Dietmar Bartsch: CDU und CSU "nur ein zänkischer Haufen"

Dietmar Bartsch, der Stralsunder (58) ist Chef der Linksfraktion und somit Oppositionsführer im aktuellen Bundestag.
AZ: Herr Bartsch, die Innere Sicherheit wird den Bundestagswahlkampf voraussichtlich bestimmen. Das ist nicht gerade ein Kernthema der Linken.
DIETMAR BARTSCH: Wir werden uns diesem Thema noch mehr stellen. Wissen Sie, es ist doch völlig kurios, dass diejenigen, die heute beklagen, dass die Polizei kaputtgespart wurde, diejenigen sind, die das zu verantworten haben. Ich fordere seit Jahren – und das ist nicht unbedingt klassisch links –, dass die Polizei materiell und personell aufgestockt werden muss. Die Einsparungen dort und bei der Justiz waren ein Riesenfehler. Unter dem Dogma der Schwarzen Null von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble musste gekürzt und gekürzt werden. Jetzt sehen wir, wie staatliche Strukturen teilweise verfallen sind. Uns geht es aber nicht nur um einfache Personalaufstockung. Wir wollen eine Evaluation der Aufgabenzuwächse der Polizei und auch Bürokratieabbau.
Konkrete Antworten, wie die Linke Deutschland sicherer machen will, liefern Sie nicht.
Was die Innere Sicherheit betrifft, ist es die CSU, die jede Woche einen neuen, häufig absurden Vorschlag macht. Aber das ist auch die Partei, die gefühlt seit 200 Jahren in Bayern regiert. Warum hat sie denn ihre unzähligen Vorschläge nicht umgesetzt? Ich bin beispielsweise dagegen, jedes Mal über Bundeswehreinsätze im Innern zu reden. Das ist absurd.
"Es sind teilweise schwachsinnige Vorschläge dabei"
Wieso?
Erstens ist das ein Misstrauen der Polizei gegenüber. Mit derlei Populismus wird auch das Verhältnis von Bürgern zur Polizei zerstört. Zweitens kann die Bundeswehr nach dem Grundgesetz schon jetzt für bestimmte Dinge im Innern eingesetzt werden. Das reicht. Wir brauchen diese Scheindebatte nicht. Und zur Videoüberwachung: Damit sind wir doch nicht sicherer. Anis Amri ist auf seiner Flucht von Berlin ungefähr 14 Mal gefilmt worden. Gestellt worden aber ist er von einer Routine-Kontrolle der italienischen Polizei. Wir verschließen uns der Videoüberwachung nicht völlig. An bestimmten Plätzen und zu bestimmten Anlässen kann sie richtig sein. Aber ich will keine permanente Überwachung, keinen Überwachungsstaat.
In Ihren Augen würden die von Innenminister Thomas de Maizière und Justizminister Heiko Maas angestoßenen Maßnahmen also nicht mehr Sicherheit bringen?
Wir prüfen dann die konkreten Vorschläge, aber es sind teilweise schwachsinnige dabei. Da schlägt Maas etwa vor, die Entwicklungshilfen zu reduzieren. Wollen wir etwa dafür sorgen, dass es den Ländern noch schlechter geht? Wir müssen endlich an die Ursachen von Flucht und Vertreibung ran, da passiert viel zu wenig.
Was meinen Sie hier konkret?
Beispiel Wirtschaftspolitik: Deutschland ist einer der größten Hähnchenfleisch-Exporteure der Welt, wir liefern sogar Milchpulver nach Afrika. Damit machen wir dort die Landwirtschaft kaputt. Dann wundern wir uns, dass diese Menschen zu uns kommen? Außerdem verkaufen wir Waffen in alle Herren Länder, nach Saudi-Arabien, nach Katar. Diese Länder finanzieren hierzulande extremistische Moschee-Gemeinden, in denen auch Anis Amri anzutreffen war. Wir müssen begreifen, dass die Flüchtlinge die Botschafter des schreienden Unrechts und der Kriege dieser Welt sind.
"Wer hat den IS stark gemacht? Eine Ursache war der Irak-Krieg"
Anis Amri war ein Gefährder. Trotz seiner Observierung konnten die Behörden keine handfesten Beweise gegen ihn vorlegen. Sie selbst sprachen von einem „Staatsversagen“. Wie erklären sie sich den Fall des Berliner Attentäters?
