So läuft es in München mit dem E-Rezept: "Es war klar, dass das zum Chaos führt"

"Aufholjagd in der Digitalisierung" oder "vorprogrammiertes Chaos"? Die AZ hat sich zwei Wochen nach der Einführung des E-Rezepts umgehört, wie die Lösung in und um München herum so ankommt.
Guido Verstegen
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Seit dem 1. Januar können Patienten in Apotheken ein E-Rezept einlösen: Die E-Rezept-Daten werden verschlüsselt auf Servern der Telematikinfrastruktur gespeichert. Das ist das geschützte Netz­werk, über das Praxen und Apotheken sicher kommunizieren können. (Symbolbild)
Seit dem 1. Januar können Patienten in Apotheken ein E-Rezept einlösen: Die E-Rezept-Daten werden verschlüsselt auf Servern der Telematikinfrastruktur gespeichert. Das ist das geschützte Netz­werk, über das Praxen und Apotheken sicher kommunizieren können. (Symbolbild) © Fabian Sommer/dpa

München - Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) spricht von einem "Quantensprung" hin zu einer "besseren, effizienteren Medizin": Seit Jahresbeginn gibt es bundesweit das elektronische Rezept (E-Rezept). Die AZ wollte wissen, wo es hakt und was bereits gut läuft. 

Apothekerin aus München vermisst den "kurzen Dienstweg"

Seit dem 1. Januar ist die Nutzung des E-Rezepts für verschreibungspflichtige Medikamente verpflichtend. Das E-Rezept ersetzt das bekannte rosafarbene Kassenrezept. In Deutschland hatte sich die Einführung des E-Rezepts verzögert, weil die nötige Technik nicht flächendeckend zur Verfügung stand. In vielen europäischen Ländern wie in den Niederlanden oder in Schweden können Rezepte schon länger auf elektronischem Weg eingelöst werden.  

Anzeige für den Anbieter YouTube über den Consent-Anbieter verweigert

Bei den gedruckten Rezepten habe die Apotheke vieles ausbügeln können, was zuvor in der Arztpraxis womöglich schiefgelaufen sei, habe Formfehler beseitigen können, sagt die Münchner Apothekerin Marion Hill im Gespräch mit der AZ: "Da sind Unklarheiten bei einem schnellen Telefonat auf dem kurzen Dienstweg ausgeräumt worden. Jetzt dauert der ganze Vorgang deutlich länger – je nachdem, ob und wie die EDV mitspielt, müssen wir dann eben warten, bis die Daten geladen sind."

Münchner Apothekerin Marion Hill: "Das E-Rezept ist für den Patienten eine Black Box"

Es gefalle ihr auch nicht, dass Deutschland wie schon bei der Idee der Autobahn-Maut einen ganz eigenen Weg eingeschlagen habe: "Es ist dadurch nichts angenehmer geworden. Und das E-Rezept ist für den Patienten doch eine einzige Black Box. Er hat keine Ahnung, was da eigentlich alles an Daten abgespeichert ist", erklärt die Leiterin der Heimeran-Apotheke im Westend.  

Marion Hill leitet die Heimeran-Apotheke im Westend.
Marion Hill leitet die Heimeran-Apotheke im Westend. © Hüseyin Ince

Und wenn bis dato der akut erkrankte Patient den Notarzt zu Hause gehabt und dringend ein Medikament benötigt habe, sei das Rezept vor Ort ausgefüllt worden. Die Apotheke habe es dann geliefert und der Mitarbeiter das Rezept mitgenommen. Das ist jetzt nicht mehr möglich." Mit der Umsetzung des Projekts ist Marion Hill ebenfalls nicht zufrieden: "Es ist schon so, dass wir da reingeschmissen worden sind." Man habe keine Chance zum Ausprobieren gehabt, es habe keine Test-Rezepte gegeben. 

"Es war klar, dass das zum Chaos führt", sagt Peter Aurnhammer, Chef der Apotheke Dr. Aurnhammer in Ismaning im  Landkreis München. Man habe die Einführung des E-Rezepts in Deutschland nicht umsonst ständig verschoben, hier gebe es eben "ein extrem kompliziertes Gesundheitssystem" und "hochkomplexe Regelungen".

KVB-Sprecher Eulitz: "Es ist noch zu früh, um verlässliche Aussagen treffen zu können"

Er kenne auch keine Arztpraxis, die sich auf diese Lösung gefreut habe, erzählt der Apotheker der AZ: "Uns macht das viel Kopfzerbrechen, gerade auch bei der EDV. Irgendwo hakt's immer, inzwischen haben wir bereits über 20 Tickets für unseren  EDV-Partner angelegt."

