FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher (†95) ist tot
München - Bis ins hohe Alter hörten die Menschen auf Hildegard Hamm-Brücher. Da machte Bundeskanzlerin Angela Merkel keine Ausnahme. Auf Fotos aus dem Jahr 2009 ist Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Hamm-Brücher zu sehen, da war die beinahe schon 90 Jahre alt. Hamm-Brücher hat ihre Hand auf Merkels gelegt. Die Kanzlerin sei blass und schlecht gelaunt bei der Veranstaltung erschienen, hat Hamm-Brücher später erzählt. Was sie zu ihr gesagt habe? Dass sie Merkel bewundere – und sich selbst das Bundeskanzleramt nicht zugetraut hätte. „Da blühte Bundeskanzlerin Angela Merkel auf, wurde lustig und hielt eine prima Rede.“
So war sie. Eine zupackende, zuversichtliche Frau, die weit über Parteigrenzen hinweg dachte – und stets die Größe fand, ihre Bewunderung für andere Politiker auszudrücken.
Der schlimmste Moment ihres Lebens, hat sie mal gesagt, sei das erfolgreiche Misstrauensvotum 1982 gegen Helmut Schmidt gewesen. Hamm-Brücher war damals eine der wenigen FDP-Abgeordneten, die nicht gegen Schmidt votierten, um Helmut Kohls nicht den Weg zu ebnen. Helmut Schmidt war eben ein Vorbild, das sie „fast angehimmelt“ habe.
Dass Hamm-Brücher eine aufrechte Kämpferin für die Demokratie wurde, hat viel mit ihrer Lebensgeschichte zu tun. 1921 wurde sie in Essen geboren, sie wuchs in Berlin auf. Mit zehn Jahren verlor sie beide Eltern durch Krankheit. Mit 15 erfuhr die gläubige Protestantin, dass sie nach den Rassengesetzen eine „Halbjüdin“ sei. Ihre Großmutter nahm sich das Leben, bevor sie nach Theresienstadt deportiert werden konnte. Hamm-Brücher selbst erlebte als Mädchen Diskriminierungen, durfte nicht mehr an Schwimmwettbewerben teilnehmen oder ins Schullandheim mitfahren. Der Kampf gegen Rechts wurde später ein Lebensthema.
1948, bereits promovierte Chemikerin, zog sie als Rathaus-Jüngste für die FDP in den Münchner Stadtrat ein – mit 27 Jahren. Warum sie nicht in die SPD gegangen ist? „Ich hatte meiner bürgerlichen Familie schon allein damit viel zugemutet, dass ich als Frau unbedingt in die Politik wollte“, sagte sie einmal. „Wenn es dann noch die SPD mit ihren roten Arbeitern gewesen wäre, wäre ich auf völliges Unverständnis gestoßen.“ Mitte der 50er-Jahre heiratete sie ihren Mann. Da hatten die beiden schon ein Kind und er eine Ehe hinter sich – in den 50ern keine gern gesehene Konstellation.
Für die FDP wurde zur sie Bundestagsabgeordneten, zur Staatsministerin im Auswärtigen Amt unter Genscher. 1994 kandidierte sie für das Bundespräsidentenamt und wurde im dritten Wahlgang von der eigenen Partei dem Koalitionskalkül geopfert – Unions-Kandidat Roman Herzog wurde Staatsoberhaupt. 2002 verließ Hamm-Brücher die FDP – wegen antiisraelischer Äußerungen des damaligen Nordrhein-Westfälischen FDP-Chefs Jürgen Möllemann.
Hildegard Hamm-Brücher behielt bis ins hohe Alter ihren eigenen Kopf. Sie selbst hat sich nie als Dame bezeichnet – aber erklärt, warum sie stets so genannt wurde. „Ich bin immer gegen den Strom geschwommen – dabei wollte ich aber hübsch aussehen.“ Ihrem 2008 verstorbenen Mann hat sie ein Obstbäumchen auf sein Grab gepflanzt, einen Baum wie er ihn vor seinem Arbeitszimmer stehen gehabt hatte. „Laut Friedhofsverwaltung dürfen auf dem Friedhof zwar keine Obstbäume gepflanzt werden“, sagte sie. „Aber für irgendwas muss es ja gut sein, dass ich Ehrenbürgerin der Stadt München bin.“ Vor ihrem eigenen Tod habe sie keine Angst. „Ich bin eine fröhliche Christin.“ Wie ihre Familie am Freitag mitteilte, ist Hildegard Hamm-Brücher am Mittwoch gestorben.