Krieg gegen die Ukraine: Ungarn stellt sich bei EU-Sanktionspaket weiter quer

Ungarn verweigert Sanktionen gegen den russisch-orthodoxen Patriarchen Kirill - und blockiert neue EU-Sanktionen. Ex-Kanzlerin Merkel nennt den Ukraine-Krieg eine "tiefgreifende Zäsur". Die Entwicklungen.
AZ/dpa |
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Kirchenführer Kirill pflegt engen Kontakt zu Russlands Präsident Wladimir Putin.
Kirchenführer Kirill pflegt engen Kontakt zu Russlands Präsident Wladimir Putin. © Mikhail Metzel/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa

Kiew/Brüssel - Das neue EU-Sanktionspaket gegen Russland wegen des Angriffskrieges auf die Ukraine kann wegen eines weiteren Einspruchs aus Ungarn nicht in Kraft treten.

Die Regierung in Budapest verlangt, die geplanten Strafmaßnahmen gegen Patriarch Kirill, das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, zu streichen. Das bestätigten mehrere Diplomaten in Brüssel der Deutschen Presse-Agentur. Der Ausweg aus dieser diplomatischen Blockade war am Donnerstag zunächst unklar.

Im Osten der Ukraine setzten russische Truppen unterdessen ihre schrittweise Eroberung der Großstadt Sjejwerodonezk fort. Das ukrainische Militär berichtete dagegen von der Rückeroberung von 20 Ortschaften im besetzten Gebiet Cherson im Süden.

Ukrainische Soldaten bereiten sich darauf vor, nicht explodierte russische Munition zu zünden.
Ukrainische Soldaten bereiten sich darauf vor, nicht explodierte russische Munition zu zünden. © Natacha Pisarenko/AP/dpa

Die Ukraine geht am Donnerstag in den 99. Tag des Krieges. Die Bundesregierung sagte dem bedrängten Land nicht nur hochmoderne Flugabwehrwaffen zu. Kanzler Olaf Scholz (SPD) sagte auch, er setze auf eine schnelle Lieferung durch die deutsche Rüstungsindustrie.

Ungarn blockiert Sanktionen wegen Kirchenführer

Patriarch Kirill soll nach dem Willen der anderen EU-Staaten wegen seiner Unterstützung für den russischen Angriffskrieg auf die Sanktionsliste kommen. Der 75-jährige Kirchenführer pflegt engen Kontakt zu Präsident Wladimir Putin. Er stellte sich in seinen Predigten immer wieder hinter den Kriegskurs und behauptete zuletzt, dass Russland noch nie ein anderes Land angegriffen habe.

Plan in Brüssel war eigentlich, das Beschlussverfahren für das sechste Sanktionspaket am Mittwoch auf den Weg zu bringen. Zuvor war in der Nacht zum Dienstag nach langem Streit eine Einigung im Streit über das geplante Öl-Embargo erzielt worden. Ungarn setzte durch, dass Öllieferungen per Pipeline zunächst ausgenommen werden.

Orban:  "Aus prinzipiellen Gründen ist das eine noch wichtigere Angelegenheit als das Öl-Embargo"

Konkret würden Sanktionen gegen Kirill bedeuten, dass der Geistliche nicht mehr in die EU einreisen darf. Möglicherweise vorhandene Vermögenswerte würden eingefroren.

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban hatte aber schon Anfang Mai Bedenken geäußert. "Ungarn wird seine Zustimmung nicht dazu geben, dass man mit Kirchenführern auf eine solche Weise umgeht", sagte er. "Aus prinzipiellen Gründen ist das eine noch wichtigere Angelegenheit als das Öl-Embargo."

Russischer Vormarsch im Osten

Das ukrainische Militär gestand ein, dass russische Truppen bei Gefechten in der umkämpften ostukrainischen Großstadt Sjewjerodonezk im Gebiet Luhansk "teilweise Erfolg" haben. Der Feind habe die Kontrolle über den östlichen Teil der Stadt, teilte der Generalstab am Mittwochabend mit. Der Sturm auf die Großstadt dauere an, hieß es. Die prorussischen Separatisten behaupteten, sie hätten bereits mehr als 70 Prozent der Stadt unter ihre Kontrolle gebracht.

Sjewjerodonezk ist das Verwaltungszentrum in dem von der Ukraine kontrollierten Teil des Gebiets Luhansk. Um die Stadt wird seit Wochen gekämpft. Sollten die russischen Truppen die Stadt einnehmen, hätten sie die komplette Kontrolle über die Region Luhansk. Die Einnahme der Gebiete Luhansk und Donezk ist eins der von Putin ausgegebenen Ziele.

Die ukrainische Armee eroberte nach Militärangaben im Gebiet Cherson 20 besetzte Ortschaften zurück. Aus diesen Dörfern sei etwa die Hälfte der Bevölkerung geflüchtet, hieß es. Unabhängig überprüfbar waren die Angaben nicht. Es gibt aber seit Tagen Berichte über Vorstöße der ukrainischen Armee im Süden. In Stryj in der Westukraine schlugen Mittwochabend mutmaßlich mehrere russische Raketen ein. Ersten Angaben nach wurden fünf Menschen verletzt.