Der Fall stinkt zum Himmel. Der Mann verwendete zwölf Identitäten, man wusste viel von ihm. Der Fall ist mir deshalb ein Rätsel. Wir wissen längst noch nicht alles, was die Dienste wann genau wussten und was nicht. Deswegen fordern wir einen Untersuchungsausschuss, um die ganze Geschichte aufzuarbeiten und Schlussfolgerungen zu ziehen.
Linke-Spitzenkandidatin verteidigt sich: Wagenknecht will weiter um AfD-Sympathisanten werben
Ihre Kollegin Sahra Wagenknecht hat Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel mitverantwortlich für den Terroranschlag gemacht und in diesem Zusammenhang von einer „unkontrollierten Grenzöffnung“ gesprochen. Wie sehen Sie das?
Für ein Attentat eines Wahnsinnigen ist immer der Täter verantwortlich. Aber dass der Terrorismus Deutschland und Europa erreicht hat, ist auch das Ergebnis der Politik der Regierungen in Europa und den USA. Nur ein Beispiel: Wer hat den IS erst stark gemacht? Eine Ursache war der Irak-Krieg.
Soziale Themen liegen der Linken ja vermeintlich besser als die Innere Sicherheit. Welche Lösungen haben Sie für die sozialen Probleme in Deutschland?
Die Spaltung der Gesellschaft wird immer größer. Fast zwei Millionen Kinder in Armut sind inakzeptabel. Wir brauchen dringend eine große Steuerreform, um den sozialen Zusammenhalt wiederherzustellen. Wir wollen kleinere und mittlere Einkommen entlasten. Wir fordern außerdem einen höheren Grundfreibetrag und wir wollen, dass Spitzenverdiener deutlich mehr belastet werden.
"Familie Klatten bekam 996 Millionen Euro – leistungslos"
Ab welchem Einkommen?
Bei der Einkommensteuer fordern wir, dass der Spitzensteuersatz dahingeführt wird, wie er zu Zeiten Helmut Kohls war – also 53 Prozent. Aber wir wollen den Einstieg nach oben versetzen, ab 70 000 Euro. Unser Prinzip ist: Alle über dieser Marke sollen mehr Steuern zahlen, alle darunter entlastet werden. Unser Kernpunkt in Sachen Steuerpolitik liegt aber im Vermögens- und Erbschaftssteuerbereich. Die Vermögenssteuer, die ja seit 1996 nicht mehr erhoben wird, muss wieder erhoben werden. Die Tatsache, dass wir in Deutschland 1,2 Millionen Vermögensmillionäre, sogar 120 Milliardäre haben, ist kaum bekannt. Wir wollen die Konzerne und Superreichen zur Kasse bitten. Die letzte Erbschaftssteuerreform war ein Witz. Ein Beispiel: Die BMW-Familie Klatten hat im April 996 Millionen Euro ausgezahlt aus Aktienvermögen bekommen – leistungslos.
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Und wie wollen Sie der Altersarmut begegnen?
Die jetzige Gesetzeslage wird dazu führen, dass das Rentenniveau absinkt, was die Gefahr von Altersarmut erhöht. Um das zu verhindern, brauchen wir eine Reform. Das heißt: zurück zur Parität. In Österreich etwa gibt es nicht nur die Parität zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, da zahlen die Arbeitgeber sogar mehr. Interessanterweise ist das Rentenniveau dort auch höher. Die Beitragsbemessungsgrenze muss mittelfristig verschwinden. Wir wollen zudem, dass alle in den Rententopf einzahlen, auch Abgeordnete, Beamte, Selbstständige. Außerdem fordern wir eine solidarische Mindestrente von 1050 Euro.
AZ-Chefredakteur Michael Schilling (2vl) und Politikredakteur Tobias Wolf (l) im Gespräch mit Dietmar Bartsch.
Die Angleichung der Ost- an die Westrente dürfte für Sie auch eine große Rolle spielen.
Es ist skandalös, dass das 27 Jahre nach der deutschen Einheit immer noch nicht vollzogen ist. Es kann nicht sein, dass Rentenwerte unterschiedlich sind und ein Lehrling, der in Schwerin anfängt und die gleiche Arbeit macht wie ein Lehrling in München, weniger Rentenansprüche erwirbt.
