"In Stadelheim wäre das sicherlich nicht passiert"

Die Anwältin Marianne Kunisch ist sich sicher, dass der Terrorist in München engmaschiger überwacht worden wäre.
von  Nina Job
Blick in eine Zelle der JVA Stadelheim.
Blick in eine Zelle der JVA Stadelheim. © dpa

Die 76-Jährige ist seit 46 Jahren Strafverteidigerin. Als Vorsitzende der „Nothilfe Birgitta Wolf“ betreut sie seit Jahren Gefangene und gilt als Expertin auf dem Gebiet des Strafvollzugs in Bayern. Kaum eine andere „Externe“ kennt die Justizvollzugsanstalt Stadelheim in München so gut wie sie. Die AZ sprach mit der Anwältin Marianne Kunisch über den Fall Dschaber al-Bakr.

AZ: Frau Kunisch, denken Sie, der Terrorverdächtige hätte in der JVA Stadelheim ebenfalls Suizid begangen?
MARIANNE KUNISCH: Es ist mir völlig unverständlich, wie das passieren konnte. In Stadelheim wäre das sicherlich nicht passiert. Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.

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Was macht Sie so sicher?
Dort hätte man den Terrorverdächtigen sicherlich nie alleine in der Zelle gelassen und hätte dann noch die Abstände, nach ihm zu sehen, von 15 Minuten auf 30 Minuten verlängert.

Im Strafvollzug gibt es von Bundesland zu Bundesland Unterschiede. Wie wäre man in Stadelheim konkret vorgegangen?
Im Zugangsverfahren spricht zunächst ein Arzt mit dem Untersuchungshäftling – in diesem Falle mit einem Dolmetscher – und untersucht ihn. Ist er stark suizidgefährdet, wird er entweder auf die Krankenstation in der JVA oder in eine psychiatrische Klinik gebracht. Dort gibt es eine engmaschige Überwachung und Betreuung. Aber auch, wenn er nicht als gefährdet eingeschätzt worden wäre, hätte man ihn sicherlich mit einem zweiten Mann in einer Zelle untergebracht. Wenn jemand daneben liegt, kann man nicht so einfach Suizid begehen. Auch wäre es möglich gewesen, ihn rund um die Uhr per Video zu überwachen.

In Leipzig wurde aber keine akute Selbstmordgefahr festgestellt...
Es ist eine Tatsache, dass jemand, der von einem Tag auf den anderen in U-Haft kommt, einen unglaublichen Schock erleidet. Da bricht plötzlich das ganze Leben zusammen. Auf diese Situation kann man sich innerlich nicht vorbereiten. Ich war sehr oft in Stadelheim und habe dort Mandanten besucht. Außerdem habe ich dort in Begleitung von JVA-Beamten für die Volkshochschule Führungen gemacht. Da spricht man auch mit vielen, die dort arbeiten. Vom Gefängnis-Pfarrer weiß ich, dass die Menschen in U-Haft meist viel stärker gefährdet sind als diejenigen, die nach einem langen Prozess in Strafhaft kommen.

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Kann man sagen, wie lange Neuankömmlinge besonders gefährdet sind?
Die größte Gefahr besteht in den ersten Tagen in U-Haft.

Der Anwalt von Dschaber al-Bakr sagte, die Suizidgefahr sei offensichtlich gewesen.
Er wollte in Hungerstreik treten und hatte an Steckdosen manipuliert. Und dann kommt noch dazu, dass ihn andere Syrer an die Polizei übergeben haben. Es muss niederschmetternd für Dschaber al-Bakr gewesen sein, dass er von seinen eigenen Landsleuten gemieden wurde.

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