Berlins Schandfleck: Tiergarten - Drogen, Mord, Alkohol

Obdachlose, Prostitution, Drogenkonsum oder Mord: Der Berliner Tiergarten wird immer mehr zur rechtsfreien Zone - ein Ortsbesuch.
von  Bernhard Junginger
Direkt hinter dem Bundeskanzleramt campieren Obdachlose im Berliner Tiergarten.
Direkt hinter dem Bundeskanzleramt campieren Obdachlose im Berliner Tiergarten. © dpa

Berlin - Blickt Bundeskanzlerin Angela Merkel aus ihrem Büro im siebten Stock des Kanzleramts direkt auf einen 200 Hektar großen rechtsfreien Raum? Grenzt der Reichstag, Sitz des Bundestags, an eine "No-Go-Area", also eine Gegend, in der die Polizei die Kontrolle verloren hat? Blickt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der höchste Mann im Staat, aus dem Bundespräsidialamt auf ein Gebiet, in dem der Staat vor Drogenhandel, Gewalt und Prostitution kapituliert?

Die Situation im Tiergarten, der grünen Lunge der deutschen Hauptstadt, sorgt für Aufregung, seit Stephan von Dassel, grüner Bürgermeister des Bezirks Mitte, mit dramatischen Worten Alarm geschlagen hat. "Der Tiergarten wird mehr und mehr zur rechtsfreien Zone", sagte er dem "Tagesspiegel", "wir können das nicht mehr hinnehmen".

Illegale Dauercamper aus Osteuropa

Er klagt über aggressive Obdachlose, die sich dauerhaft im Park niedergelassen haben. Und über ein gewaltiges Rauschgiftproblem. Eimerweise würden die Mitarbeiter seines Ordnungsamts jeden Tag gebrauchte Drogenspritzen aus den Büschen sammeln. Die Grünflächen-Mitarbeiter stünden kurz vor einem Generalstreik, weil sie ständig "angepöbelt" würden.

Von Dassel spricht von einem "Hilferuf". Und schlägt Töne an, die ihm nicht nur in seiner Partei, den Grünen, Kritik einbringen: "Die polnische Regierung kann ihr soziales Problem nicht in Berliner Grünflächen lösen." Laut dem Bezirksbürgermeister stammen viele der illegalen Dauercamper aus Osteuropa. "Aggressive Obdachlose aus EU-Ländern abzuschieben, sollte kein Tabu mehr sein."

Von Dassel hat damit bei den Berlinern einen wunden Punkt getroffen. Der Tiergarten ist nicht der einzige Teil Berlins, in der bei den Bürgern das Gefühl der Unsicherheit wächst, in dem der Eindruck entsteht, dass den Behörden die Kontrolle entgleitet. Notorisch sind etwa der Drogenumschlagplatz Görlitzer Park, die Gegend um das Kottbusser Tor und immer mehr auch der zentrale Alexanderplatz. Im Schatten des Fernsehturms, eines Wahrzeichens der Stadt, sind im vergangenen Jahr fast 8000 Straftaten registriert worden.

Menschen meiden den Tiergarten - nicht nur nachts

Nun rückt der Tiergarten in den Blickpunkt, den fast jeder der jährlich rund 13 Millionen Berlin-Besucher bei seinem Besichtigungsprogramm zumindest streift. Die Grünanlagen sind weitläufig, teils schlecht einsehbar, von hohen Bäumen und dichten Büschen bewachsen. An mehreren Stellen kampieren Obdachlose wild, in Zelten und unter Planen. Immer wieder wird von Schwänen berichtet, die getötet, gegrillt und verspeist werden.

In den Büschen um das Monument preußischen Glanzes verkaufen junge Männer, teils minderjährige Flüchtlinge ohne Aufenthaltsstatus, ihre Körper, bieten sich für 20 Euro meist älteren Freiern an.

Auf dem Fußweg zwischen dem "Schleusenkrug", einem der beliebtesten Biergärten der Stadt, und dem Bahnhof Zoo erinnern Kerzen und Blumen an Susanne F., die dort Anfang September brutal getötet wurde. Gegen 22 Uhr, auf dem Heimweg aus einem Lokal, begegnete die 60-jährige Kunsthistorikerin ihrem Mörder.

Erst nach drei Tagen fanden Spaziergänger ihre Leiche im Gebüsch. Als dringend tatverdächtig gilt der 18-jähriger russische Staatsbürger Ilyas A., den die Polizei Tage nach der Tat in Polen festnahm. Mutmaßliches Mordmotiv: Habgier. Die Beute: 50 Euro und ein Handy. Seit dem Mord meiden noch mehr Menschen den Tiergarten - nicht nur nachts.

Der drastische Hilferuf des Bezirksbürgermeisters von Mitte hat die Debatte um die öffentliche Sicherheit nun neu angefeuert. Erste Konsequenzen gibt es bereits. Der Senat beschloss, dass ab heute mehr Polizisten im Tiergarten Streife gehen sollen.

Lesen Sie dazu auch den AZ-Kommentar "Beispiel Tiergarten: Wenn öffentliche Parks zu Orten der Angst werden"

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