Ukraine-Krieg: Russland kurz vor Übernahme von Luhansk

Die russischen Truppen stehen kurz vor der kompletten Übernahme der Kontrolle im ostukrainischen Gebiet Luhansk. Das ist ein wichtiges Kriegsziel von Kremlchef Putin. Die Entwicklungen im Überblick.
AZ/dpa |
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Ein Mann in Slowjansk zurrt einen Koffer auf seinem Fahrrad fest. Das Wohnhaus hinter ihm wurde bei einem nächtlichen Raketeneinschlag beschädigt.
Ein Mann in Slowjansk zurrt einen Koffer auf seinem Fahrrad fest. Das Wohnhaus hinter ihm wurde bei einem nächtlichen Raketeneinschlag beschädigt. © Andriy Andriyenko/AP/dpa
Kiew–

Angesichts des Vormarsches russischer Truppen im Osten seines Landes hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj der EU für das geplante neue Sanktionspaket gedankt und zugleich neue Strafmaßnahmen gefordert.

US-Regierung will moderne Raketen an Ukraine liefern

"Letzten Endes sollte es gar keine nennenswerten wirtschaftlichen Verbindungen mehr zwischen der freien Welt und dem Terrorstaat geben", sagte er in seiner nächtlichen Videoansprache. "Wir werden an neuen Einschränkungen gegen Russland für diesen Krieg arbeiten."

Dank des geplanten Öl-Boykotts der EU verliere Russland "Dutzende Milliarden Euro", die nun nicht mehr für die Finanzierung des Terrors genutzt werden könnten. Zugleich bekräftigte Selenskyj seine Forderungen an den Westen nach Lieferung schwerer Waffen. Die US-Regierung kündigte derweil an, im Rahmen eines neuen Sicherheitspakets moderne Mehrfachraketenwerfer zu liefern.

Selenskyj: Mit schweren Waffen besetzte Gebiete befreien

Sobald es diese schweren Waffen gebe, solle die Armee mit der Befreiung der von Russland besetzten Gebiete beginnen. Die Ukraine werde sich nicht beeilen mit der Zurückeroberung ihrer Territorien, wenn das Zehntausende von Opfern fordere, sondern vielmehr auf die nötigen Waffen warten, sagte Selenskyj in Kiew bei einem Treffen mit der slowakischen Präsidentin Zuzana Caputova.

Er fordert vom Westen seit Wochen die Lieferung schwerer Waffen, um die russischen Angriffe im Osten des Ukraine abzuwehren und die russischen Truppen zurückzudrängen.

Biden: USA liefern moderne Raketensysteme an die Ukraine

Die US-Regierung wird der Ukraine nach Angaben von Präsident Joe Biden moderne Raketensysteme liefern. Biden schrieb in einem Gastbeitrag für die "New York Times", damit solle das angegriffene Land in der Lage versetzt werden, "wichtige Ziele auf dem Schlachtfeld in der Ukraine" präziser zu treffen. Biden versicherte zugleich: "Wir wollen keinen Krieg zwischen der Nato und Russland." Die USA versuchten auch nicht, den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu stürzen.

Aus dem Weißen Haus hieß es am Dienstagabend (Ortszeit), die Ukraine habe zugesichert, mit dem in den USA hergestellten Artilleriesystem HIMARS keine Ziele auf russischem Territorium anzugreifen. Das System sei Teil eines Pakets im Wert von 700 Millionen Dollar (652 Millionen Euro), das daneben unter anderem Geschosse, Radarsysteme, Panzerabwehrwaffen vom Typ Javelin, Hubschrauber, Fahrzeuge und Ersatzteile beinhalte. Ein hochrangiger US-Regierungsvertreter sagte, die USA würden mit dem HIMARS-System Geschosse liefern, die nur eine Reichweite von rund 80 Kilometern hätten.

Biden unterstrich, derzeit gebe es keine Anzeichen dafür, dass Russland die Absicht habe, in der Ukraine Atomwaffen einzusetzen. Die "gelegentliche Rhetorik Russlands, mit dem nuklearen Säbel zu rasseln", sei an sich aber schon gefährlich und unverantwortlich.

Schwere Gefechte in Sjewjerodonezk

In der ostukrainischen Region Luhansk stehen die russischen Truppen kurz davor, die letzte Bastion der ukrainischen Streitkräfte zu stürzen. Fällt die umkämpfte Gebietshauptstadt Sjewjerodonezk, hätte Russland eines seines Kriegsziele erreicht: die komplette Kontrolle des Gebiets Luhansk. Von dort aus könnten die russischen Truppen und die moskautreuen Separatisten weiter nach Westen vorrücken, um im Gebiet Donezk die strategisch wichtigen Städte Slowjansk und Kramatorsk einzunehmen.