Martin Eulitz, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns. (Archivbild)
Martin Eulitz, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns. (Archivbild) © imago/aal.photo

Aus Sicht der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) ist es "noch zu früh, um wirklich verlässliche Aussagen" zu Wohl oder Wehe  des E-Rezepts zu treffen, wie KVB-Sprecher Martin Eulitz auf AZ-Anfrage mitteilte: "Was wir bislang aus den Praxen mitbekommen, ist, dass das Handling in der Praxis und die Funktionsfähigkeit des E-Rezept-Versandes stark vom jeweils verwendeten Praxisverwaltungssystem (PVS) abhängt. Bei manchen unserer Mitglieder funktioniert alles reibungslos, bei anderen PVS-Systemen gab und gibt es wohl immer noch Probleme."

E-Rezept-App: Mindestens Android 7 oder iOS 14 als Betriebs­system notwendig 

Was bei vielen Medizinern auf Kritik stoße, sei die mangelnde Information durch Politik und Krankenkassen für die gesetzlich Krankenversicherten zur Nutzung des E-Rezepts: "Das sorgt in den Praxen jetzt zum Beginn des neuen Quartals teilweise für erheblichen Erklärungsaufwand." 

Dr. Gerald Quitterer, Präsident der Bayerischen Landesärztekammer ist da optimistisch. "Das E-Rezept gehört nach den zu erwartenden Anfangsschwierigkeiten mittlerweile zum Praxisalltag – bis auf gelegentliche technische Umsetzungsprobleme, die hoffentlich bald der Vergangenheit angehören“, teilt er der AZ mit.

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Seit Juli vergangenen Jahres können gesetzlich Krankenversicherte das E-Rezept per elektronischer Gesund­heits­karte (eGK) oder mittels der in den App-Stores von Google, Apple und Huawei kostenlos verfügbaren App-Variante nutzen. Das Smartphone sollte mindestens Android 7 oder iOS 14 als Betriebs­system haben und NFC-fähig sein, teilt die Stiftung Warentest dazu mit. Diese Abkür­zung steht für "Near Field Communication", NFC ermögliche den Austausch der Daten zwischen Geräten und werde zum Beispiel beim kontaktlosen Bezahlen einge­setzt. Um eine Pin kommt man dabei nicht herum.

Dr. Peter Aurnhammer promovierte nach seinem Pharmazie-Studium in München und übernahm 1998 die Leitung der Apotheke in Ismaning von seiner Mutter.
Dr. Peter Aurnhammer promovierte nach seinem Pharmazie-Studium in München und übernahm 1998 die Leitung der Apotheke in Ismaning von seiner Mutter. © privat

Apotheker Aurnhammer moniert, dass aktuell keine Privatrezepte erstellt werden können – das blaue Rezept gibt es zunächst weiter in Papierform – und es nicht möglich sei, Hilfsmittel oder Betäubungsmittel so zu ordern. Stimme bei den auf dem E-Rezept gespeicherten Daten auch nur ein Detail nicht, sei der Ärger vorprogrammiert: "Dann rufen wir zwar gerne für unsere Kunden beim behandelnden Arzt an, erreichen aber oft nicht gleich jemanden, oder der Patient wird eben aufgefordert, in die Praxis zu kommen."

Wenn ein gehbehinderter Mensch wegen eines vermeintlich auf der Karte gespeicherten Medikaments oder der nicht komplett mit den Vorgaben übereinstimmenden Schreibweise eines Namens noch einmal zum Arzt und dann wieder zur Apotheke müsse, sei das schon heftig, so Aurnhammer: "Wir würden das ja hier im Ort gerne für unsere Kunden erledigen, aber dafür fehlt es uns an Personal."

Apotheker Aurnhammer: "Würde Herrn Lauterbach gerne für einen Tag hierher einladen"

Problematisch ist es auch, wenn jemand akut erkrankt ist und schnell beispielsweise ein bestimmtes Medikament braucht. Nicht immer ist es wie versprochen binnen einer Stunde in der Apotheke erhältlich, es kann auch mal ein paar Stunden länger dauern – was sich dann womöglich zu einem echten Problem auswächst. 

"Mit dem E-Rezept starten wir die Aufholjagd in der Digitalisierung", schaut Gesundheitsminister Karl Lauterbach dennoch optimistisch in die Zukunft. Für Peter Aurnhammer allerdings ist Digitalisierung in diesem Fall reiner Selbstzweck: "Ich würde Herrn Lauterbach gerne für einen Tag hierher einladen, damit er sich das mal anschaut."

Münchner Apotheker Peter Sandmann: "Digitalisierung ist extrem wichtig" 

Dr. Peter Sandmann, Münchner Sprecher des Bayerischen Apothekerverbandes, sieht die Situation "relativ entspannt". Er habe sich mit dem Thema E-Rezept schon seit 2022 beschäftigt und sehe technisch keine Schwierigkeiten. "Kleinere Software-Hersteller haben da eher ein Problem als die großen Anbieter", sagt der Inhaber der Nauplia-Apotheke, der Fidelio-Apotheke und der Isartal-Apotheke der AZ.

