Manfred Weber ist neuer Fraktionschef der EVP
Immerhin, Manfred Weber konnte man mangelnden Optimismus nicht vorwerfen. Er strahlte und winkte und schönredete sich durch diese zwei Tage in Rotterdam, an denen sich die europäischen Christdemokraten je nach Perspektive zur Sinnsuche oder Selbstrettung trafen.
Ein Niederbayer an der Spitze
Würde der neue Chef den Aufbruch einleiten können? Jener "Junge aus Wildenberg, ohne besondere Ausbildung, ohne Titel und Privilegien", wie sich der Niederbayer bei seiner Ansprache nannte? Der CSU-Vize wurde am Dienstag an die Spitze der größten europäischen Parteienfamilie gewählt, der Europäischen Volkspartei (EVP) und gehört nun zu den mächtigsten Spitzenkräften der Gemeinschaft.
Ein Novum
Er koordiniert künftig die EU-Politik der Konservativen und tauscht sich auf Augenhöhe mit den Parteivorsitzenden sowie Staats- und Regierungschefs aus. Es kommt bereits selten vor, dass Partei- und Fraktionsvorsitz in einer Hand liegen. Dass ein Deutscher aber beide Ämter bekleidet, das gab es noch nie. Als "bewegenden Moment" beschrieb der 49-Jährige seinen Sieg - ein nächster Schub für seine Karriere.
Merkel war die Identität der EVP
Die Frage bleibt, ob er das konservative Parteienbündnis zu alter Größe zurückführen kann. Der Abgang von Angela Merkel schmerzt noch immer. Die ehemalige Bundeskanzlerin war so etwas wie die Identität der EVP. Nun müssen neue Gesichter, neue Führungskräfte her.
Der einzige Kandidat
Manfred Weber? 89 Prozent der Stimmen kamen auf ihn - "ein gutes Ergebnis", wie es ein deutscher Delegierter nannte. Zu einem "sehr gut" wollte er sich nicht hinreißen lassen. Geschenkt. Weber war der einzige Kandidat, übersprang deshalb die traditionelle Überzeugungsrede vor der Abstimmung und kam gleich zur Dankesrede nach seiner Wahl. "Wir sind der Fels", rief er den Delegierten mehrmals zu. Sein anderes Schlagwort war "Brückenbauen".
Zwei Politikerinnen sorgten für Prominenz
Passend zu Webers politischer Auf-und-Ab-Geschichte hießen die ersten Gratulantinnen Ursula von der Leyen und Roberta Metsola. Natürlich kein Zufall. Die eine ist aktuelle EU-Kommissionschefin - ein Amt, das Weber eigentlich gerne erobert hätte, dann aber tragisch ausgebootet wurde. Die andere ist EU-Parlamentspräsidentin - ein Posten, den Weber übernehmen wollte, was er dann aus taktischen Gründen nicht tat. Zwei Politikerinnen, die an diesem Abend zumindest für etwas Prominenz sorgten.
Müde Delegierte, matter Applaus
Weber verabschiedete gestern zum Ende des Kongresses die verbliebenen Anwesenden mit dem Aufruf zu einem "neuen Kapitel für Europa". Müde Delegierte spendeten matten Applaus und holten sich noch ihren Keks ab, den eine Firma zum Abschied spendierte. "Wir werden sehen", gehörte zu den Standardsätzen. Begeisterung klingt anders, selbst in konservativen Zirkeln.
Große Erwartungen an Manfred Weber
Gleichwohl sind die Erwartungen an Manfred Weber groß. Die EVP stellt derzeit nur sechs von 27 Mitgliedern im Rat, Österreich gilt als wichtigstes. Dementsprechend sollen die Christdemokraten die nächsten Wahlen in Schweden, Polen, Spanien und Finnland gewinnen und genauso die Europawahlen 2024 wieder für sich entscheiden. An den Ergebnissen wird sich auch Weber messen lassen müssen.
Beginn eines "neuen Momentums"
Dieser Parteitag sei der Beginn eines "neuen Momentums", gab sich Kroatiens Ministerpräsident Andrej Plenkovi im Gespräch mit der AZ hoffnungsvoll. Sein "Freund" Weber arbeite hart und sei voller Energie. Ohnehin sollte dies "keine Jubelveranstaltung für den Wahlkampf" sein, sondern ein regulärer Kongress, so Plenkovi. "Neue Führung, neue Erklärungen, neue Entschließungen" - neues Vertrauen?
CSU-Chef Markus Söder verfolgte ebenfalls in Rotterdam den Erfolg seines bayerischen Kollegen. "Jetzt hat die CSU zwei Parteivorsitzende", sagte Weber der AZ. Vorsichtshalber schob er noch nach: einen in Bayern und einen in Europa.