Bei Gefechten in Sjewjerodonezk kam es in einer Chemiefabrik für Salpetersäure zu einem Zwischenfall. Die ukrainischen Behörden sprachen am Dienstag von einem russischen Luftangriff auf das Werk. Die prorussischen Separatisten teilten dagegen mit, es sei dort zu einer Explosion gekommen. Auf Fotos, die der ukrainische Gouverneur des Gebietes Luhansk, Serhij Hajdaj, in seinem Nachrichtenkanal bei Telegram veröffentlichte, war eine große Rauchwolke zu sehen.

Sjewjerodonezk, das von ukrainischen Behörden kontrollierte Verwaltungszentrum im Gebiet Luhansk, ist seit Tagen umkämpft. Der Anführer der von Kremlchef Wladimir Putin als Staat anerkannten Volksrepublik Luhansk, Leonid Passetschnik, sagte, dass inzwischen zwei Drittel der Stadt unter Kontrolle prorussischer Kräfte seien.

Widerstand gegen russische Invasion dauert an

Der ukrainische Gouverneur Hajdaj sagte, der Großteil von Sjewjerodonezk sei inzwischen unter russischer Kontrolle. Trotzdem gäben die ukrainischen Verteidiger nicht auf. 90 Prozent der Gebäude in der Stadt seien beschädigt, bei 60 Prozent lohne sich der Wiederaufbau nicht, sagte er. Von den einmal 100.000 Einwohnern sollen dort noch 12.000 geblieben sein.

Präsident Selenskyj zeigte sich kämpferisch. In seiner Videoansprache sagte er zwar, dass die ukrainischen Streitkräfte wegen des Mangels an Waffen in einer schwierigen Lage seien. Die Ukraine werde sich aber ihre völkerrechtlich verbrieften Gebiete zurückholen.

Was heute wichtig wird

Die EU-Staaten haben sich nach wochenlangen Diskussionen bei einem Gipfel in Brüssel auf einen weitgehenden Boykott von Öllieferungen aus Russland verständigt. Dies ist Teil des sechsten Sanktionspakets, dessen weiteren Details an diesem Mittwoch in Brüssel ausgearbeitet werden sollen.

Anschließend könnte das Paket förmlich beschlossen werden. Vorgesehen ist, die größte russische Bank Sberbank aus dem Kommunikationsnetzwerk Swift auszuschließen. Zudem sollen der staatliche Fernseh-Nachrichtensender Rossija 24 sowie die Staatssender RTR Planeta und TV Centre in der EU verboten werden.

Der russische Staatskonzern Gazprom stellt an diesem Mittwoch die Gaslieferungen an den dänischen Versorger Ørsted sowie Shell Energy Europe ein. Auch Deutschland ist betroffen. Ørsted und Shell hätten Gazprom Export darüber informiert, die Rechnungen nicht - wie von Moskau gefordert - in Rubel zu bezahlen.

Weil für den Monat April kein Geld geflossen sei, würden nun die Lieferungen eingestellt. Shell habe erklärt, dass die Gaslieferungen nach Deutschland nicht in der russischen Währung beglichen würden, teilte Gazprom Export mit. Die maximale Liefermenge pro Jahr gemäß dem Vertrag liege bei 1,2 Milliarden Kubikmeter Gas.

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3 Kommentare
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  • Der wahre tscharlie am 01.06.2022 16:02 Uhr / Bewertung:

    An die zwei Vorredner "Andi K." und der "Der Münchner"......

    Diese Frage, "Was geht uns der Krieg an," dient entweder der Desinformation, oder man hat immer noch nicht verstanden, welche globalen Auswirkungen dieser Krieg hat und haben wird.

    Auf rechtspopulistischen Seiten wird schon seit Wochen die "These" vertreten, man solle sich aus dem Krieg raushalten, den die USA "gewollt" hätten und unsere Wirtschaft retten, wenn wir nichts tun. Dass diese Kleinstaaten-Denkerei ein Relikt aus der Geschichte ist, sollte jedem klar sein, wie global die Wirtschaft vernetzt ist.

    Und dass Putin den Ukraine-Krieg von langer Hand geplant hat, sollte schon klar sein. Zur Info kann man auch das AZ-Intervew mit Herrn von Fritsch lesen.

  • Andi K. am 01.06.2022 13:42 Uhr / Bewertung:

    Was geht uns der Krieg an, bei dem Putin, Selenskyj und die USA gleichermaßen ihre (schmutzigen) Finger drin haben? Leid tut einem nur die Bevölkerung.

  • Der Münchner am 01.06.2022 08:19 Uhr / Bewertung:

    Der Krieg wird dauern!
    Wir werden weiter zahlen!
    Die USA weiter verdienen!
    Wie bescheuert sind wir eigentlich?
    Warum fahren wir unsere Wirtschaft, unser Land an die Wand,
    wegen eines Konfliktes der uns eigentlich nichts angeht?

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