"In München Auto fahren? Das ist doch Wahnsinn!"

München - AZ-Interview mit Anton Hofreiter. Der 47-jährige Münchner ist seit 2013 zusammen mit Katrin Göring-Eckardt Fraktionschef der Grünen im Bundestag.
AZ: Herr Hofreiter, wie unzufrieden sind Sie mit den Ergebnissen des Diesel-Gipfels vergangene Woche?
Anton Hofreiter: Extrem unzufrieden. Die Autobauer haben drei Gruppen von Leuten betrogen. Sie haben die Menschen in den Städten betrogen, die die Abgase einatmen müssen. Sie haben die Käufer betrogen, die davon ausgingen, saubere Autos zu kaufen. Und sie haben ihre Arbeiter betrogen, die zukunftsfeste Jobs brauchen. Die Manager machen sich mit Millionen-Abfindungen aus dem Staub, wenn es zu Schwierigkeiten kommt. Der Arbeitnehmer hingegen wird einfach entlassen.
Wie müssen diese Ihrer Ansicht nach drei leidtragenden Gruppen des Diesel-Skandals nun entschädigt werden?
Die Bundesregierung muss schnellstens dafür sorgen, dass die Fahrzeuge so nachgerüstet werden, dass sie die Emissions-Grenzwerte einhalten. Das hilft sowohl den Autofahrern als auch den Menschen in den Städten. Das kostet die Autobauer zwar Geld, aber sie waren es auch, die die Fahrzeuge unter falschen Versprechen verkauft haben. Den Arbeitern der Branche müssen die Manager jetzt klar machen: Wir haben verstanden, dass die Zukunft in sauberen Autos liegt.
Diese Nachrüstung haben die Auto-Hersteller auf dem Diesel-Gipfel bereits versprochen. Was muss noch geschehen?
Für die Zukunft der Auto-Industrie braucht es eine Innovationsstrategie, die eine ganze Reihe von Punkten umfassen muss. Erstens: Mehr Geld für Forschung und Entwicklung in abgasfreie Fahrzeuge und modernste Batterietechnologie. Zweitens: Eine abgestimmte Strategie beim Aufbau von E-Ladesäulen. Hier haben wir derzeit einen Wildwuchs an vielen unterschiedlichen Systemen. Und drittens brauchen wir nach dem Motto "Fördern und Fordern" klare Vorgaben bei der Umstellung auf emissionsfreie Fahrzeuge.
Haben die Bundesregierung und die deutschen Autobauer die Entwicklung der E-Automobilität verschlafen?
Wenn man sich anschaut, dass ausländische Hersteller wie beispielsweise Toyota, Renault oder Tesla hier deutlich weiter sind, kann man das durchaus verschlafen nennen.
Warum hinkt ausgerechnet Deutschland – Auto-Nation Nummer eins – in dieser Entwicklung hinterher?
Weil die Bundesregierung die Auto-Industrie über Jahre hinweg geschützt und geschont hat. Dadurch sind die Autobauer innovationsträge geworden. Deshalb fehlt heute schlicht das Angebot an elektrischen Fahrzeugen.
"Es wird mehr schmutziger Strom produziert als nötig"
Wie soll der Stromverbrauch der E-Autos künftig ökologisch gedeckt werden?
Die Energiewende stockt, weiterhin kommen nur rund 30 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien, der Rest wird überwiegend aus Kohle- und Atomkraftwerken gewonnen. Wir wollen bis 2030 aus der Kohle-Energie aussteigen. Dazu brauchen wir immer mehr Erneuerbare Energien. Mal sollte aber auch wissen: Wir haben derzeit in Deutschland einen deutlichen Stromüberschuss – es wird mehr schmutziger Kohlestrom produziert als nötig und dann exportiert. Und der große Vorteil von E-Autos ist, dass diese sehr effizient sind. Experten haben errechnet, dass sechs Millionen Elektro-Fahrzeuge lediglich einen Strombedarf von zwei Prozent des derzeitigen Gesamtstrombedarfs in Deutschland haben – also nicht besonders viel. Wenn wir jetzt so umstellen, dass ab 2030 Diesel und Benziner allmählich weniger werden, weil nur noch abgasfreie Autos neu zugelassen werden, haben wir also noch genug Zeit, die Erneuerbaren Energien auszubauen.
