Interview

Kampf gegen Prostitution – Dorothee Bär fordert Strafen für Freier: "Körper und Seelen der Frauen sind geschunden"

Dorothee Bär (CSU) erklärt im AZ-Interview, warum ihr das Sexkaufverbot so wichtig ist.
Niclas Vaccalluzzo
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Die CSU-Politikerin Dorothee Bär will Prostitution in Deutschland verbieten, nach dem Vorbild Schwedens.
Die CSU-Politikerin Dorothee Bär will Prostitution in Deutschland verbieten, nach dem Vorbild Schwedens. © Torsten Leukert/imago

Die CSU-Politikerin Dorothee Bär (45) ist seit 2002 Bundestagsabgeordnete und seit 2021 stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion für Familie und Kultur. Zuletzt war sie von 2018 bis 2021 Staatsministerin im Bundeskanzleramt und Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung. In der AZ spricht sie über die Forderungen der Unionsfraktion zum Thema Prostitution.

Dorothee Bär will sich für Frauenrechte einsetzen

AZ: Frau Bär, auf Ihre Initiative hin hat die Unionsfraktion gerade ein Positionspapier beschlossen, das ein Sexkaufverbot nach dem Nordischen Modell fordert. Das bedeutet, dass Freier künftig bestraft werden sollen. Warum ist Ihnen das so wichtig?
DOROTHEE BÄR: Weil ich mich für Frauenrechte einsetze und die jetzige Situation in unserem Land einfach unerträglich ist. Die Grünen sprechen gerne von feministischer und wertegeleiteter Außenpolitik und davon, Menschenrechte in andere Länder exportieren zu wollen, und gleichzeitig ignorieren sie die Zustände in unserem Land.

Das ist das Nordische Modell

Das Nordische Modell ist eine Form des Verbots von Prostitution. Im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern werden in Staaten mit dem Modell nicht die Prostituierten, sondern die Freier kriminalisiert (Sexkaufverbot). Schweden war 1999 das erste Land, welches dieses Gesetz eingeführt hat. Befürworter des Modells und die entsprechenden Länder bewerten es meist als Erfolg im Kampf gegen Menschenhandel. Kritiker befürchten etwa eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, zu viel Strafverfolgung, Verlagerung der Dienste in den ungeschützten Raum oder eine Stigmatisierung von Prostituierten.

Welche Zustände sind das?
Wir haben in diesem Land Missstände im Bereich Prostitution, die wir nicht ausblenden können. Die allermeisten Prostituierten erfahren abscheuliche Gewalt. Die häufigsten Verletzungen entstehen etwa durch Würgen. Wir können keinen einzigen Tag länger dabei zusehen, sondern brauchen dringend einen Paradigmenwechsel!

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Wieso braucht Deutschland gerade das Nordische Modell?
Die Frauen müssen dringend aus der Strafbarkeit heraus. Es kann einfach nicht so bleiben, wie es jetzt ist. Wir brauchen den Paradigmenwechsel. Diejenigen, die sexuelle Dienste in Anspruch nehmen, müssen bestraft werden – nicht die, die gezwungen werden. Sobald Frauen in der Prostitution sind, können sie nicht mehr ausreichend geschützt oder herausgeholt werden. Wir haben derzeit nach konservativen Schätzungen 250.000 Frauen in der Prostitution - von denen sind gerade einmal 28.000 überhaupt angemeldet.

Grafik-Diagramm Nr. 106094, Hochformat 60 x 70 mm, "Prostituierte in Deutschland"; Grafik: A. Zafirlis, Redaktion: D. Loesche
Grafik-Diagramm Nr. 106094, Hochformat 60 x 70 mm, "Prostituierte in Deutschland"; Grafik: A. Zafirlis, Redaktion: D. Loesche © dpa

In Ländern mit dem Modell wird befürchtet, dass durch das Sexkaufverbot die Prostitution in den illegalen, ungeschützten Raum übergeht. Wie reagieren Sie auf diese Sorge?
Nein, diese Sorge gibt es hier, nicht in den Ländern, die das Modell längst implementiert haben. Ich kann Ihnen auf jeden Fall sagen, wie erfahrene Kriminalbeamte hierzulande auf diese Sorge reagieren – sie sind empört. Sie sagen: Wenn die Freier die Prostituierten finden, dann finden wir sie in den Strafverfolgungsbehörden erst recht.

Das erfordert erhebliche Investitionen in die Strafverfolgung von Freiern. Wären Sozialprogramme für Prostituierte nicht die erfolgversprechendere Strategie?
Die Strafverfolgung wird erleichtert, wenn der Markt kleiner wird. Staatsanwaltschaft und Polizei haben dann viel mehr Ressourcen frei, um Menschenhandel effektiv zu bekämpfen.

"In den Ländern mit Nordischem Modell hat es ein gesellschaftliches Umdenken gegeben"

Prostituiertenorganisationen in den entsprechenden Ländern berichten von einer Stigmatisierung der Prostituierten durch die Verbote. Wie kann man das verhindern?
Es ist vielmehr so, dass es in den Ländern mit Nordischem Modell ein gesellschaftliches Umdenken gegeben hat. Die große Mehrheit der Menschen hat sich dann mit dem Thema auseinandergesetzt, befürwortet die Bestrafung der Freier und empfindet die vorherigen Regelungen zur Prostitution als absurd.

