Gesundheitsministerin Judith Gerlach über die Cannabis-Legalisierung: "Ein schlechter Witz"
München - Judith Gerlach (CSU) ist seit November 2023 bayerische Staatsministerin für Gesundheit, Pflege und Prävention. Zuvor war die 38-Jährige Digital-Ministerin. Die Würzburgerin sitzt seit 2013 im Landtag.
AZ: Frau Gerlach, Sie sind jetzt seit 85 Tagen im Amt. An wie vielen dieser Tage haben Sie Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) öffentlich nicht kritisiert?
JUDITH GERLACH: Das weiß ich nicht. Aber ich habe ihn sogar mal gelobt für sein Vorankommen in der Digitalisierung. Es gibt momentan einfach viel zu kritisieren – vor allem, weil die Krankenhausreform ansteht und unsere Krankenhäuser jetzt schon in ihrer Existenz bedroht sind. Das kann ich nicht einfach so laufen lassen, sondern muss auf Missstände in der Berliner Politik hinweisen und selbst konstruktive Vorschläge einbringen. Das werde ich auch weiterhin so handhaben.
Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach: "Manch einer nennt das Erpressung"
Lauterbach hat am Dienstag verkündet, dass das Bundeskabinett die Reform am 24. April beschließen soll. Halten Sie das für realistisch?
Ich halte das für abenteuerlich. Die Länder haben immer noch keinen überarbeiteten Arbeitsentwurf des Bundesgesundheitsministers zur Reform. Dabei war vereinbart, dass die Länder ihn spätestens Anfang Dezember 2023 bekommen. Jetzt heißt es seitens des Bundesgesundheitsministers: Bevor er uns irgendwas vorlegt, müssen wir erst dem Transparenzgesetz zustimmen. Manch einer nennt das Erpressung. Ich finde es jedenfalls schwierig, bei einem so wichtigen Thema so miteinander umzugehen. Lauterbach ignoriert auch unsere Forderung nach einem Soforthilfepaket des Bundes für die Krankenhäuser. Er lässt es auf einen kalten Strukturwandel ankommen. Aber es kann ja nicht Sinn des Transformationsprozesses sein, dass man wichtigste Versorgungsstrukturen vorher erst einmal sterben lässt.
Lauterbach sagt, mit dem Transparenzgesetz hätten die Krankenhäuser sechs bis sieben Milliarden Euro mehr zur Verfügung. Was stört Sie daran?
Es ist Augenwischerei von Lauterbach, so zu tun, als würde das Transparenzgesetz substanziell etwas an der finanziellen Situation der Krankenhäuser ändern. Zum einen weiß niemand, wie er auf sechs Milliarden kommt. Zum anderen geht es um Mittel, die den Krankenhäusern über die Kassen ohnehin zustehen. Das ist also kein frisches Geld, das auf Sicht irgendetwas am Betriebskostendefizit der Krankenhäuser ändern würde. Und: Das Transparenzgesetz darf auch keine Vorbedingung für die Reform der Krankenhausvergütung sein.
Inhaltlich geht es beim Transparenzgesetz darum, dass Patienten sich online informieren können sollen, wie viel Erfahrung eine Klinik mit bestimmten Eingriffen hat. Teilen Sie diese Zielsetzung?
Im Grundsatz schon. Aber: Mit dem Transparenzgesetz versucht Lauterbach, Punkte vorwegzunehmen, die erst in der Reform geregelt werden sollten. Zum Beispiel die Zuweisung der Leistungsgruppen. Das nimmt das Transparenzgesetz vorweg und teilt die Krankenhäuser zudem in verschiedene Versorgungslevels ein – was mehr Verwirrung stiftet, als es aufklärt. Er müsste eigentlich zuerst das System stabilisieren, sich dann die Eckpunkte der Reform überlegen und erst zuletzt ein sinnvolles Transparenzangebot schaffen. Aber er zäumt das Pferd von hinten auf – und das ist nicht sinnvoll.
"Karl Lauterbach will von seinen Versäumnissen ablenken"
Dass es eine Krankenhausreform braucht, ist aber unumstritten. Und auch dass Lauterbach von den Fallpauschalen wegkommen will, dürfte in Ihrem Sinne sein, oder?
Ja. Wir hatten auch angenommen, dass die neue Vorhaltefinanzierung den Kliniken hilft. Allerdings ist jetzt klar geworden, dass die auch sehr pauschal berechnet wird, statt sich auf die tatsächlichen Vorhaltekosten zu beziehen. Das hilft gerade den kleinen ländlichen Kliniken nicht.
