Warum konnte sich Dschaber Al-Bakr erdrosseln?

Der 22-jährige Terrorverdächtige Dschaber Al-Bakr stranguliert sich in der Justizvollzugsanstalt Leipzig mit seinem Hemd. Trotz dieser erneuten Panne weist die sächsische Justiz die Schuld von sich.
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In diesem Leichenwagen wird der Leichnam von Dschaber Al-Bakr (kl. Bild) aus der Justizvollzugsanstalt Leipzig weggebracht.
dpa In diesem Leichenwagen wird der Leichnam von Dschaber Al-Bakr (kl. Bild) aus der Justizvollzugsanstalt Leipzig weggebracht.

Ein dringend Terrorverdächtiger bringt sich in seiner Zelle um – wie kann das passieren? Sachsens Justiz beteuert, man habe sich an alle Vorschriften gehalten – und schildert den Ablauf in der Justizvollzugsanstalt Leipzig. Die Kritik an den Behörden ist allerdings immens.

AZ-Meinung zum Staatsversagen im Fall Al-Bakr: Ein Desaster mit Folgen

So kam es laut der sächsischen Justiz zum Suizid von Dschaber Al-Bakr:

MONTAG, 15.35 Uhr: Ein Einsatzkommando bringt Al-Bakr in die Justizvollzugsanstalt Leipzig. Ein umfassendes Aufnahmegespräch ist nicht möglich, weil Al-Bakr kaum Deutsch spricht. Er verweigert die Nahrungsaufnahme. Weil der 22-Jährige als gefährlich gilt und die Ermittlungsrichterin auf die Gefahr der Selbsttötung hinweist, kommt er in eine spärlich eingerichtete Einzelzelle mit zusätzlichem Innengitter und wird alle 15 Minuten kontrolliert. Wärter öffnen dazu die Tür und schalten das Licht ein.

DIENSTAG, 9.45 Uhr: Ärztliche Aufnahme durch den JVA-Arzt.

10 Uhr: Gespräch mit Pflichtverteidiger Alexander Hübner, mit Unterstützung eines Dolmetschers.
Anschließend: Gespräch einer Psychologin mit Hilfe eines Dolmetschers mit Al-Bakr. Sie sieht keine akute Selbstmordgefahr, hat aber keine Erfahrung mit Terroristen.

14 Uhr: Eine Teamsitzung mit JVA-Mitarbeitern bestätigt die Einschätzung. Al-Bakr wird deshalb – dem Vorschlag der Psychologin folgend – nur noch alle 30 Minuten kontrolliert.

17.50 Uhr: Al-Bakr meldet eine heruntergefallene Lampe in seiner Zelle. Die Bediensteten gehen von Vandalismus aus, schalten den Strom in der Zelle ab. Zur Kontrolle kommen die Wärter nun mit Taschenlampe.

MITTWOCH, 10 Uhr: Während Al-Bakr duscht, wird die Zelle kontrolliert. Nun wird festgestellt, dass auch eine Steckdose manipuliert ist.

Nachmittags: Die Elektrik wird repariert. Al-Bakr erhält vorübergehend eine andere Zelle.

16 Uhr: Der Syrer kommt in seine Zelle zurück.

19.30 Uhr: Reguläre Kontrolle, Al-Bakr sitzt auf seinem Bett.

19.45 Uhr: Eine Justizvollzugsanwärterin kontrolliert ausnahmsweise schon nach 15 Minuten – aus Interesse oder „Dienstbeflissenheit“, wie es heißt. Sie findet Al-Bakr stranguliert mit seinem Hemd am Gitter der Zelle und löst Alarm aus. Reanimationsversuche bleiben erfolglos. Ein Gerichtsmediziner schließt ein Fremdverschulden aus. Das Obduktionsergebnis soll am heutigen Freitag vorgelegt werden.

Von einer erneuten Panne im Fall Al-Bakr (siehe Chronologie) will Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) nichts wissen. Er beteuert, man habe nach jetzigem Stand alles getan, um einen Suizid zu verhindern. Rücktrittsforderungen lehnt er ab. Zuvor hatte sich bereits Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) gegen Vorwürfe verwahrt: „Die pauschale Kritik an der sächsischen Justiz, ohne die Vorgänge genau zu kennen, weise ich entschieden zurück.“

Vize-Ministerpräsident Martin Dulig (SPD) hingegen macht eine falsche Einschätzung in der JVA für die Tat mitverantwortlich. „Es ist offensichtlich zu einer Reihe von Fehleinschätzungen sowohl über die Bedeutung, als auch den Zustand des Gefangenen gekommen“, sagt er. Es könne nicht sein, dass ein Terrorverdächtiger wie ein „Kleinkrimineller“ behandelt werde. „Der aktuell wohl brisanteste Gefangene der Bundesrepublik stand unter Verdacht, einen Sprengstoffanschlag zu planen und damit (...) das Leben vieler unschuldiger Menschen zu opfern. Schon damit hatte sich die Frage nach möglicher Suizidgefahr des Gefangenen geklärt“, meint der Wirtschaftsminister. Dulig ist nicht der einzige, der die Justiz harsch kritisiert.

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