2025 wird das Ergebnis der Evaluation des 2017 verabschiedeten Prostituiertenschutzgesetzes erwartet. Dann hat man auch neue Erkenntnisse über die Zustände der Prostitution in Deutschland. Wäre das nicht der bessere Zeitpunkt, um über eine Reformierung der Gesetzgebung zu sprechen?
Wir kennen schon jetzt die Zustände. Wieso sollen wir noch weitere Jahre warten und dabei zuschauen, wie Frauen misshandelt werden. Es geht dabei um Menschenwürde!

Wie machen Sie sich selbst ein Bild von den Zuständen?
Ich beschäftige mich seit Jahren intensiv mit der Thematik und je tiefer man sich damit auseinandersetzt, desto schlimmer und ekelhafter wird es. Ich war schon in allen Bereichen und habe zahlreiche Orte besucht, an denen Prostitution stattfindet.

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Dorothee Bär betont: "Die Körper und Seelen dieser Frauen sind geschunden"

Was haben Sie dort erlebt?
Die Mehrheit der Prostituierten sind junge Frauen aus dem Ausland, meist Osteuropa, die kein Wort Deutsch sprechen. Sie schreiben sich dann ihre Tarife einfach mit dem Kugelschreiber auf die Hand und werden von ihren Zuhältern nicht nur zur Prostitution, sondern auch zu allen Praktiken, auch gegen ihren Willen, gezwungen. Die Körper und Seelen dieser Frauen sind geschunden. Es gibt Aussagen von Ärzten, die sagen, dass Frauen, die in der Prostitution waren, teilweise schlimmere posttraumatische Belastungsstörungen haben, als ehemalige Soldaten im Einsatz.

Es gibt doch aber auch Frauen, die das freiwillig machen.
Klar, die mag es geben, beispielsweise Escort-Girls, die das freiwillig machen und vermeintlich bessere Zustände haben. Das ist aber die absolute Minderheit. Wir müssen uns als Politiker um die große Mehrheit kümmern. Ich habe auch mit Frauen gesprochen, die das angeblich freiwillig machen. Fakt ist: Wer einmal im System ist, kommt kaum von selbst wieder raus. Die Abhängigkeiten sind einfach zu groß. Ob von Geld, Drogen oder der Angst vor Bedrohungen.

Was ist mit der Selbstbestimmung der Frau?
Die große Mär der Selbstbestimmung! Was hat es mit einem selbstbestimmten Leben zu tun, wenn der Großteil der Frauen in die Prostitution gezwungen wird, Notsituationen oder Abhängigkeiten geschaffen und ausgenutzt werden. Es geht schlicht um Macht und Machtmissbrauch. In welchem Land leben wir eigentlich, wenn es legal ist, eine Frau zu kaufen wie ein Stück Ware?

Für viele ist Prostitution auch eine moralische Frage. Wie sieht es bei Ihnen aus: Finden Sie es unmoralisch, den Körper für Sex zu verkaufen oder für Sex zu bezahlen?
Das ist keine moralische Frage. Es geht um die Würde eines jeden Menschen, die für alle Menschen unantastbar ist. Artikel 1 des Grundgesetzes muss uns etwas wert sein. Wir tolerieren momentan Menschenhandel, schlimmsten Machtmissbrauch und Gewalt. Die Bestrafung der Freier ist die entscheidende Umkehr des Systems und ein Weg, unseren Töchtern und Söhnen eine bessere und gerechtere Welt zu hinterlassen.

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22 Kommentare
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  • Der wahre tscharlie am 09.11.2023 17:47 Uhr / Bewertung:

    Wenn ich Frau Bärs Antwort auf die erste Frage lese, dann bekomm ich den Eindruck, die CSU ist feministischer als die Grünen. Ok, lass ma mal so stehen.....
    Dass es Frauenausbeutung über die Zuhälter gibt, ist unbestritten.
    Warum geht sie dann nicht gegen die Zuhälter vor? Davon les ich nichts in dem Interview.

    Bär: "Ich habe auch mit Frauen gesprochen, die das angeblich freiwillig machen."
    Selbstverständlich gibt es auch Frauen, die das freiwillig machen und nicht alle nehmen Drogen. So zu tun, als würden alle Frauen in die Prostution gezwungen, entspricht doch nicht der Realität.

    Und was ist dann mit den ganzen Cam-Girls, "Paaren" ect., die stundenlang Shows abliefern, denn das ist auch Prostitution. Will sie das auch verbieten? Da gehts auch massiv ums Würgen. Ob echt oder Fake lass ich mal dahin gestellt.
    Für mich werden die Frauen nur in die Illegalität gedrängt.

  • Himbeergselchts am 11.11.2023 16:19 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Der wahre tscharlie

    Tja. Warum nicht gegen Zuhälter und Menschenhändler?
    Ein Übel an der Wurzel anzupacken übersteigt das Denkvermögen der Frau Bär. Die Frau war 10 Jahre in der Verantwortung der Digitalisierung. Das Resultat betrachtet, überrascht sie mich - nicht - mehr.

  • Genius X am 09.11.2023 12:24 Uhr / Bewertung:

    Franz Josef Strauß wäre jedenfalls nie auf die Idee gekommen dieses "Gewerbe" zu verbieten. Schließlich war er selbst Kunde und als er 1971 um 2:45 angetrunken in New York eine Bordsteinschwalbe aufgegabelt hatte, wurden im von derselbigen 480 Mark geklaut. Ja ok, Patriarchat und das ist in der CSU heute auch nicht viel anders. Wer das leugnet ist bigott.

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