Der Bundesgesundheitsminister will Homöopathie als Kassenleistung streichen. Warum sprechen Sie sich dagegen aus?
Ich habe gesagt, dass das Augenwischerei ist – denn das ändert nichts am riesigen Defizit der Kassen. Lauterbach will offensichtlich mit dem Vorstoß von seinen Versäumnissen bei der Reform des Finanzsystems der Krankenkassen ablenken. Klar ist: Wir sind auf der Seite der evidenzbasierten Medizin. Es sollte aber den Kassen in ihrem Wettbewerb freigestellt sein, ob sie so etwas anbieten oder nicht.
Laut dem Statistischen Bundesamt braucht es in den nächsten 25 Jahren bis zu 690.000 zusätzliche Pflegekräfte in Deutschland. Wo sollen die herkommen?
Wichtig ist nicht nur, neue Pflegekräfte zu gewinnen, sondern auch, die jetzigen in ihrem Beruf zu halten. Da sind auch die Arbeitgeber gefragt. Es geht dabei nicht nur um Geld – da hat sich in den vergangenen Jahren etwas getan –, sondern auch darum, dass der Beruf wertgeschätzt wird oder dass Dienstpläne verlässlich sind. Wir erproben dafür derzeit verschiedene Springerkonzepte. Ich glaube aber auch, dass es noch andere Möglichkeiten gibt, den Arbeitsplatz attraktiver zu machen.
"Wir wollen den Konsum so weit wie möglich verhindern"
Welche?
Die Vier-Tage-Woche etwa. In einer Einrichtung in Bielefeld hat das dazu geführt, dass sie mehr Bewerber hatte.
Die finanzielle Belastung für Bewohner von Pflegeheimen und ihre Angehörigen steigt von Jahr zu Jahr. Die Politik federt das nur zum Teil ab. Was muss sich ändern?
Zum Beispiel werden derzeit auch die Ausbildungskosten der Pflegekräfte auf die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen umgelegt. Das ist eine systemrelevante und gesamtgesellschaftliche Aufgabe, warum wird das von der Bundesregierung nicht aus dem System rausgenommen und aus Steuern finanziert?
Ihr Ministerium trägt, seit Sie Ihr Amt angetreten haben, im Namen nicht nur Gesundheit und Pflege, sondern auch Prävention. Stichwort Suchtprävention: Der Sucht- und Drogenbeauftragte der Bundesregierung hat gefordert, die Ausnahme abzuschaffen, wonach Jugendliche ab 14 Jahren in Begleitung ihrer Eltern in der Öffentlichkeit Alkohol trinken dürfen. Was halten Sie davon?
Das befürworte ich sehr. Denn Alkohol ist bereits in kleinen Mengen für Jugendliche gefährlich – natürlich ebenso in Begleitung der Eltern. Da kann ich den Sucht- und Drogenbeauftragten nur unterstützen.
Judith Gerlach will gegen die Cannabis-Legalisierung vorgehen
Die Bundesregierung ist fest entschlossen, Cannabis zu legalisieren. Wie will der Freistaat damit umgehen?
Zum Ersten werden wir rechtlich alle Möglichkeiten prüfen, gegen das Gesetz vorzugehen. Zum Zweiten bereiten wir bereits eine Kontrolleinheit vor. Denn wir wollen den Konsum dieser gefährlichen Droge durch einen maximal restriktiven Vollzug des Cannabis-Gesetzes eindämmen – und so weit wie möglich verhindern! Die Kontrolleinheit soll zum Beispiel für die Erteilung von Erlaubnissen für Anbauvereinigungen zuständig sein und für deren Überwachung.
Die Legalisierung soll zum 1. April kommen...
Dass Vertreter der Ampel-Koalition nun von einem "Meilenstein für eine moderne Drogenpolitik" und von einer Verbesserung des Gesundheitsschutzes durch ihr Legalisierungsvorhaben sprechen, ist ein schlechter Witz. Es ist vielmehr unverantwortlich, die gesundheitlichen Risiken durch Cannabis insbesondere für junge Menschen zu verharmlosen. Wir haben zudem deutlich wichtigere Herausforderungen in diesem Land. Die Krankenhausreform ist eine davon. Wenn die Bundesregierung jetzt das Zeichen setzt, dass sie zwar in der Lage ist, Cannabis zu legalisieren, aber nicht, die Gesundheitsstrukturen gut aufrechtzuerhalten, und dabei zusieht, wie Kliniken pleitegehen, ist das weder seriös noch verantwortungsbewusst.
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