Dr. Peter Sandmann ist Inhaber der Nauplia-Apotheke, der Fidelio-Apotheke und der Isartal-Apotheke.
Dr. Peter Sandmann ist Inhaber der Nauplia-Apotheke, der Fidelio-Apotheke und der Isartal-Apotheke. © privat

Viel hänge auch davon ab, wie sorgfältig der Arzt das E-Rezept ausstelle – so müssten Namen immer wieder genau gleich geschrieben werden, damit das System sie erkenne. Dass es dem Patienten trotz der technischen Innovation nicht erspart bleibt, zu Beginn eines jeden Quartals in der Arztpraxis  vorstellig zu werden, um die Daten aktualisieren zu lassen, findet Sandmann nicht weiter tragisch: "Digitalisierung ist extrem wichtig, und ich bin da deutlich zuversichtlich."

Neues E-Rezept: "Die integrierte Familienfunktion ist eine gute Sache"

Neue technische Anforderungen stellen noch immer vor allem ältere Menschen eine große Herausforderung dar. Das weiß auch Carola Sraier: Sie engagiert sich seit 2006 in der unabhängigen Patientenberatung Schwaben, das ist ein Kooperationsangebot des Gesundheitsladens München und des Sozialverbandes VdK, Bezirk Schwaben.

Der Verein hat bereits im vergangenen Jahr in Nachbarschaftstreffs und Senioren-Einrichtungen viele Vorträge zum Thema E-Rezept organisiert, mit dem Ziel, gerade auch älteren  Menschen die Angst vor dem Digitalen zu nehmen und sie zu ermutigen, dafür offen zu sein.

Carola Sraier ist Gesundheitswissenschaftlerin und arbeitet seit 2006 als Patientenberaterin unter anderem in München.
Carola Sraier ist Gesundheitswissenschaftlerin und arbeitet seit 2006 als Patientenberaterin unter anderem in München. © privat

Das digitale Übertragen der Arzneimitteldaten könne für Patienten entlastend sein. So sei es eben möglich, Folgerezepte ausgestellt zu bekommen, ohne dass man Kilometer weit fahren müsse, um das Rezept abzuholen. "Auch die integrierte Familienfunktion ist eine gute Sache, weil sie dabei hilft, Daten zu empfangen, zu verwalten und das E-Rezept einzulösen", sagt Carola Sraier im Gespräch mit der AZ.

Sie weist darauf hin, dass Krankenhäuser aktuell keine E-Rezepte ausstellen, wenn sie beispielsweise bei der Entlassung notwendige Medikamente für die nächsten drei Tage verschreiben. Senioren oder Sehbehinderte müssten aber auch keine Scheu haben, ein ausgedrucktes Rezept einzufordern: "Wer lieber mit einem Rezept in der Hand in die Apotheke gehen möchte, der kann das bis auf Weiteres tun. Es gibt einen Rechtsanspruch auf Ausdruck des Rezeptes."


Weitere Informationen zum E-Rezept finden Sie auf der Website des Bundesgesundheitsministeriums

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30 Kommentare
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  • AllesBesser am 17.01.2024 21:53 Uhr / Bewertung:

    Klar hat Alles seine Vor- und Nachteile, nichts ist perfekt. Wer mal die Erfahrung gemacht hat für einen Verwandten der es nicht mehr selber kann, sämtliche Diagnosen und Behandlungsblätrer bei verschiedenen Fachärzten „zu Fuß“ einzusammeln, der sehnt sich nach der digitalen Krankenakte! Aber klar, da ist dann wieder die Sache mit der Datensicherheit. Jedes System kann geknackt werden. Und wie schlimm wäre das? Ja, da kann man lange Selbstgespräche führen.

  • FRUSTI13 am 17.01.2024 18:48 Uhr / Bewertung:

    Ja schön, das mag ja so sein! Aber müssen tut man nix, und kann auch weiterhin ohne App seine Medikamente aus der Apo beziehen!

  • (Symbolbild) am 17.01.2024 14:33 Uhr / Bewertung:

    Wie soll das E-Rezept eigentlich ohne Spyfon funktionieren?
    Muss ich da statt einem Papierzettel wie bisher bzw. einer Spyfon-Äpp ein kleines elektronisches Kästchen ähnlich einem TAN-Generator kaufen? Und wenn die nächste Technik um's Eck kommt, ähnlich wie das BestSign-Gerät der Postbank, muss ich dann wieder das nächste Gerät kaufen?
    Fortschritt ist offenbar, wenn es komplizierter und teurer wird. Und wenn die Alternativen immer weniger werden, nach der Devise "Sie haben die Wahl zwischen Spyfon..................................."

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