schwierig werden.

Sicher wird es das, aber eigentlich ist das für uns Europäer eine gute Chance.

Inwiefern?

Unter Druck wird es immer einfacher, Lösungen für Probleme zu finden.

Ist das so?

Sicher, das ist immer das Gleiche: Krise, Problemdruck, Lernprozess, Lösung. Wir können gerne in zwei Jahren ein Interview führen, in dem ich Sie an meine Worte erinnere. Ich bin mir sicher, dass wir dann darüber sprechen werden, wie positiv sich die europäische Sicherheitspolitik entwickelt hat.

Noch mal zurück zu Deutschland. Ist unser Land vorbereitet auf Donald Trump?

Nein, es konnte sich auch gar nicht richtig vorbereiten – aus dem ganz einfachen Grund: Man weiß noch nicht genau, wie Trumps administrativer Apparat aussehen wird. Der spielt für die US-Politik eine ebenso große Rolle wie die Person, die Präsident ist. Trump hat sich bislang dazu noch nicht geäußert.

Davon hängt auch seine Außenpolitik ab?

Ja. Wir wissen noch nicht, wen Trump zum Außenminister oder Sicherheitsberater im Weißen Haus macht oder wer das Amt des Planungsstabschef bekommen wird. Das alles ist ausschlaggebend für die Außenpolitik, die er machen wird.

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Wird Trump sich an seine Wahlankündigungen halten?

Von solch extremen Geschichten wie der Auflösung der Nato werden wir wohl vorerst eher nichts hören, aber innenpolitisch wird er sich an den Grundductus seines Wahlkampfes halten. Vor allem bei so Dingen wie dem Waffengesetz, weil er da den republikanischen Ansatz trifft. Und das wird für Trump wichtig: Auf seine Partei zugehen und sie hinter sich vereinen. Das wird nicht leicht. Denn auch die Republikaner sind tief gespalten.

 

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