Wird es bis 2030 auch für den Otto-Normalverbraucher bezahlbare E-Autos mit ausreichend Reichweite geben?
Die wird es geben. Die Preise fallen ja schnell, wenn sich die Technik etabliert hat und die Konzerne um Kunden konkurrieren. Die Entwicklung bei günstiger werdenden Modellen etwa von Opel, Renault oder Tesla deutet ja bereits darauf hin.
Ihre Parteikollegen Dieter Janecek und Florian Roth fordern ein SUV-Verbot in der Münchner Innenstadt. Was sagen Sie dazu?
Zum Teil stoßen ja manche Pkw mehr Stickoxide aus als ein 20-Tonnen-Lkw. Das Wichtigste ist deshalb, dass man diese Fahrzeuge so schnell wie möglich abgasfrei bekommt. Da sind nicht nur einzelne Fahrzeugklassen ein Problem. Aber natürlich machen manche SUVs mit großen Motoren und Abgasmengen besonders viele Probleme in Großstädten wie München. Was wir dort vor allem brauchen, ist ein starker Ausbau von ÖPNV und Fahrrad-Infrastruktur – um eine gut funktionierende und entspannte Alternative zu bieten. Ich meine: Im Zentrum von München Auto zu fahren, wo es dann eng und laut wird und die Luft schmutzig, das ist doch Wahnsinn.
Welche Möglichkeiten gibt es Ihrer Meinung nach noch, die Luft in München sauberer zu bekommen?
Was wirklich schnell helfen würde, wäre eine Nachrüstung der Diesel-Stinker. Die Stadt braucht mehr Möglichkeiten, die Bewohnerinnen und Bewohner zu schützen, zum Beispiel auch durch ein Blaue Plakette. Dann gäbe es noch viele kleinere Maßnahmen, etwa mehr Grünflächen in der Stadt. Da gibt’s auch einige schöne Ideen, wie mehr Hecken am Straßenrand.
"Herr Schmidt hat fast zwei Wochen lang geschlafen"
Bleiben wir bei der Umwelt: Der aktuelle Skandal um gesundheitsgefährdende Fipronil-Eier ist nur einer von vielen Lebensmittel-Skandalen in der jüngeren Vergangenheit. Was läuft hier immer wieder schief?
In diesem Fall muss die europäische Lebensmittelüberwachung besser funktionieren, wir brauchen eine bessere Vernetzung der europäischen Behörden untereinander. Aber auch in Deutschland muss der Verbraucherschutz schneller gehen. Wir fordern von Landwirtschaftsminister Christian Schmidt schon lange ein vernünftiges Kompetenzzentrum, das bei solchen Skandalen sofort reagiert. Herr Schmidt hat ziemlich zu spät und zu wenig von sich hören lassen. Ja, zuerst haben die belgischen Behörden nichts getan. Doch dann kam die Meldung an die EU-Nachbarstaaten, aber Minister Schmidt hat nochmal fast zwei Wochen geschlafen, bis er der Öffentlichkeit was gesagt hat.
Skandale wie der mit den Gift-Eiern ereignen sich in der Regel in riesigen Massentierhaltungsbetrieben. Sie wollen die Massentierhaltung abschaffen. Wie?
Wir wollen in den nächsten 20 Jahren aus der industriellen Massentierhaltung aussteigen – wir zahlen alle einen hohen Preis für die Schäden dieser Agrarpolitik. Zum einen wollen wir das viele Geld, rund sechs Milliarden Euro im Jahr, das von der EU zu Verfügung gestellt wird, gerechter verteilen. Im Moment ist es so, dass drei bis vier Prozent der größten Betriebe über 25 Prozent der Mittel bekommen. Wir wollen das Geld den Betrieben geben, die sich für Tier-, Umwelt-, und Klimaschutz einsetzen. Es sind ja alles Steuergelder, deshalb: öffentliche Gelder für öffentliches Gut. Des Weiteren fordern wir eine klare und einheitliche Kennzeichnung aller tierischen Lebensmittel, und wir wollen dort Gesetze, wo es derzeit nur schwammige Regelungen gibt, etwa bei der Putenhaltung.
