Die große Koalition funktioniert schon

Eine informelle große Koalition aus Union und SPD hat für eine Erweiterung des Präsidiums gestimmt. Die neue Mini-Opposition fühlt sich abgehängt
Berlin - Ausgelassene Stimmung herrschte am Dienstagfrüh im 18. Deutschen Bundestag. „Guten Morgen“, grüßte der 77-jährige Alterspräsident Heinz Riesenhuber (CDU) nach einem gravitätischen Eröffnungs-Gong die 631 Parlamentarier. Ein vielstimmiges, fröhliches „Morgen!“ schallte zurück.
Eine Atmosphäre wie am ersten Schultag. Neue Abgeordnete knipsten sich gegenseitig mit dem Smartphone, alte Bekannte grüßten sich freudig, andere blätterten im vorläufigen „Kürschner“, dem rot-weiß-gestreiften Handbuch, in dem alle Bundestags-Abgeordnete aufgeführt sind. Auch großkoalitionäres Getuschel zwischen Unions- und SPD-Parlamentarier war schon zu beobachten.
Nur die Fraktionschefs von Grünen und Linkspartei saßen mit eher säuerlichen Mienen an ihren schmalen Bänken. Sie fühlen sich abgemeldet. Sie kommen – sollte es wirklich eine große Koalition geben – zusammen auf ein Fünftel der Stimmen im Deutschen Bundestag.
Nur 12 Minuten Redezeit für die Opposition
Damit entgeht ihnen nach den Regeln in Grundgesetz und Bundestags-Geschäftsordnung unter anderem die Möglichkeit, einen Untersuchungsausschuss einzuberufen oder Gesetze vom Bundesverfassungsgericht prüfen zu lassen (die so genannte Normenkontrollklage). Für beides braucht man nämlich ein Quorum von 25 Prozent der Stimmen.
Dasselbe gilt für die Einberufung von Bundestags-Sondersitzungen. Auch auf die Redezeit wird das ganz konkrete Auswirkungen haben: Nach dem aktuell geltenden Schlüssel stünden den Regierungsfraktionen dann 48 Minuten Redezeit zu, der Opposition nur zwölf.
Parlamentsdebatten verkämen dann, so mahnen Linke und Grüne, zu einem „Selbstgespräch der Regierung.“ Linken-Fraktionschef Gregor Gysi witzelte: „Bis wir dran sind, sind wir längst eingeschlafen.“ Ernster fügte er hinzu: „Ich warne davor, dass wir vier Jahre lang keine Möglichkeit haben, ein Gesetz auf seine Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen“.
Lammert äußerte Verständnis
Der neue und alte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), der am Dienstag mit sensationellen 94,56 Prozent wiedergewählt wurde, äußerte Verständnis für die Bedenken der Opposition: „Die parlamentarische Demokratie kommt besonders dadurch zum Ausdruck, dass Minderheiten Rechtsansprüche haben“, sagte er.
Er sprach sich dafür aus, die Geschäftsordnung des Bundestags zu ändern, um der Opposition entgegen zu kommen. Auch die SPD hat bereits Gesprächsbereitschaft signalisiert. Diskutiert wird unter anderem, das Quorum für Untersuchungsausschüsse auf 20 Prozent zu senken.
Allerdings: Für die Möglichkeit einer Normenkontrollklage mit nur 20 Prozent müsste das Grundgesetz geändert werden. Ob das die Regierungsfraktionen mitmachen, ist fraglich. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter droht zur Sicherheit schon mal mit dem Gang vors Bundesverfassungsgericht: „Wir werden unsere Rechte als Opposition einklagen“, sagte er.
Wie machtlos die neue Mini-Opposition im Bundestag ist, bekam sie gestern bereits plastisch vorgeführt: Gegen ausdrücklichen Protest hat eine quasi-informelle große Koalition aus Union und SPD das Bundestagspräsidium um einen Posten erweitert.
Extra-Posten für die SPD
Ab sofort gibt es statt fünf nun sechs Stellvertreter für Norbert Lammert. Gewünscht hatte sich das die SPD. Offiziell hatte sie das mit der „höheren Arbeitsbelastung“ begründet. Gestern sagte Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier dann, man wolle „einigermaßen auf Augenhöhe mit CDU und CSU vertreten sein“.
Eigentlich darf jede Bundestagsfraktion einen Vertreter ins Präsidium entsenden, die größte Fraktion zwei – so war es bisher. Jetzt hat die SPD auch zwei Posten. Am Dienstag gewählt wurden für die SPD die früheren Bundesministerinnen Edelgard Bulmahn und Ulla Schmidt. Als zweiten CDU-Mann wählten die Abgeordneten Ex-Generalsekretär Peter Hintze.
Für die Grünen sitzt jetzt die bisherige Parteichefin Claudia Roth im Präsidium (sie war statt wie üblich in Quietschbunt gestern bereits in präsidialem Flieder erschienen), und für die Linke wurde Vizepräsidentin Petra Pau im Amt bestätigt.
Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt kritisierte das „schwarz-rote Postengeschacher“: „Ich habe den Eindruck, dass damit schon das Ende der Koalitionsverhandlungen vorweggenommen wird“, sagte sie. „Man handelt schon als Koalition und dealt um Posten. Das akzeptieren wir nicht.“
"Lassen Sie uns nicht streiten"
SPD-Parlamentsgeschäftsführer Thomas Oppermann verteidigte die Posten-Erweiterung: „Ein insgesamt siebenköpfiges Präsidium ist nicht unangemessen groß für ein Parlament mit 631 Abgeordneten.“ Dieses Argument lässt sich allerdings schwer nachvollziehen: Der alte, 17. Bundestag hatte noch 620 Abgeordnete – das Parlament hat sich also gerade mal um elf Menschen vergrößert.
Ob das einen neuen Vize rechtfertigt? Unions-Geschäftsführer Michael Grosse-Brömer nannte die Kritik der Opposition „ein Stück weit kleinlich“. Und er gab schon mal einen unfreiwilligen Ausblick auf die mögliche schwarz-rote Debattenkultur im Bundestag: „Lassen Sie uns nicht streiten, es gibt Wichtigeres.“