"Es ist nicht ausgeschlossen, dass es Schwarz-Grün wird"
Allerdings hat ein Lehrling in München höhere Lebenshaltungskosten. Allein die Miete ist deutlich teurer. Sollte man nicht dort, wo man gearbeitet hat, auch seinen Lebensabend verbringen können?
Eine Rente, abhängig von den Lebenshaltungskosten? Das wäre eine Verkehrung des Jetzigen und verfassungswidrig.
Was spricht für Rot-Rot-Grün im Bund?
Wir brauchen einen Wechsel der Politik in Deutschland, damit das große Projekt Europa als Projekt des Friedens und der Kultur nicht zerstört wird. Wenn wir die jetzige Politik fortsetzen, die Merkel und Schäuble machen, dann wird Europa zerbrechen. Die extrem hohe Jugendarbeitslosigkeit im Süden der EU, der Brexit, das Erstarken rechtspopulistischer und rechtsextremistischer Parteien, die Flüchtlingssituation: Das alles hat auch mit der Politik in Deutschland zu tun. Deshalb brauchen wir einen Politikwechsel – und Mitte-Links-Bündnisse.
Wie viel Prozent peilen Sie bei der Bundestagswahl an?
Der Maßstab ist das Ergebnis vom letzten Mal: 8,6 Prozent. Wir kämpfen um ein zweistelliges Resultat.
Sie haben von der Ostseeküste einen distanzierteren Blick auf Bayern. Mit wem regiert die CSU in zwei Jahren?
Ich wünsche mir, dass der bayerische Löwe gerupft wird und es in zwei Jahren eine Koalition ohne die CSU gibt. Das würde dem Land mal guttun.
Türkische Faschisten unter Verdacht - Migrationsbeirat: Wird die Wahl manipuliert?
Und realistisch?
Mal ernsthaft: Die CSU wird es sich aussuchen können. Ich hoffe dennoch, dass sie nicht den Versuch unternehmen wird, die AfD in die Regierung zu holen. Ich glaube aber auch, dass die Chancen, der CSU bei der nächsten Landtagswahl die absolute Mehrheit zu vermiesen, realistisch sind. Bayern braucht frischen Wind. Den kenn’ ich von der Küste. Am Ende wird viel von der Bundestagswahl abhängen.
Inwiefern?
Es ist nicht ausgeschlossen, dass es Schwarz-Grün wird. Kommt es so, gibt es keine absolute Mehrheit mehr für die CSU.
Was macht Sie da so sicher?
Weil eine Koalitionsvereinbarung der Union mit den Grünen dann zum Teil eine grüne Handschrift tragen würde. Und dann würde die CSU bestimmte Dinge einfach nicht mehr erzählen können in der Industrie-, Gesellschafts- und Energiepolitik. Deswegen ist die CSU gegen Schwarz-Grün.
"Die Kanzlerin hätte die CSU-Minister rausschmeißen sollen"
Was sagen Sie zum Dauerstreit zwischen CDU und CSU?
Es hat noch nie eine Regierung gegeben, in der die Verantwortlichen in einer derartigen Weise miteinander umgegangen sind. Das sind keine Schwestern mehr, das ist nur noch ein zänkischer Haufen. Verklagen der Regierung, Ultimaten stellen: Das schadet dem Land.
Ist die CSU daran Schuld?
Letztlich ist es die Auseinandersetzung zwischen den beiden Unionsparteien, die handlungsunfähig macht. Die CSU versucht, die Opposition gleich mitzumachen. Dafür sind aber wir zuständig.
Aber wer trägt Ihrer Meinung nach die Verantwortung?
Die Kanzlerin. Sie hat die Richtlinienkompetenz und hätte die CSU-Minister rausschmeißen sollen. Eine Mehrheit hätte sie weiterhin gehabt. Seehofer macht das Feuer zwar immer wieder an, letztlich ist es aber Aufgabe der Kanzlerin, in ihrem Kabinett für Ruhe zu sorgen. Die Minister beruft sie ganz allein, kein Minister ist vom Bundestag gewählt.
Bei der CSU kommt das Personalkarussell langsam in Schwung. Wen wünschen Sie sich in Berlin?
Ich wünsche mir von der CSU für die nächste Legislaturperiode gute Oppositionspolitiker.