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Moderne Flugabwehr aus Deutschland für die Ukraine

Bundeskanzler Scholz hatte am Mittwoch im Bundestag die Lieferung des Flugabwehrsystems Iris-T des deutschen Herstellers Diehl an die Ukraine angekündigt. Dazu kommt ein Ortungsradar, mit dem Artilleriestellungen aufgespürt werden. Bei Letzterem dürfte es sich um das System Cobra handeln. Ein genaues Lieferdatum nannte Scholz nicht. "Aber da ist jetzt kein Hindernis mehr."

Nach Angaben aus Regierungskreisen sollen zudem vier Mehrfachraketenwerfer Mars II aus Beständen der Bundeswehr bis Ende Juni geliefert werden. Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk begrüßte die Ankündigung.

Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einer Pressekonferenz.  (Archivbild)
Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einer Pressekonferenz. (Archivbild) © Stefanie Loos/AFP-Pool/dpa

Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte in ihrer ersten öffentlichen Rede seit rund einem halben Jahr den Angriff auf die Ukraine eine "tiefgreifende Zäsur". Sie wolle keine Einschätzungen von der Seitenlinie abgeben, sagte Merkel in Berlin. Doch markiere Russlands Einmarsch in das Nachbarland einen eklatanten Bruch des Völkerrechts.

"Meine Solidarität gilt der von Russland angegriffenen, überfallenen Ukraine und der Unterstützung ihres Rechts auf Selbstverteidigung." Sie unterstütze Anstrengungen der Bundesregierung, der EU, der USA, der Nato, der G7 und der UN, "dass diesem barbarischen Angriffskrieg Russlands Einhalt geboten wird".

Polen und Ukraine prüfen gemeinsame Rüstungsbetriebe

Polen sagte dem Nachbarland bei einem Besuch von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki in Kiew weitere Hilfen zu. Sein Land sei auch gebeten worden, bei der Ausfuhr von ukrainischem Getreide zu helfen. Bei den Konsultationen wurde nach Kiewer Angaben vereinbart, den Aufbau gemeinsamer Rüstungsfirmen zu prüfen. Dies werde die Militärzusammenarbeit auf eine neue Ebene heben, sagte der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal. Morawiecki und sein Vize Jaroslaw Kaczynski, der Vorsitzende von Polens nationalkonservativer Regierungspartei PiS, sprachen auch mit Präsident Wolodymyr Selenskyj.

Das bringt der Tag

Während in Brüssel nach Wegen zur Überwindung des ungarischen Vetos gesucht wird, wird in der slowakischen Hauptstadt Bratislava über die Sicherheitslage im Osten Europas gesprochen. Zu den prominentesten Rednern beim Globsec Forum Bratislava 2022 zählen gleich am ersten Tag EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der per Videokonferenz zugeschaltete Selenskyj.

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6 Kommentare
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  • glooskugl am 02.06.2022 18:16 Uhr / Bewertung:

    Wann bekommt Orban und Erdogan das was sie verdienen? Der Fehler mit der "Einstimmigkeit" muss doch oberste Priorität haben . Es muss Schluss damit sein , dass sich die EU von zwei "Putinisten" wie dumme Ochsen durch die Arena ziehen lassen. Möchte bloß wissen wie oft und wie lange beide Herren mit Putin telefonieren ohne das wir davon wissen... auf die Serben muss man auch aufpassen ,da sehe ich das nächste Problem.

  • Der wahre tscharlie am 02.06.2022 15:53 Uhr / Bewertung:

    Orban....dieser kleine Autokrat. Es gibt ja diese berühmte Szene bei einer Begrüßung, als die Micros auf waren und Juncker Orban begrüßte, seine Wange tätschelte und zu ihm sagte, "Hallo Diktator". Dieser Ausspruch wurde auch der Titel einer Doku über Orban und Co.
    Ok, die EVP hat ihn Gott sei Dank rausgeschmissen, aber er tanzt der EU weiterhin auf der Nase rum.
    Und warum ist Orban gg. Sanktionen gg. Kirill? Um die EU zu ärgern?
    Oder hat der Ex-KGB Agent, Mitarbeitername «Michailow», sein geschätztes Vermögen von 1 Milliarde in Ungarn versteckt?
    Macht vielleicht sogar die "Orban-Clique" Geschäfte mit dem Geld von Kirill?
    Denn dass das Vermögen Kirills auf einem Sparkonto liegt, halte ich für unwahrscheinlich.

  • Sachsenlöwe am 02.06.2022 12:37 Uhr / Bewertung:

    Orban ist ein politischer Erpresser. Dem ist nur mit ähnlichen Mitteln bei zu kommen, wie er sie selbst anwendet. Man könnte ja mal öffentlich von Seiten unserer Politiker darüber nachdenken, was passieren würde, wenn durch einen ganz zufälligen "russischen" Angriff auf den Südast der Ölpipeline Nordstream 1 auf dem Terretorium der Ukraine, an dem Ungarn hängt, die Ölzufuhr nach Ungarn zum Erliegen käme? Und ob ein unsolidarischer Orban in so einem Fall mit der Solidarität der anderen EU-Staaten rechnen könne? Also, ihn kurzfristig ebenfalls unter Druck setzen und mittelfristig das ganze Land aus der EU hinausdrängen.

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