Aktuell gibt es etliche verschiedene Bio-Gütesiegel. Dabei ist Bio nicht immer Bio, vor allem dann, wenn die Produkte aus aller Herren Länder kommen, wo unterschiedliche Regeln und Gesetze gelten.
Wir wollen auch eine regionale Kennzeichnung „Aus der Region für die Region“. Damit jeder weiß, wo die Lebensmittel herkommen. Wo es geht, hilft natürlich die Regionalisierung der Landwirtschaft: weniger Transportwege, Erhalt von Arbeitsplätzen. Die stark exportorientierte "Wachse oder Weiche"-Logik, die mit für das Höfesterben in den Regionen verantwortlich ist, wollen wir Grünen nicht.
Hier ist aber auch der Verbraucher in der Pflicht, oder? Immerhin erwarten offensichtlich viele, dass exotische Früchte das ganze Jahr über in den Regalen liegen.
Natürlich bestimmt jede und jeder beim Einkauf mit über Nachfrage und Angebot. Aber was regionale Bio-Produkte angeht, muss man sagen: Die Verbraucher in Deutschland kaufen mehr Bio-Produkte ein, als hierzulande überhaupt hergestellt werden. Ich spreche jetzt nicht von Bananen oder Schokolade, sondern von heimischen Produkten. Da fragt man sich schon, was in der Landwirtschaftspolitik falsch läuft.
Ganz allgemein: Massentierhaltung, alle zwei Jahre ein neues Smartphone, etliche Paar Schuhe im Schrank, zu viel Plastik in den Meeren oder die Rodung von Regenwäldern – konsumiert die Menschheit sich und die Erde kaputt?
Wir zerstören zumindest immer mehr unsere eigene Lebensgrundlage, wenn wir einfach so weiter machen wie bisher. Deswegen wollen wir ja grundlegende Veränderungen – damit Umwelt und Wirtschaft zusammenpassen. Dazu gehört nicht nur der Klimaschutz, sondern auch eine Kreislaufwirtschaft. E-Mobilität macht zum Beispiel nur dann Sinn, wenn der Strom dafür aus Erneuerbaren Energien kommt und die Batterien recycelt werden können.
"In diesem blockierten Land muss sich einiges tun"
Herr Hofreiter, lassen Sie uns einen Blick auf die Bundestagswahl werfen: Regierungsverantwortung – oder erneut Opposition?
Wir kämpfen um den dritten Platz, da haben wir gute Chancen. Wenn wir unsere wichtigsten Inhalte durchsetzen können, wollen wir mitregieren. Wir sind nicht wie die Linkspartei, die nur sagen will, was die anderen alles falsch machen. Wir haben schon einmal sieben Jahre im Bund regiert und haben da einiges zum Besseren verändert, vom Atom-Ausstieg und Erneuerbare-Energien-Gesetz bis zum Bio-Ausbau und dem Verbraucherschutz. Und natürlich der Öffnung der Gesellschaft, beim Einstieg in die Gleichstellung Homosexueller. Wir bringen Veränderung. Das wollen wir wieder zeigen, weil wir glauben, dass sich in diesem blockierten Land einiges tun muss.
Wären Sie dann auch bereit, in eine mögliche schwarz-grüne Koalition einzutreten?
Wir haben gesagt, dass wir auch schwierige Koalitionsfragen vorbereiten. Rot-Rot-Grün und auch Schwarz-Grün sind dabei. Natürlich muss es inhaltlich stimmen. Wir wollen nicht regieren des Regierens wegen, sondern um was zu verändern. Klar müssten sich CDU und CSU dann auch bewegen.
Die Grünen kommen in den Umfragen derzeit auf sieben bis acht Prozent. Was ist Ihr Ziel?
Wir wollen ein zweistelliges Ergebnis und drittstärkste Partei werden.